Hundstage (3): Konsonantenkommune
Mein guter Freund Eberhard Kehrer, der ein Lehnsherr des Layouts und ein Phürst der Photographie ist1, hat vor kurzem ein Graffito gesichtet und dokumentiert, das, finde ich, einen der schönsten Beiträge zur Befriedung des Klassenkampfes darstellt, die ich je ––
—Aber gucken Sie selbst:
Wie entspannt das doch klingt: Pozilei! Wie possierlich und putzig kommt uns der Pozilist entgegen … Mit was für einem Vergnügen betrachten wir den pozileilichen Wassersprenger (0,1 bar) … Und mit welch elterlichem Stolz stehen wir vorm Pozileipräsidium (aus „Minecraft“-Steinen). „Hat die Nachhilfe in Menschen- und Bürgerrechten doch was gebracht!“ denken wir behaglich und drücken dem ersten Pozilisten, der aus dem Tor rollert, einen Euro oder so für Naschis in die weiche warme Hand.
—Bereits in der Grundschule, sobald es mit dem Kanonsingen losgeht, kann die neue, durch simple Umstellung zweier Konsonanten erschaffene Wohlfühlvokabel2 unseren Kindern beibringen, daß die Jungs und Maderln mit den fiesen Schirmmützen keine Macht und auch nicht Hüter einer ominösen Ordnung sind. Sondern: unsere Freunde, nein – Buddies. Nicht die Allerhellsten, aber treu wie Gold und immer ganz vorn dabei, wenn es gilt, einen Rüpel einzubremsen.
—Da stehen sie also, die Klassen 2 a bis d; Frau Jensen gibt den Ton vor, und aus 80 Glöckchenkehlen klingt „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“. Und dann kommt die Pozilei bzw. Pozolo bzw. Puzulu bzw. Pizili … Dies niedliche Gelalle entschärfte eine Waffengattung, die uns grad dieser Tage (G7-Gipfel, Garzweiler) erneut und abermals ungeheuer vorkommt. Fortan können die Herren der Welt sich was anderes suchen, um uns einzuschüchtern und in Schach zu halten! Eine „Pazala“ oder „Pozilei“ wäre tatsächlich unser Freund und Helfer – nicht länger deren. Vor einer Pezele haben wir so wenig Angst wie vor einer Azalee.
—Und andererseits die Vertreter des Gesetzes -: Welcher Sanftmut muß sie ergreifen, wenn keiner mehr sie „Bullen“ nennt – sondern, dem süßen Neuwort entsprechend, „Buzen“? Oder vielleicht „Butzemänner“ … Ich glaube, daß es noch nie in der deutschen Sprachgeschichte eine vergleichbar revolutionäre Lautverschiebung gab.
—Der anonyme Urheber dieses traumschönen Neologismus darf sich gern bei mir zwecks weiterer Beweihräucherung melden; sämtliche Komplimente sind verdient3. Doch nun muß ich leider aufhören, denn gleich beginnt meine Lieblingsserie: „Pozileiruf 110“.
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1 Kenner werden erkennen: Ich habe in den vergangenen Tage zu viele Lee-/Kirby-Comics gelesen.
2 Aber ist ein Merkmal des Genialen nicht die stupende Einfachheit? (Vgl. Alexander und der Gordische Knoten, „Wanderers Nachtlied“, Ta-ta-ta-taaa.)
3 Seine Wirksamkeit hat das entzückende Neuwort schon erwiesen: Herr Kehrer nahm den Geniestreich am Rande eines Soli-Frühstücks zugunsten des umstrittenen Kollektiven Zentrums „KoZe“ im Hamburger Münzviertel auf. Die Gemütlichkeit der Veranstaltung war ein bissel beeinträchtigt durch die vielen Schwarzhemden in Sichtweite. Aber: Es gab keinen Streß, kein Pfefferspray, kein Geknüppel und nur die Andeutung eines Kessels. Das verdankt sich der Macht des Wortes, und dieses Wort lautet (Tusch:) Pozilei.
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Photo: Eberhard Kehrer