Der Blogger ist blockiert (3): Kassiber

Herr G. ist in Zimmer 8 der Chef oder hält sich jedenfalls dafür. Er will, nachdem ich an meinen Fensterplatz gerollt worden bin (kahle Äste vor Schiefer-
himmel), nicht wissen, wie‘s mir geht, sondern ob ich aus einem Zweibettzimmer hierher verlegt worden sei. „Nein, direkt vom OP-Tisch“, sage ich mit etwas Mühe. Das scheint den alten Mann zu verdrießen. Eventuell sammelt er Material für eine Verschwörungstheorie, die sich um seinen zweifellos skandalösen Fall dreht. Jedenfalls ignoriert er mich in den folgenden Stunden.

Erst als meine Frau mit der Übernachtungstasche erscheint, wird er wieder gesprächig. Wir wundern uns, daß zwischen Herrn G.s und meinem Bett so viel Raum ist. Das bleibe nicht so, der Mann komme bald wieder, rasselt Herr G. (er hat was mit der Lunge). „Ein Türke“, sagt er in einem Tonfall, der alles ausdrückt, wofür Thilo Sarrazin, die Niete, 500 Buchseiten braucht. – „Oh“, sage ich, „kein Problem, ich mag Türken.“ Schlagfertiger kann ich gerade nicht. Für Herrn G. reicht‘s als Provokation. „Na“, sagt er, „ob Sie das auch mögen, wenn hier alles voll ist mit seiner Familie … Bis zur Wand stehen die, überall.“ – „Stört mich nicht“, sage ich, „dann muß ich wenigstens mein eigenes Gejammer nicht hören.“ Martina lacht, Herr G. ist erneut verdrossen. Ich kann nicht behaupten, daß mir das leid tut.

Etwas später wird Herr K., ein Mann weit jenseits der 70, herein-
geschoben, und dann taucht auch schon seine Familie auf und es wird tatsächlich voll in Zimmer 8. Der Chef wälzt sich weg und hustet. Ich sage den Besuchern „guten Tag“ und bin froh, mein eigenes Gejammer nicht hören zu müssen.

Später am Abend vergeige ich vollends beim Chef. Ich bin sehr müde, zu zerstreut zum Lesen oder Kreuzworträtsellösen und möchte bloß wegdämmern. Nichts mehr merken von der birnengroßen Kompresse, die in meine aufgebohrte rechte Leiste drückt. Also schlucke ich ein Schmerzmittel, werfe eine Schlaftablette ein und warte auf die Gnade der Bewußtlosigkeit.

Ich bin fast weggetreten, als Herr G. beschließt, es sei jetzt Zeit zum Fernsehen. „Was dagegen, wenn ich ‚Tagesschau‘ anmache?“ fragt er pro forma. Herr K. sagt nichts – vielleicht ist es ihm egal, vielleicht ist er von der Operation und der Familienzusammenführung groggy, vielleicht hat er Herrn G.s Chefstatus akzeptiert. Ich sage: „Können Sie einschalten. Aber bitte Kopfhörer benutzen.“ Das ginge nicht, verfügt der Chef. „Dann wäre ich dankbar, wenn Sie den Fernseher auslassen“, sage ich. – „Ist doch erst acht Uhr. Wenigstens die ‚Tagesschau‘!“ insistiert Herr G. und ich will mal nicht so sein. Mir ist natürlich klar, daß er nach den Nachrichten die Bildmaschine nicht ausschalten wird.

Er schaltet statt dessen um. Ich bin von der langen Warterei am Vormittag (die OP wurde wegen eines Notfalls um drei Stunden verschoben), den mulmigen Gefühlen während des Eingriffs, den Nachwirkungen der Betäubung, von der steifen Rückenlage und dem Mief in Zimmer 8, vor allem aber vom Wundschmerz jeglicher Duldsamkeit beraubt und erinnere Herrn G. daran, daß er nur die „Tagesschau“ gucken wollte. Er hat sein Versprechen natürlich vergessen. Ist ja schon eine Viertelstunde her. Lieber verweist er darauf, wie früh es noch sei. Wieder sage ich, daß mich bloß der Ton stört. Stumm möge er die Kiste meinetwegen laufen lassen. Das sei doch sinnlos, meint der Chef, Fernsehen ohne Ton. Mit, möchte ich sagen, sei es das gleichfalls, aber so was würde seinen Humor überfordern.

„Ich möchte bloß einschlafen“, sage ich deshalb, in einem letzten Versuch, an seine Manieren zu appellieren. Da bin ich an den Richtigen geraten. Ich solle mich mal nicht so haben, sagt Herr G., so schwer sei mein Eingriff nicht gewesen, er selbst habe den schon zweimal hinter sich gebracht, alles halb so wild. Ich erkläre ihm, wie glücklich ich mich schätzte, mit Ferdinand Sauerbruch in einem Zimmer zu liegen. Trotzdem solle er jetzt den Ton ausstellen.

„Was fällt Ihnen“, blökt er aus seiner Ecke hinüber in meine, „denn ein, hier das Kommando zu übernehmen?“ Ich erinnere ihn daran, daß er die Fernbedienung hat und nicht ich, daß er den Fernseher gegen meinen Wunsch eingeschaltet hat und daß ich nun keine Lust mehr habe, mit ihm zu diskutieren. Er blabbert trotzdem weiter: „Dann hören Sie mich den ganzen Abend husten, da haben Sie erst recht keine Ruhe“. Und: „Beim Fernsehen kann man doch am besten einschlafen.“ Ich biete ihm an, unseren Streit von der Nachtschwester klären zu lassen. Und weil er wie alle selbsternannten Chefs ein autoritätshöriger Feigling ist, gibt er endlich auf und schaltet den Fernseher aus. Keine fünf Minuten später befinde ich mich ebenfalls im Stand-by-Modus.

Kurz vor Mitternacht werde ich wieder wach. Herr G. und seine Atemhilfe rasseln vor sich hin. Herr K. schläft leise wie ein Kind. Die Kompresse fühlt sich an wie ein Faustschlag. Meinetwegen könnte der Chef jetzt fernsehen und den Ton bis zum Anschlag aufdrehen; der dumpfe Dauerschmerz in Fuß und Leiste hat mich so zermürbt, daß mir alles egal ist. Leider darf ich nicht aufstehen, um Herrn G. zu wecken. Also schlucke ich eine weitere Schlaftablette und träume bis sechs Uhr früh von gar nichts, schon gar nicht von einer Pointe.

Episode 1: Verschlußsache
Episode 2: Bulletin
Episode 4: Rezept


Donnerstag, 14. Februar 2013 22:02
Abteilung: Man schreit deutsh, Selbstbespiegelung

3 Kommentare

  1. 1

    Da hilft nur eins: schnell wieder fit werden!
    Gute und schnelle Genesung wünscht:
    Stefan

    Ich danke sehr und werde versuchen, den Rat zu befolgen. Und wie ich das versuchen werde! KS

  2. 2

    Danke für den kleinen Schlüssellochblick! Deutsche Verhältnisse halt, man kennt das leider, auch ich.
    Gute Besserung, ich hoffe, Dich bald wieder in der KONKI zu lesen. Frank

    Danke sehr, Frank! – Mein kluger Freund Matze hat mich neulich darauf hingewiesen, wie bezeichnend es sei, daß die Deutschen ihre Kliniken KRANKENhäuser nennen und nicht etwas Heilungshäuser. – Im Märzheft von KONKRET werde ich mit einer kleinen Rezension vertreten sein. KS

  3. 3

    Gute Besserung und Glückauf!

    Grazie mille, lieber Karl Hilse – ich kann mich nur wiederholen: Solche guten Wünsche tun gut und stärken! – Ach, und der artstore st. pauli steht ab sofort in meiner Blogroll. Ist ja das Mindeste! KS

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