Aufgelesen (3): Mutter Beimers Milch
Heute abend wurde die Seifenoper „Lindenstraße“ 30iJahre alt. Zwei hervorragende Gründe, es beiidiesem Jubiläum bewenden und die Sache endlich sein zuilassen, sind auf Taz.de nachzulesen.
—Denn ein Alt- und ein Jungschmock fühlten sich berufen niederzuschreiben, warum die Serie ihnen wichtigkbzw. nicht ganz egal ist. Sie haben der deutschen Sprache dabei mindestens so viel Schaden zugefügt wie das Ensemble der „Lindenstraße“ der Schauspielkunst.
—Jan Feddersen, Großmufti der Wortstümperei, legt vor:
(Diese) Kebab-Schweinebraten-vegetarische Geschmacksmatrix des Deutschen, die die „Lindenstraße“ uns zeigt, verdient jeden Kampf um ihr ewiges Fortleben.
Das hätte Hüttler nicht besser radebrechen können. Aber am Ende wird Feddersen die Phrase „Kampf um ihr ewiges Fortleben“ wieder mal bloß ironisch gemeint haben wollen. Man erkennt es leider nicht auf Anhieb, weil Feddersen statt eines Geschmacks eine vegetarische Schweinekebabmatrix hat.
—Trotzdem geht es im Feuilleton immer noch dümmer, zumal bei der „Kinder-FAZ“ (Gremliza). Die scheußlichste Metapher, die ich seit langem lesen mußte (und ich lese sehr viel Scheiß), hat Adrian Schulz aus dem Nichts seiner Gedanken konstruiert. Er ist bestimmt stolz drauf:
Der klobige Röhrenbildschirm, von dem allsonntäglich die Essenz deutscher Nachbarschaft herunterschwamm, wurde mir in den vergangenen 19 Jahren zum Muttermilchersatz (Milch verbrennt, „Lindenstraße“ nicht).
Die deutsche Nachbarschaftsessenz aber ist so locker und leicht, die schwimmt sogar in Mutter Beimers Milch. – Ich kenne einige Drogen, aber keine, die Schulzens Metapherndesaster bewirkt haben könnte. Für dergleichen Bildstörungen, schätze ich, muß ein Autor Talent mitbringen. Eskist in der Regel sein einziges (vgl. J. Feddersen).
—Nicht daß die Textrobots der „Lindenstraße“-Homepage es viel besser könnten! Sie fassen die 30-Jahr-Folge so zusammen:
Während die Bewohner und Nachbarn der Lindenstraße Nr.k3 sich weiter über den möglichen Hausverkauf streiten, werden sie von einem schrecklichen Ereignis überrollt, das einem geliebten Menschen aus der Nachbarschaft widerfährt.
Dem einen widerfährt etwas, das von ihm abprallt und sodann über alle anderen hinwegrollt: ein, immerhin, passendes Bild für die Dramaturgie der „Lindenstraße“ seit Folge Nr.i1.
—Wie bitte? Nein. Ich glaube nicht, daß Erich Schiller ermordet wurde. Er hat vermutlich in den vergangenen 19 Jahren zu oft am Röhrenbildschirm genuckelt.
—
Bild: „Lindenblüten“ by ArtMechanic [GFDL or CC-BY-SA-3.0 ],
via Wikimedia Commons
Montag, 7. Dezember 2015 17:11
Härrlisch!
Um nicht zu sagen: jottvoll! Adrian Schulz: ein vielversprechender junger Stern am Abendhimmel der geerdeten Kultur o. s. ä. KS
Donnerstag, 10. Dezember 2015 13:18
Vielen Dank für die amüsante Stilblütenlese. Ich lese nur noch sehr selten Taz, und so nen Quatsch schon gar nicht, außer wenn ich, wie hier, darauf gestoßen werde. Sehr schön auseinandergenommen die ganze Malaise, aber der allerärgerlichste Satz für mich war folgender in Feddersens „Artikel“:
„Ich habe keine einzige Folge vollständig gesehen.“
Das schreibt der hin, am Anfang des zweiten Absatzes! Wie bitte? Der Herr Qualitätsjournalist verlangt von mir zu lesen, was er über eine Serie zu sagen hat, von deren 357.895 Folgen er nicht eine einzige sich anzusehen bemüht hat? Und dafür habe ich tatsächlich 5 Sekunden mit mir gerungen, bevor ich das Bezahlbanner weggeklickt habe? Dafür hätte ich zahlen sollen, daß der Herr Qualitätsjournalist mir dann erzählt, daß er sich nicht mal die Mühe gemacht hat, sich mit seinem Gegenstand wenigstens etwas auseinanderzusetzen?! Ganz schön dreist.
Aber höchstwahrscheinlich ist es noch viel ekliger: Das Statement ist rhetorisch gemeint (und will sagen: „Ich bin so cool und alternativ, dass ich da drüberstehe; aber man muß schon anerkennen, daß die Serie einen positiven Einfluss auf den Pöbel hat“), während der Feddersen natürlich Dutzende von Folgen kennt und evtl. sogar auf Spesenkosten ein paar DVD-Boxen anschaffen durfte.
Es sind Kreaturen wie Feddersen – halbgebildet, witzlos, pseudoironisch, arrogant -, die den bürgerlichen Pressbetrieb am Laufen halten. Sie, lieber Herr Küster, tun also ein gutes Werk, wenn Sie diesen Schwätzer analysieren. – Doch wenn ich irgendwann mal wieder etwas für die „Wahrheit“-Seite der Taz schreiben sollte … Bleiben Sie mir dann trotzdem gewogen? Ich hoffe. KS
Sonntag, 13. Dezember 2015 8:32
Lieber Herr Sokolowsky, wenn Sie was auf der Wahrheit-Seite schreiben, bezahle ich natürlich. Sie weisen ja hier auch drauf hin, wenn dort etwas von Ihnen erscheint, nicht wahr? Denn von selber klicke ich wirklich sehr selten dort vorbei.
Eigentlich irrational, denn schlechter als der sonstige Qualitätsjournalismus, den ich so lese, ist die Taz ja nun auch nicht – aber eben auch nicht besser. Das tut jedes Mal ein kleines bißchen weh, wenn man zu denen gehört, die in den Zeiten, als das Wünschen eben auch nicht mehr geholfen hat, gewünscht und geglaubt haben, die Taz wäre anders.
Jene Zeiten sind natürlich so lang vorbei, dass es keinen Unterschied machen sollte, ob man den Mist nun in der Kinder- oder in der Erziehungsberechtigten-FAZ liest, aber man kann ja nicht immer rational sein.
Wem sagen Sie das! KS