Die Beste aller Welten (13): A Day in the Life

Es gibt Tage, da reicht mir das gallige Wort von den „Charaktermasken“ nicht mehr aus, um die Verwalter der verwalteten Welt zu beleidigen. Dann möchte ich unflätig werden und die ganze Bande bis hinauf zum lieben Gott anbrüllen wie Gunnery Sergeant Hartman seine Rekruten in „Full Metal Jacket“.

Gestern war einer dieser Tage. Zuerst lese ich dies, in der Online-Ausgabe der FAZ über ein verrentetes Mitglied des VW-Vorstands:

Für Personalvorstand Horst Neumann sind Altersbezüge im Wert von 23,7 Millionen Euro vorgesehen. Der Gewerkschaftler (!) will einen Teil davon stiften. (…)
Die Stiftung soll Doktoranden, Forschungsprojekte und wissenschaftliche Publikationen zum Thema Arbeit in Geschichte, Gegenwart und Zukunft fördern und damit einen konkreten Beitrag zur Verbesserung von Arbeit sowie des Arbeitsmarktes leisten. (…)
Neumann wird die Stiftung aus eigenen Mitteln mit einem Kapitalstock von 2 Millionen Euro und mit jährlichen Zustiftungen ausstatten – geplant sind insgesamt rund 10 Millionen Euro Stiftungskapital bis 2022. Neumanns Altersversorgung hat dem Geschäftsbericht zufolge einen Barwert von 23,7 Millionen Euro.

Man kann nur hoffen, daß der Horst mit dem Rest über die Runden kommt! Versteuern muß er jedenfalls kaum was, und der Arbeitsmarkt für Arbeitsmarktforscher wird sich zweifellos verbessern.

Und bestimmt wird er, der „Gewerkschaftler“, der schon lange nicht mehr, womöglich niemals ein echter Gewerkschafter war – wird dieser Neumann sich nicht die Sorgen machen müssen, die genau dieselbe Weltordnung, die ihn steinreich machte, jenen bereitet, für die keinen Cent er zu stiften übrig hat. Und von denen ich gleich danach las, aber nicht in einer der großen Zeitungen, sondern bei evangelisch.de:

Etwa 700.000 Kinder werden nach UN-Schätzungen bis Ende des Jahres in der Sahel-Zone verhungert sein. Insgesamt hätten 25 Millionen Menschen in der Region zu wenig zu essen, erklärte der Humanitäre UN-Koordinator für das Gebiet, Toby Lanzer, am Montag in Genf. (…)
Die Erderwärmung trifft laut dem UN-Koordinator die Sahel-Zone besonders hart. Wiederkehrende Dürren, eine Verschlechterung der Bodenqualität und Überschwemmungen ließen die Anbauflächen und das Weideland immer weiter schrumpfen.

Ich weiß nicht, wie gut die Horst Neumänner dieser Welt schlafen, nachdem sie dergleichen gelesen haben. Ich vermute, hervorragend, ruhig und tief. Solche Leute haben keine Alpträume. Sie machen welche.

Mir zum Beispiel, gestern, an einem dieser Tage.


Freitag, 20. November 2015 1:18
Abteilung: Die beste aller Welten, Kaputtalismus

6 Kommentare

  1. 1

    Durch ein paar Assoziationssprünge (the filthy f*ing rich, Klassengesellschaft, der noch von gestern nachklingende Rowohlt-Nachruf …) wurde ich an den FAZ-Nachruf für Johanna Quandt vom August erinnert, der mir ob seiner zwar zu erwartenden, aber dann doch unerwartet dick aufgetragenen, servilen Schleimigkeit im Gedächtnis kleben geblieben ist.
    Auch beim Wiederlesen erweist sich dieses von Carsten Knop aus man-will-nicht-wissen-was-für-welchen Flüssigkeiten angelegte Feuchtbiotop als eher beklemmend, trotz der erwartbar gut gedeihenden Stilblüten.
    Nicht der Rede und des Wiederlesens wert also, eigentlich, wären da nicht die ersten Sätze, die ich damals glatt überlesen habe, die aber wahre Poesie darstellen, ein Idyll mit der hl. Johanna des Wirtschaftsjournalismus und ihrem treuen Gärtner:

    Johanna Quandt war eine
    Frühaufsteherin. Meist war sie schon
    gegen sechs Uhr
    auf den Beinen.

    Der Gärtner
    brachte ihr dann,
    natürlich,
    die Zeitung.

    Denn dem Journalismus, vor allem
    dem Wirtschaftsjournalismus,
    war sie
    eng verbunden.

    Man spürt förmlich, wie gerne der Gärtner um sechs Uhr morgens seinen Dienst antritt, um der verehrten Arbeitgeberin die Zeitung die Auffahrt hinaufzutragen und dabei schon einmal einen Blick über die Anlagen schweifen zu lassen, sinnierend, was wohl heute so zu tun wäre, um der bescheidenen alten Dame das Leben angenehm zu gestalten in jenem Bad Homburger Anwesen, in welches vorgelassen zu werden des Carsten Knops feuchtester, nun leider asugeträumter, Traum war.

    In freien Versen wird dieses Untertanengespeichel ja erst RICHTIG gruselig – danke für den Hinweis und die Interpretation! KS

  2. 2

    Nun ja … Ab welchem Betrag und bei welchen Tätigkeiten muß man sich schämen? Der Horst wird uns auf Anfrage erklären, daß er seine Bezüge nicht verhandelt und nicht festgelegt und schlechterdings die Möglichkeit hat, sie abzulehnen. Den Vorwurf des Klassenvverrats wird er nicht verstehen, weil er keinen Klassenbegriff hat. Wenn der Albträume hat, dann handeln die von Zahn- oder Haarausfall oder einer Flutung des Gellertbades.

    Der Horst hat sehr wohl einen Klassenbegriff, den haben alle, man redet nur nicht darüber. KS

  3. 3

    Ich frag mich, ob bloßes Anbrüllen – und wäre es das allerfieseste im Hartman-Stil – genügen würde, um die Neumänner unserer barbarischen neuen Weltordnung aus dem (unverdient alptraumlosen) Schlaf der Vernunft zu reißen. Und die Ungeheuer, die der gebiert, fallen ja wirklich immer nur über die Verwalteten her. Oder über jene, die längst aus jeder Verwaltung herausgefallen sind, weil die sich schlicht nicht mehr rechnet. Ich denke, selbst das unflätigste Gebrüll hülfe dagegen nur wenig. Glaubte ich an den Sinn individuellen Terrors, schlüge ich stattdessen *biep* vor. Aber das tu ich natürlich nicht. Jedenfalls nicht im Indikativ. KP

    Und weil ich grad keine Lust auf eine Anklage habe, mußte ich leider auch Deinen Konjunktiv zensieren. Deutsche Richter sind nämlich extrem schlecht in der Unterscheidung verbaler Modi. Bitte um Verständnis! KS

  4. 4

    Etwas harsch vielleicht; die Neumänner sind ja bloß winzig kleine Rädchen in der kapitalistischen Verwertungsmaschine. Niemand kann die Horrorshow bei vollem Bewusstsein ertragen. Jeder macht sich auf seine Weise unempfindlich. „Der Panzer verdeckt die Wunde.“

    „Winzig kleine Rädchen“? Im Ernst? Neumann war als Personalvorstand verantwortlich für das Schicksal von 190.000 abhängig Beschäftigten auf der halben Welt. Sagen Sie mir doch bitte bei Gelegenheit, wo für Sie die GROSSEN Räder anfangen. – Und es geht mir auch nicht um die Unerträglichkeit der Horrorshow; dieses Grauen kenne ich auch. Mir geht es um die Gleichgültigkeit solcher Typen wie Horst N. gegen alles, was sie früher viel besser wußten. KS

  5. 5

    Ich darf mal weiter zitieren von evangelisch.de:

    *biep*


    Nee, dürfen Sie nicht, nicht hier. – Ich kann Sie leider nicht daran hindern, mein Blog zu lesen. Aber Ihre Kommentare lasse ich auf meinen Seiten nicht mehr zu. Gehen Sie also bitte weiter, am besten zu „Spiegel online“ oder „PI“; dort können Sie Artikel finden, die Ihnen besser gefallen werden als meine, und Kommentatoren, die aus dem gleichen namenlosen Material gemacht sind wie Sie. Tschüs. KS

  6. 6

    GROSSE Räder muss es in der Maschine ja gar nicht geben, aber größere Räder sind meiner Meinung nach Entscheidungsträger in Firmen, die Waffen exportieren oder sonst von Kriegen profitieren, Kinder- und Sklavenarbeit auspressen, die Natur zerstören, die Menschheit verdummen, Medikamente unerschwinglich machen usw. usw. usw. Wir wissen beide nicht, welche Gedanken Herrn Neumann zu seiner Entscheidung geführt haben, sein Geld nicht einer Hilfsorganisation zu spenden; es wäre eh nur ein Tropfen auf ein heißes Saharasandkorn gewesen. Es ist ja nichts leichter, als sich eine Ideologie zu basteln, die das eigene Handeln rechtfertigt. Wobei wir wieder bei Heinleins Rasiermesser wären.

    Sie haben aber schon läuten gehört, mit welchen Methoden VW viele Jahre lang die Dreckwerte seiner Autos geschönt hat? Von wegen „Natur zerstören“ und „die Menschheit verdummen“? – Es sind die Vorstandsneumänner, die den Laden am Laufen halten, gleich was es die Gesellschaft kostet, und ich muß es mir gelegentlich genehmigen, diese Elitefunktionäre und Managementandroiden schlicht widerlich zu finden. Zumal wenn die mal auf der anderen Seite standen (wenigstens nominell). KS

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