Beiträge vom Oktober, 2022

Nullenquartett (5): Joker

Mittwoch, 26. Oktober 2022 22:32



D
ie folgende Supershortstory ist, glaube ich, eines der drei besten Stücke, die ich, als ich für die „Taz“ noch schreiben mochte, auf der „Wahrheit“Seite unterbrachte, und zwar im Januar 2010.
Weil die Anekdote wirklich sauber gebaut und echt flott erzählt ist, weil ich zudem nur zwei kleine Stellen an meinen aktuellen Geschmack anpassen mußte, gönne ich ihr jetzt, nach Abschluß der „Nullquartett“-Staffel, den Bonusstatus. Ich hoffe, daß Sie, liebe Leserin, werter Leser, Ihren Spaß haben.
K. S.

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In der Höhle

„Allahu akbar!“ Nun ging das wieder los. Der Gefangene zog ein saures Gesicht. „Ashhadu an la ilaha illa llah!“ Die hatten doch gerade erst auf den Bäuchen gelegen. „Ashhadu anna Muhammad rasulu llah!“ Rief der Muezzin zum Mittagsgebet? Oder war es schon Abend? Durch den dicken Vorhang am Höhleneingang fiel kaum Licht. „Haya ala s‘salat!“ Der Gefangene wollte auf seine Uhr sehen. Dann fiel ihm ein, daß seine Entführer ihm die Armbanduhr gleich als erstes abgenommen hatten. Ein Erbstück, unbezahlbar. Wahrscheinlich hatten diese Barbaren die Uhr längst weggeschmissen. Zu blöd, sie aufzuziehen. Mit ihren schwarzen Nägeln. „Haya ala t‘talah!“ Wenn der Muezzin wenigstens eine angenehme Stimme gehabt hätte. Aber der klang ja wie ein Esel in der Brunft. Oder wie der Huber damals in Kreuth, vor undenklich langer Zeit, als sie beim Umtrunk das Lied der Bayern sangen. Oder war das erst einen Monat her? Der Mann in der Höhle wußte es nicht genau. „Allahu akbar!“ Ja, ja, schon recht, dachte der Gefangene, bring’s zuende. „La ilaha illa llah!“ Plötzlich war wieder Ruhe. Nur der Bergwind muffelte in den Vorhangfalten.

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Abteilung: Director's Cut, Litterarische Lustbarkeiten | Kommentare (0) | Autor:

Nullenquartett (4): Karl-Th. zu Guttenberg

Montag, 24. Oktober 2022 22:41



In einem Quartett aus lauter Nullen sind alle Karten gleich wertlos, deshalb kann es keine höchste geben. Aber einen persönlichen Favoriten schon. In dem Lieblingsquartettspiel meiner Kindheit („Ozeanriesen“) war der Transatlantik-Cruiser „France“
zwar nicht der Joker, der alles stach, doch die Karte, die ich mit dem größten Vergnügen betrachtete und eifersüchtig begehrte. (Was war das aber auch für ein prächtiges, stolzes, schnittiges Schiff!)
Ähnlich geht es mir mit der folgenden Polemik, die erstmals in KONKRET 5/2010
erschien. Sie ist an dem, was ich für das Bestmögliche in meinem Beritt halte, so nah wie die „France“ in ihrem – eine nahezu ideale Melange von Kraft und Eleganz. Für die Blogfassung des Artikels mußte ich bloß Kleinigkeiten ändern. Und wer errät, auf welches Wortspiel ich mir das meiste einbilde, derdiedas darf sich (Achtung! Hinweis:) etwas wünschen.
K. S.

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Windbeutels Ende

Als er anfing, gewann er in sämtlichen Kategorien. Er trat staatsmännischer auf als Horst Köhler. Er hatte mehr Charisma als Angela Merkel. Er bleckte die Zähne erotischer als Ursula von der Leyen. Das Nichts, was alle können, konnte er besser als jeder andere. So wurde Karl-Theodor zu Guttenberg zum einzigen Kabinettsmitglied, vor dessen Beliebtheit sogar „Mutti“ die Muffe sauste.

Der Oberfranke mit dem „Quaderschädel“ (Patrick Bahners) stellt ideal dar, wie Politiker beschaffen sein müssen in der postsozialistischen, monoideologischen Welt. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften, der sich gewünschte Attribute je nach Bedarf anklebt. Ein Schwätzer summa cum laude, mindestens so selbstverliebt wie Berlusconi oder Sarkozy. Doch anders als sie braucht er auf keinen Schuhkarton zu steigen, damit die Photographen ihn entdecken. Obgleich nichts weiter als eine Charaktermaske, vergöttert ihn das Publikum. Denn sein Habitus, von der dynamischen Gelfrisur bis zu den staatstragenden Gesten, spiegelt die ökonomischen Verhältnisse, aus denen er stammt, makellos wider. Dies ist das „Authentische“, das seine Groupies magnetisiert. An Guttenberg ist zwar bloß seine Herkunft glaubwürdig, doch damit hat er schon viel mehr als der Rest im Nest zu bieten.

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Abteilung: Director's Cut, Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus | Kommentare (2) | Autor:

Nullenquartett (3): Rainald Goetz

Sonntag, 23. Oktober 2022 0:17



Es ist selten ein Vergnügen, eigene Texte wiederzulesen, die seit Jahrzehnten im Digitalsarg begraben liegen. Wie der Mann, so ändert sich sein Stil, und was ihm einst blitzgescheit vorkam, erscheint heute witzlos, wenn nicht gar trüb, und etwas eitel.

Nicht so bei der folgenden Abrechnung mit einem der Überschätztesten des heimischen Literaturbetriebs. Die hat immer noch Biß und Feuer, und für mehrere Formulierungen möchte ich meiner jüngeren Ausgabe gar auf die Schulter patschen und zubrummen: „Brav. Bravo.“ Verbessern mußte ich an dem Artikel, der erstmals in KONKRET 2/2000 veröffentlicht wurde, kaum etwas. Und die Manierismen, die ich damals pflog, stehen immerhin in würdiger, unschwer zu erratender Tradition.
K. S.

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Schon faul!

Es gibt eine Sorte Literatur, die ist so doof, daß sie nicht mal die Klugheit besitzt, Langeweile zu vermeiden. Und zwar nicht die gediegene, einschmeichelnde, utopische Langeweile, die weite Passagen der Goetheschen Prosa durchweht und alle Romane Tolstois, diese dem Weltall gleichsam einen Takt und was Humanes verleihende Langeweile (von „herrlichen Längen“ wird zu Recht bei Schubert geschwärmt, herrlicher nur die Zettelkastenleviathane Jean Pauls). Die super-, ach was: megadoofe Literatur freilich hat gar keinen Begriff von tröstender, erhabener Langeweile; sie produziert vielmehr die üble und nervtötende, die rasende Langeweile, den blanken und blöden, das passendere Fremdwort einzuführen, Ennui. Aus welchem heraus diese Literatur übrigens auch entsteht: Sie ist das Werk von Dilettanten und wird ausschließlich von anderen Dilettanten goutiert, die, wenn man Pech hat, und man hat ja immerzu Pech, irgendwann selber anfangen, ihren Ennui in die Welt hinauszuschreiben.

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Abteilung: Bored beyond belief, Director's Cut, Qualitätsjournalismus | Kommentare (1) | Autor:

Nullenquartett (2): Michael Jürgs

Freitag, 21. Oktober 2022 23:46


Darf man das – einen Verstorbenen als Musterbeispiel für Journullismus hin- bzw. bloßstellen? Und ihn so auf die Nachwelt bringen: als reaktionären Petitbourgeois, dessen Haß auf die Plebs bloß durch sein Schmocktum übertroffen wird? Man darf nicht nur, man muß. Ehe jemand auf die Schnapsidee verfällt, den zu Lebzeiten schier unausweichlichen Schmalspurschwätzer Michael Jürgs
als Vorbild für den schreibenden Nachwuchs zu reanimieren, will ich hier seine Plattfußspuren konservieren. Und beispielhaft an ihm demonstrieren, wie wenig Charakter sowie Talent nötig, nein, wie Opportunismus und schlechter Stil strikt erforderlich sind, um ein Liebling unserer Qual.medien zu werden.
Der nachfolgende Verriß erschien erstmals in LITERATUR KONKRET 2009,
und ich habe für die Neuauflage fast nichts korrigieren müssen.
K. S.

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Der enthemmte Biedermann

Michael Jürgs: Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden. München 2009.

Wer mal Chefredakteur des Stern war und anschließend über Romy Schneider, Axel Springer und Alzheimer Bücher verfaßte, die keinen anderen Zweck erfüllten, als ihren Autor in all die Schwafel-Shows zu befördern, in denen über Romy, Axy und Alzy geschwatzt wird, als gäb’s keinen Morgen nach so viel Umnachtung, der sollte besser den Mund halten, wenn’s um Verblödung geht, denn er steckt bis zum Hals im Fettnapf, aus dem er frißt.

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Abteilung: Director's Cut, Qualitätsjournalismus, Unerhört nichtig | Kommentare (2) | Autor:

Nullenquartett (1): Bernard-Henri Lévy

Freitag, 21. Oktober 2022 0:25



Zurecht haben sich einige Freunde des „Abfall“ bei mir beschwert, daß hier seit vielen Wochen ein Stillstand herrscht wie im Kopf von Annalena Baerbock.
Wohl habe ich für meine Bloglosigkeit Gründe, die mehr sind als Ausreden, aber das ändert nichts am Zustand. Und ich bin ja selber nicht glücklich damit. Um wieder etwas Leben in die Bude zu bringen, habe ich deshalb aus dem Manuskriptarchiv vier polemische Porträts, besser: Vignetten gekramt, die in den vergangenen zwanzig Jahren entstanden und mir, wie ich glaube, wohlgeraten sind. Sie liefern außerdem den Nachweis, daß – Kim von der Kimme hin, Luisa Schlaubauer her – die qual.mediale Aufblähung nichtiger Figuren zu Personen von welthistorischem Rang keine Erfindung unserer Neuestzeit, sondern seit je der Normalfall ist und die Angesagtheit eines Kopfes in direktem Zusammenhang mit seiner Hohlheit steht. Immer.
Den Anfang macht eine Glosse, die ich für KONKRET
5/2011
verfaßte. Einige neunmaldumme Lumpen aus der „Bahamas“-Rumpelkammer unterstellten mir seinerzeit antisemitische Motive. Sie, liebe Leserin, werter Leser, dürfen raten, wie die Spinner ihren Vorwurf begründeten – ich bin gespannt, ob Sie was finden werden.
K. S.

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Ein Bombentyp

Wichtigtuerei ist ein unschöner Charakterzug, an Häßlichkeit nur übertroffen von Heuchelei und Rechthaberei, aber der eine kommt selten ohne die anderen. Der Freundeskreis des Wichtigtuers zeichnet sich durch Überschaubarkeit aus, denn er hat keine Freunde im engen Sinn, bloß Claqueure und Groupies. Ein Vertrauter, der ihm die Meinung geigt, fehlt weit und breit. Aber das macht dem Wichtigtuer nichts aus, denn er kennt ja nur eine Meinung, die zählt, und zwar die eigene. Daß er grundsätzlich eine Ansicht vertritt, die von den meisten geteilt wird, irritiert ihn übrigens nicht, geht er doch davon aus, die Masse richte sich nach seiner Pfeife aus, statt er, der Pfeifenheini, sich nach ihr.

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Abteilung: Director's Cut, Qualitätsjournalismus, Undichte Denker | Kommentare (8) | Autor: