Gaudeamus igittur
Ruf hinein in den deutschen Wald, und die Wildsau schallt raus … Selbstredend wußte das neofeudale Mastermind, was passieren würde, als es vor ein paar Wochen in Cicero losbölkte:
Die deutsche Regierung hat sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.
Er wußte um die Folgen, der Herr und Professor Sloterdijk, als er außerdem zackigere Zeiten anmahnte:
Auf die Dauer setzt der territoriale Imperativ sich durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.
Es sind mehrere logische Verrenkungen nötig, um diese Sätze anders zu verstehen denn als Plädoyer für einen Nationalismus à la Wilhelm Eins mit Anteilen von Zwo. Was das Superhirn in alter Übung hinter Blendbegriffen („territorialer Imperativ“), Misanthropie („Selbstzerstörung“) und Zynismus („Überrollung“) verbirgt, hat Armin Nassehi sehr studierenswert zunächst in der Welt und kürzlich für die Zeit aufgeschrieben. Eine echte Überraschung kann des langjährigen TV-Nachtdenkers Beschwörung einer irgendwie gottgegebenen, das heißt, wenn schon, von unserem Gott gegebenen Identität der Deutschen, die desintegriert werde unter der rollenden Lawine der Fremden, nicht sein (ich bitte um Entschuldigung für die gewundene Syntax und die Metapher, aber schlechte Manieren färben schon bei flüchtigem Umgang ab).
—Daß Peter Sloterdijk ein ebenso überschätzter wie megalomaner Autor ist, ein Chauvinist und Reaktionär, der enorm viel Schaum schlägt, um die Dürftigkeit seiner, räusper, Philosophie zu verbergen, muß man ihm nicht nachweisen, es steht ja in jedem seinem Bücher. Als Stilist beherrscht er keine Kunst außer der dubiosen, auf den Zehenspitzen zu trampeln. Sloterdijk, dieser äußerst deutsche „Premiumdenker der Gegenwart“ (Titanic), ist allerdings, wie alle Schmöcke, ein Maestro des Wortgeklingels. Darum nennt er sich neuerdings einen „Linkskonservativen“ – eine Contradictio in adjecto wie aus dem Lehrbuch, welches der gelahrte Sloterdijk gewißlich auswendig kennt, und nebem dem offenbaren Un- auch blanker Schwachsinn: Sloterdijk will den Sozialstaat abschaffen, den es gar nicht mehr gibt, er will eine bessere, meint: gehorsame Menschheit notfalls im Labor züchten, und von den identitären Idioten unterscheidet ihn neben der Zottelfrisur allenfalls die Neigung, der deutschen Sprache noch mehr weh zu tun als jene, die es, anders als er, allerdings auch nicht besser verstehen. Wofür er vor drei Jahren zielsicher den Ludwig-Börne-Preis erhielt, der all jenen vorbehalten ist, die mit Börne wirklich nichts teilen, die klare Sprache so wenig wie die erbitterte Feindschaft gegen alles Enge, Gemeine, Nationale, Autoritäre.
—Sloterdijk reagierte auf Nassehis Kritik, die im Ton sachlich, in der Analyse weitgehend korrekt ist, wie ein gar nicht mehr so feiner, seiner abgeschmackten Ironie einmal, wenigstens ein Mal!, entsagender, auf frischer Tat ertappter Sünder. Klaus Kinski hätte greller nicht keifen können als Sloterdijk neulich in der Zeit:
… politische Krankheitsgewinnler … Philosophie-Journalist aus der Narren-Hochburg Köln … diverse nuancenblinde Kommentatoren …
Ich gebe zu: Noch nie habe ich mit solchem Vergnügen einen Sloterdijk-Text gelesen. Es wird sichtbar, was stets verpackt war in einer Wolke aus verblasenen Neologismen und gequirltem Mief. Wir bekommen zu sehen, was man sonst um den Preis von Kopfweh suchen mußte und nie lückenlos belegen konnte, weil Sloterdijk durchaus kein präziser, vielmehr bewußt verschwallter Autor ist (nicht nur dies hat er sich beim unheiligen Martin H. abgeguckt). Ist schon ein Schauspiel! Erbärmlich, okay, doch ein Schauspiel: Wie Sloterdijk seine „Nuancen“ als Ausrede nimmt, sobald er durchschaut wird, und wie er alle „Nuancen“ vergißt, wenn er in den Kampf gegen seine Kritiker stürmt! Die Sloterdijk sich, das liegt in der Matrix seiner Ideologie, nur als Feinde vorstellen kann, als geifernde Pawlowsche Hunde bzw.
erfolgreich dressierte Kulturteilnehmer
Dieser Akt der Imageselbstzerstörung ist zugleich ein Gaudeamus igittur, das uns, fürchte ich, noch lange unterhalten wird. Es wäre angenehm, würde Sloterdijk zwischenzeitlich auch jene Bande zur Linken abschneiden, die er sich „autohypnotisiert“ hat, einer Linken, welcher er niemals zugehörte außer, in effigie, beim Bhagwan Osho. Hoffentlich merkt Sloterdijk bald, daß seine politische Selbstverortung als „Linkskonservativer“ stark an die Paradoxie einer anderen gewaltsamen Wortbildung erinnert, die ich jetzt nicht aufschreibe, weil das justiziabel sein könnte und sowieso mißverstanden würde.
—Möglicherweise sind die Freunde, die Sloterdijk sich durch sein unappetitliches Dozieren über den „Lügenäther“ und das „Lob der Grenze“ neu gewonnen hat, ihm etwas peinlich, eventuell geht ihm die Verehrung durch Afdischisten (sehen Sie: auch ich kann Wörter aus dem Nichts zaubern, es ist gar nicht so schwer) resp. Pegidazis etwas zu weit, derzeit –: Jedenfalls scheint es dem Beobachter, den die feige Rücksichtnahme des Feuilletons gegen einen Lieblingsadvokaten der soziopathischen Elite über Jahrzehnte irritiert hat, nur gerecht (Karma und so) zu sein, daß Sloterdijk auf seine alten Tage die Sanyassins gefunden hat, an denen er so lange vorbeipredigte.
—Seine neuen Verehrer können leider kein Deutsch, sind „eees“ (Horst Tomayer), deutsch, dennoch aus ganzem Steinherzen, und deshalb reihen sie den nicht länger Unfaßbaren in genau den Rang ein, der Kreuzundquerdenkern wie ihm gebührt, nämlich gleichauf mit Thilo Sarrazin. So wie „Elisabeth M“, in einem etwas angesoffen stotternden Kommentar auf Zeit.de zu Nassehis exzellenter Abrechnung „Jenseits der Reflexe“. Den ersten Satz dieser, um es euphemistisch zu sagen, Wortmeldung enthalte ich Ihnen, werte Leserin, geneigter Leser, vorerst vor, weil er die Pointe enthält, und die soll man nicht vorab verraten. Die eigenwillige Orthographie, Interpunktion, Semantik und Grammatik Elisabeth M‘s habe ich, als Liebhaber der Trübequellenkunde, nicht antasten mögen:
Es wird wieder Jahrzehnte der Aufarbeitung, Gedenkdienst etc betreffend die fahrlässige Etablierung von Clangesellschaften, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Diffamierung Sndersdenkender in Europa brauchen. Man wird sich fragen warum sovielmal Mitläufer der Welcomehysterie waren, obwohl doch b e s o n n e n e I n t e l e k t u e l l e w i e
S a r r a z i n u n d S l o t e r d i j k gewarnt haben! Die Verantwortung der Presse für ihre [?] Beschönigung und Förderung wird auch Thema vieler wissenschaftlicher Arbeiten sein. Man wird nicht verstehen wie die Gesellschaft die Diffamierung Andersdenkender als ungläubig und unrein dulden könnte [!] ohne Widerstand zu leisten! Wehret den Anfängen!
Hier stimmt nichts, zumal die finale Kopie eines würdigen antifaschistischen Kampfrufs „betreffend“ nicht, doch eben dies macht die Disharmonie in Elisabeths Hirn so stimmig. Derart konfus und konspirativ spricht die Stimme nicht allein dieser einen, sondern der neuen Rechten. Die wiederum uralt und in der Tat ein „Thema vieler wissenschaftlicher Arbeiten“ ist. In all diesem Wahn steckt aber auch ein Wahres, und zwar in dem ersten Satz, der hier als letzter kommt, des Lachers wegen:
Slotwrdijk und Sarrazin werden als bedeutendste Intellektuelle eingehen.
Ich habe nichts gekürzt. Und – jo, jawoll: Ohne die „Nuance“ (Slotwrdijk) eines Zweifels können weder Sarrazin noch der Modephilosoph ihrem Eingehen entgehen. Was für mich etwas Tröstliches hat wie so vieles in der Natur. Und falls die beiden ausnahmsweise nicht vergehen gleich den meisten Mode-„Intelektuellen“, nämlich mit der Mode, schafft das dumpfe Duo es womöglich sogar, in die Geschichte einzugehen. Aber nicht als Leuchten der Epoche, sondern als Diener eines Schattens, den weit, weit mehr Menschen haben, als es einem überzeugten Humanisten und Antiimperativen wie mir lieb sein kann.
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PS 1. Daß Sloterdijk – der als belesener Barbar auch die hübsche Science-Fiction-Übung der „Alternate history“ kennt* – unter allen vorstellbaren Weltgeschichten sich auf Anhieb für die eine unterscheidet, die auch nach drei Trilliarden Quantenverschiebungen nicht möglich wäre, überraschte mich schon. Eine Historie, in der dies passiert:
Aufgrund derselben Dispositionen biegen sich die Bibliotheksregale unter der Last von Hunderten faktensüchtiger Hitler-Biografien, indes man noch immer einen Roman vermißt, der zeigte, wie Adolf H. nach der Entlassung aus der Armee gemeinsam mit einem befreundeten jüdischen [!] Maler einen florierenden Postkarten-Laden in Salzburg eröffnete, bis er schließlich 1932 bei einer sommerlichen Alpenwanderung durch Steinschlag tragisch verfrüht ums Leben kam. Aus einem solchen Konjektural-Roman träte ein anderes 20. Jahrhundert ans Licht.
Unbestritten. Es ist bezeichnend, daß Sloterdijk dem Hitler Adolf zutraut, seinen obsessiven Antisemitismus, der sich lange vor dem Ersten Weltkrieg manifestierte, einfach so losgeworden zu sein, wie einen Schnupfen oder einen Blinddarm. Es erstaunt mich, daß dieser scheinwitzige Passus auch von den klügeren Kritikern überlesen worden ist. Oder habe ich Entsprechendes übersehen? Hinweise werden hier gern angenommen und bei Eignung verbreitet. (Merci schon jetzt!)
* Zu diesem Subgenre mehr im Aprilheft von Konkret: „Die Zukunft war gestern (19)“.
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PS 2. Soeben habe ich Georg Diez‘ ausgezeichnete Polemik – wo nicht Tomographie – der Sloterdijk‘schen Ideologie gelesen. Mit „Verächter der Wirklichkeit“ hat Diez (oder die Redaktion) eine brillante, Sloterdijks altdeutsche Verblendung knappestmöglich umreißende Überschrift gefunden. Wenn Sie‘s noch ertragen, klicken Sie unbedingt hier. Der erheblich gescheitere Diez stürzt die Afdischisten vor Wut in solche Atemnot, daß ihnen nur mehr Schnapplaute entweichen. Das hat eine gewisse, ungeheuerliche Komik:
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Dieses Vokabular. Diese Haltung. Und dann kommen die Wahlergebnisse rein. Der ächt deutsche Dämon ist nach unruhigem Schlaf wieder erwacht, nicht zuletzt dank anständiger Behandlung durch unsere Intelektuellen.
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Photo: „Piramide in Amsterdam“ by Dqfn13 (Own work) [CC BY-SA 4.0],
via Wikimedia Commons
Montag, 14. März 2016 0:38
Nun hatte ich bisher die letzte Maus, die der schlotternde Deich gebar, samt ihren medialen Nachgeburten erfolgreich ignoriert. Kann ich jetzt wohl nicht mehr (vielen Dank, Herr Sokolowsky!), habe aber noch nichts Schlaues zu sagen zum aktuellen Erguß.
Dafür aber, wie’s der Zufall will, ausgerechnet heute einen Artikel von Wolfgang Pohrt aus der Konkret vom Juli 1983 gelesen, in welchem Sloterdijks Erstlingshit mehr nebenbei erledigt wird – Hauptziel ist das deutsche Föijetong. das virtuose Über-Bande-Spielen Pohrts macht es schwierig, ein griffiges Zitat rauszugreifen, aber das hier ist doch schon ziemlich gut, finde ich:
„Die »Kritik der zynischen Vernunft« ist kein verbessertes, geschöntes Feuilleton, sondern der bloße Ausfluß von Sloterdijks gegen jede »Vernunftanstrengung« gerichteten kategorischen Imperativ: »Ihren Zwang« – also den der Vernunftanstrengung – »gilt es zu brechen. Man muß die kritische Sucht des Besserns auflösen, dem Guten zuliebe, von dem man sich auf langen Märschen so leicht entfernt. Ironischerweise ist das Ziel der kritischen Anstrengung das unbefangenste Sichgehenlassen.« Man muß Sloterdijk, der gern das »volle Leben« bemüht, immerhin zugestehen, daß er dem von ihm wie von Helmut Kohl oder Manon Maren-Grisebach hochgehaltenen Ideal der schwülstigen neuen Pausbackigkeit selber schon sehr nahe kommt, nicht durch des Gedankens Blässe angekränkelt und nicht durch Kopfwissen oder Sachkenntnisse belastet zu sein.“
War da sonst noch was in den letzten 33 Jahren?
Dank für das nicht unebene Zitat und pardon für die Störung Ihrer gerechten Ruhe! Die „33“ ist bestimmt ein Zufall, aber ein aparter … Ist diese Republik seither, in diesen 33 Jahren runtergekommen – ein Sloterdijk läuft als ihr prominentester „Philosoph“ herum! Es ist gut, wenn Sie das Elend übersehen konnten, lieber Thomas Küster, verpaßt haben Sie nichts als eine nur selten quirlige „Windbeutelei“ (Schopenhauer). KS
Montag, 14. März 2016 12:53
Ich bin gegen Sloterdijk geimpft, weil mein Vater ihn gern zitierte. Das ist angenehm, dadurch bleibt mir Zeit für andere Dinge.
Der Beitrag vom Diez ist von einer Qualität, daß ich ernsthaft bezweifle, daß er den selbst geschrieben hat. Am Ende des Textes erfüllt er allerdings den Redaktionsauftrag, indem er die Erwägung geostrategischer Strategien als Verschwörungstheorien abklassifiziert und „Putinversteher“ grundsätzlich rechts außen verortet. Außerdem kann mir, wer sich mit Fleischhauer eine Kolumne teilt, auch mit seinen klügsten Gedanken im Mondschein begegnen.
Diese Haltung leuchtet mir ein. – Was ich allerdings nicht kapiere: Wo hat Ihr Vater nur EINEN Satz Sloterdijks gefunden, der zitabel wäre? Das ist doch alles – laut vorgetragen erst recht – Blubberlutsch und pointenbefreit. Nu ja, Väter. KS
Dienstag, 15. März 2016 14:40
Zitabler Sloterdijk? In der Kindererziehung? Wie wärs hiermit, um dem Nachwuchs das Wannenbad schmackhaft zu machen:
„Das heitere Denkbild Schaum dient dazu, den Pluralismus der Welterfindungen wiederzugewinnen und damit eine philosophisch-anthropologische Deutung des modernen Individualismus zu formulieren, die über die bestehenden Beschreibungen hinausreicht.“
Naja, vielleicht auch nicht.
Was Diez angeht: Der Text ist wirklich großartig, und so ganz kann ich Andreas Schmids Kritik an den von ihm genannten Passagen nicht nachvollziehen. Dietz kritisiert ja nicht geopolitische Überlegungen generell, sondern die Sorte, nach der die USA an allem schuld sind. Und dass die Rechte ein „Pro-Putinismus“ ergriffen hat, lässt sich ja nun auch nicht von der Hand weisen. Keine der beiden Äußerungen von Diez lese ich als pauschale Abqualifizierung jeglicher Gedanken über geopolitische Strategien oder jeglichen „Pro-Putinismus.“
Was den Publikationsort angeht: ja, der ist natürlich höchst unappetitlich. Andererseits gibt es gar nicht mehr so viele Medien, in denen man sich nicht in unappetitliche Gesellschaft begeben würde.
Wem sagen Sie das, lieber Thomas Küster. – Auch Ihre Haltung kann ich gut nachvollziehen, wie die von Andreas Schmid. Und für das Sl.-Zitat danke ich energisch: So isser, der Topphilosoph, so raunt er, so nebelt er die Köpfe ein. – Nur ein Einwand: Diez ist, eine kürzlich erschienene „Spiegel“-Hefttitelgeschichte legt es nah, vermutlich wirklich überzeugt, daß Mißtrauen gegen die Berichterstattung Ost in dt. Medien auf Putinverehrung und Komplottwahn hindeutet. Aber Diez ist ein interessanter Autor auch dort, wo er danebenliegt. Andere haben dauernd recht und sind völlig unleserlich. KS
Montag, 8. April 2019 8:35
Es prokrastiniert sich zu gut beim Stöbern im alten Abfall. Diesem Stück (das frisch sich liest wie am ersten Tag – leider, angesichts des unerfreulichen Themas) entnehme ich einen Ausdruck, der eigtl. in die Umgangssprache hätte eingehen müssen: Afdischist. Das ist ja beinahe schon Joyceanisch (joycesk??), wie man da Afterfaschist zu hören meint und gleichzeitig Gesundheit wünschen möchte…
Und warum ist das von Ihnen heldenhaft aus dem Schlamm der SPON-Kommentare geborgene Juwel nicht längst ein geflügeltes Wort? Gott segne diese Geistesgröße! Warum läuft das nicht im TV in Dauerschleife untendurch, wann immer einer dieser Großintellektuellen den Afdischisten Rosen auf den Weg streut?
Wenn ich das wüßte, wäre ich Medien- und PR-Berater mit einem 10.000-Euro-Stundenhonorar. So aber bin ich bloß: KS