Der schreckliche Iwan (16): Ungestauter Haß

Raten Sie mal, wo folgendes Zitat zu lesen ist – und zwar nicht bloß unwidersprochen, sondern affirmativ avec aplomb:

„(Viele deutsche Politiker) unterschätzen die Verschlagenheit und die Brutalität von Russen.“

Nein, falsch, das stammt nicht aus dem Völkischen Beobachter von 1942. Auch nicht aus der National-Zeitung von 1982. – Wie bitte? Heinrich-Böll-Stiftung? Schon wärmer, doch immer noch daneben.

Diesen Satz, den Joseph Goebbels nicht authentischer hätte hetzen können, hat Die Zeit veröffentlicht. Ausgesprochen wurde er von dem baptistischen Eiferer Hermann Hartfeld. Das 1-a-Propagandastück – in dem es wieder mal gegen die unfaßbar bösen „prorussischen Separatisten“ geht – faßt Hartfelds legenda aurea so zusammen:

Ein rundes Gesicht mit einem freundlichen Ausdruck. Er ist Pastor im Ruhestand und hat viel gesehen. Geboren ist er im November 1942 in Omsk, als die deutsche Wehrmacht Stalingrad eingenommen hatte und die Rote Armee begann, die Deutschen einzukesseln.

So verschlagen und brutal waren die Russen nämlich schon damals: lockten die arglosen Deutschen nach Stalingrad, um sie dann gemütlich auszuhungern!

Daß Hartfeld ganz bestimmt kein unbefangener Zeuge ist, wenn es um deniRuss‘ geht, weiß der Verfasser, doch ihm kommt ein Scheinheiliger wie Hartfeld gerade recht:

(Er) wurde Christ und engagierte sich in einer baptistischen Gemeinde. Er organisierte Jugendtreffen in den Wäldern. Das brachte ihn nach dem Studium für sieben Jahre ins Straflager. Fünf Jahre davon arbeitete er im Uranbergbau. Er wurde bei der Herstellung von Plutonium und beim Bau von Atombomben eingesetzt. (…)
„Russland bleibt für den Westen ein Mysterium“, sagt Hartfeld. „Russen werden unterdrückt, aber trotzdem kämpfen und sterben sie für das Vaterland.“ Aber auch er, der seine frühen Jahre in Russland verbracht hat, sagt fassungslos: „So viel angestauter Haß.“

Bei Hartfeld und seinem Chronisten hingegen staut sich nichts mehr an. Daiwird rausgelassen, was das Kroppzeug hält.

Der Autor dieser Ansammlung von Halbwahrheiten, Gerüchten und Ressentiments heißt Wolfgang Thielmann und ist stellvertretender Schriftleiter der Zeit-Beilage Christ und Welt. Deren Chefin Christiane Florin habe ich vor einigen Wochen ausdrücklich gelobt. Dafür, daß Florin ihrem Vize gestattet, solchen verlogenen und diskriminierenden Scheißdreck zu verbreiten, schenke ich ihr ab sofort und ebenso ausdrücklich meine Verachtung. 


Montag, 2. März 2015 22:32
Abteilung: Der schreckliche Iwan, Qualitätsjournalismus

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