Narrenhände beschmieren Straß’ und Wände
Ein Gastbeitrag von Eberhard Kehrer
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„Ich traf Dich in der Straßenbahn –
Wahn kommst du an, Wahn oh Wahn?“
Kurt Schwitters
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Bei meinen Streifzügen durch Hamburg begegnen mir immer wieder Skurrilitäten, und ich halte sie gern mit der Kamera fest. Unlängst habe ich Kay Sokolowsky ein paar Fotomotive überlassen, in der Hoffnung, er würde sich ein paar schöne Geschichten dazu ausdenken und sie in sein wunderbares Blog einbauen.
—Aber Herr S. spielte gekonnt den Ball zurück und forderte mich icebucketchallengemäßig auf, das mühsame Schreibgeschäft doch selbst
zu besorgen. Das hatte ich nun davon! Es half kein Jammern und kein Prokrastinieren, der unbarmherzige Blogger ließ mir keine Ruhe, und so …
—Doch leset selbst, geschätzte Freunde des (siehe Motto) Straßenwahns!
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Dieses Kleinod der Stencil-Kunst begegnete mir in „meinem“ Viertel
Altona-Altstadt.
—Revolution kann so einfach sein … Ob die lässig hingesprühte Aufforderung hingegen Früchte trug, ist nicht bekannt. Herr Langenhagen, 67, aus dem zweiten Stock links kontert barsch auf meine höfliche Nachfrage: „Watt willssudenn, Spinner?“ Aber der Ebsomat wäre nicht der Ebsomat, wenn er daraufhin Ruhe gäbe! Und investigiert: Genau an dieser Stelle wütete vor 83iJahren der Altonaer Blutsonntag. „Klein-Moskau“ nannte man unseren Kiez damals, er war das Herz des „roten Altona“. Am 17. Juli 1932 zogen 7.000iSA-Leute dumpf grollend und geifernd durch unsere Straßen. Die Hamburger Polizei war traditionsbildend an Ort und Stelle, um das rechte Geschmeiß zu schützen. Ihre Kugeln töteten 16 Menschen. Schlimmeres folgte. – Der heutige Polizeijargon für unser Quartier: „Stolperviertel“. Angeblich wegen des Kopfsteinpflasters. Wobei ich eher an die vielen Gestrauchelten denken muß – ob sie system- oder alkohol-/kiezbedingt strauchelten, sei meinetwegen irgendwo hingestellt.
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Diese schon leicht verblaßte Preziose findet sich in St. Pauli Nord, in der oberen Gählerstraße.
—Was gibt es hinsichtlich dieses recht verallgemeinernden Postulats zu sagen? Aus meiner ganz persönlichen, alles andere als repräsentativen Sicht: Tja nun, wenn‘s nur mal so wäre! Ich stinke zwar durchaus ab und an, mit dem Treiben allerdings … Fehlanzeige! Also bin ich
a. gar kein Linker, oder
b. die berühmte Bestätigung der Regel, oder
c. diese Behauptung ist schlichtweg erstunken (!) und erlogen …
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Diese mit drei Ausrufezeichen verstärkte Ermahnung trifft mich nun wirklich bis ins Mark. Wer könnte so herzlos, so gemein sein, und diesem Ruderalgewächs die Lebenswurzel ausreißen? Gewiß keiner, der es mit seiner linken Gesinnung ernst meint. Das Ganze sieht, wer an der Ecke Bundesstraße/Durchschnitt längs flaniert, und schon die Straßennamen sprechen hier Bände!
—Wenn man außerdem berücksichtigt, daß sich dieser Text rechts vom Eingang zum psychosozialen Schizophrenie-Genesungswerk befindet, wird klar, daß es sich hierbei nur um das Werk einer verirrten Seele handeln kann. Das große „L“ in „Linke“ und das „n“ in „nicht“ läßt Orthografieexperten vor Erregung laut gackern und mit dem Armen rudern (soeben ausgedacht). – Update, Wochen später: Das Grünzeug wurde brutal ausgemerzt; ob dafür tatsächlich „Linke“ verantwortlich zeichnen oder eine False-flag-attack, die jene verunglimpfen soll, bleibt weiters zu überprüfen.
—Zum Abschluß noch ein passendes Gedicht:
Narr in Verzweiflung
Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand
mit Narrenherz und Narrenhand,
das sollte Tisch und Wand mir zieren? …
Doch ihr sagt: „Narrenhände schmieren –
und Tisch und Wand soll man purgieren,
bis auch die letzte Spur verschwand!“
Erlaubt! Ich lege Hand mit an –,
ich lernte Schwamm und Besen führen,
als Kritiker, als Wassermann.
Doch, wenn die Arbeit abgetan,
säh‘ gern ich euch, ihr Überweisen,
mit Weisheit Tisch und Wand besch…“
—Haha! Gut gegeben, Dr. Nietzsche! (Und zwar 1882 in Die fröhliche Wissenschaft.)
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© Photos und Text: Eberhard Kehrer