1834 = 2017

Der Hessische Landbote, erste Fassung, Ende Juli 1834:

Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben, und die wachen, diese Ordnung zu erhalten? Das ist die Großherzogliche Regierung. Die Regierung wird gebildet von dem Großherzog und seinen obersten Beamten. Die anderen Beamten sind Männer, die von der Regierung berufen werden, um jene Ordnung in kraft zu erhalten. Ihre Anzahl ist Legion: Staatsräte und Regierungsräte, Landräte und Kreisräte, Geistliche Räte und Schulräte, Finanzräte und Forsträte u.s.w. mit allem ihrem Heer von Sekretären u.s.w. Das Volk ist ihre Herde, sie sind seine Hirten, Melker und Schinder; sie haben die Häute der Bauern an, der Raub der Armen ist in ihrem Hause; die Tränen der Witwen und Waisen sind das Schmalz auf ihren Gesichtern; sie herrschen frei und ermahnen das Volk zur Knechtschaft. Ihnen gebt ihr 6,000,000 fl. Abgaben; sie haben dafür die Mühe, euch zu regieren; d.h. sich von euch füttern zu lassen und euch eure Menschen- und Bürgerrechte zu rauben. Sehet was die Ernte eures Schweißes ist.

Georg Büchner, vielleicht der größte Dichter, den wir Deutsche je hatten, ein Vulkan der Sprache und ein Feinschmied ihrer Formung, nicht zufällig das hohe Vorbild z. B. Franz Kafkas …! Und es ist bestimmt kein Ausrutscher, daß solche Zitate wie das oben gar keine Rolle spielten, als der geborene Werbetexter Jan Wagner neulich zum Büchner-Epigonen ernannt wurde. Es hat Methode, wenn eine intellektuelle und poetische Mittelmäßigkeit wie Wagner dem vermutlich höchsten Genie unserer Sprachnation gleichgerückt wird.

Sie wollen Büchner runterziehen – könnte man spekulieren, könnte man mit Indizien noch und noch pflastern. Dieser Saukerl Büchner weiß dem bourgeoisen Pack, das sein Erbe verhurt, einfach zu gut bescheid, redet zu klug, und deshalb wollen sie ihn auf das Niveau zerren, daß Jan Wagner ideal bewandert. Der kann keinen Rhythmus sauber, schaut nichts an, sieht nur sich, sieht alles wie ein Kunstgewerbler, und deshalb sehen seine Gedichte so aus wie Kartoffeldruckkopien von Smartphonephotos oder Nacherzählungen von Videoclips.

Jan Wagner ist kein Agent der Reaktion; er ist, so weit ich ihn reden höre und lese, ein Mann mit Moral, gutem Herz und ordentlicher Bildung. Doch ohne irgendeine Opposition gegen die waltenden Verhältnisse. Und – das finde ich schlimmer – ohne Augen für das, was gleich vor ihm steht. Wagner sieht nichts als Klischees, und seine modische Oberflächlichkeit sollen wir auch im Falle des Revolutionärs Georg Büchner ab sofort vermuten: Alles bloß Pose, Ironie, Rollenspiel!

Könnte klappen, wenn die interessierten, den Langweiler Wagner protegierenden Kulturbetriebler zusätzlich folgende Stelle ausradieren. Sie stammt wie der Bannfluch oben aus dem Hessischen Landboten, ist vom selben fackelgeistigen, kaum volljährigen Genie Georg Büchner, ist vom selben Christus und Spartacus des anbrechenden Maschinenkapitalismus verfaßt – und sie enthält alles, was seit dem vergangenen G20-Wochenende als verbotene Substanz wieder gelten soll:

Für das Militär wird bezahlt 914,820 Gulden.
Dafür kriegen eure Söhne einen bunten Rock auf den Leib, ein Gewehr oder eine Trommel auf die Schulter und dürfen jeden Herbst einmal blind schießen, und erzählen, wie die Herren vom Hof, und die ungeratenen Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher Leute vorgehen, und mit ihnen in den breiten Straßen der Städte herumziehen mit Trommeln und Trompeten. Für jene 900,000 Gulden müssen eure Söhne den Tyrannen schwören und Wache halten an ihren Palästen. Mit ihren Trommeln übertäuben sie eure Seufzer, mit ihren Kolben zerschmettern sie euch den Schädel, wenn ihr zu denken wagt, daß ihr freie Menschen seid. Sie sind die gesetzlichen Mörder, welche die gesetzlichen Räuber schützen, denkt an Södel! Eure Brüder, eure Kinder waren dort Brüder- und Vatermörder.

Und dagegen Jan Wagner:

warum sich tante mia wann genau
ein weidenkätzchen in die nase steckte,
verschweigt die geschichte. sicher ist: es wich,
je mehr sie es zu fassen suchte, stetig
zurück in seine dunkelheiten, weich
und weiß, ein hermelin in seinem bau.
Hier wortklingelt der digitale Biedermeierling, ein Motivationscoach der Sprache und Parkwart der Natur; fehlt beineben nur ein moderner Ludwig Richter für die 3D-Graphik. Und so was kriegt den Büchner-Preis?! Aber so ist es halt heute, im Jahr 1834, revisited. Dagegen hilft bloß Büchner lesen, am besten laut lesen, daß auch die Nachbarn es hören, dieses vollendete Stück deutschsprachiger Prosa, diesen Trost und Trotz:
Das Gesetz ist das Eigenthum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehrten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist sie, weil sie sich gerade theuer genug bezahlen läßt, um keine Bestechung zu brauchen.
Abb.: „Muston Büchner 1835“,
by Jean-Baptiste Alexis Muston [Public domain],
via Wikimedia Commons
 

 

20 Kommentare

  1. 1

    Lieber Kay!
    Ich muß mal wieder ein sehr großes Danke loswerden.
    „Büchner“ war bislang für mich eben nur der, der in meinem Kopf sofort mit „Büchnerpreis“ verbunden war – also nicht weiter Interesse bei mir weckte, wegen der wilderschen Hämorrhoiden.
    Mir aber im Zusammenhang mit ausgerechnet G20 zu zeigen, daß Büchner eben kein Arsch ist, von dem ich einfach nichts weiß, das ist einer der vielen Gründe, warum ich hier so gerne reinlese: Ich erfahre immer wieder Dinge, von denen ich nix wußte.
    Also noch einmal gegen alle Deine Zweifel, von denen Du oft genug geschrieben hast: Bitte, bitte immer weitermachen!
    (Büchner ist ab sofort auf meiner Bücherhallenliste.)

    Danke für den Ansporn! Und wenn Du grad in der Bücherhalle bist, nimm Herzogs/Kinskis „Woyzeck“-Verfilmung gleich mit. KS

  2. 2

    Der Bachmann-Preis wäre sicherlich angemessener gewesen, denn Wagner ist endlich mal wieder ein Dichter von Format. Peter Hacks, der die Verbindung mit dem Namen Büchner wie kein anderer deutscher Dichter der Nachkriegszeit verdient hätte, hat seine Ehrung verunmöglicht, indem er den sprachgewaltigsten Kämpfer der Entrechteten, den Erben Villons, Heines und Brechts, indem er also … es stockt der Gedanke … WOLF BIERMANN geschmähet hatte. Das dazu.

    Und bis zum Schluß hat er die DDR verteidigt, der Hacks – da hätte man den Preis ja gleich Hermann Kant verleihen können! Der ihn zweifellos verdient gehabt hätte. Der Büchnerpreis ist aber nun mal keiner für Sprachkunst, sondern so systemkonform wie die alten sozialistischen Kultur- und Staatspreise. Und diese Spitzenkräfte des bürgerl. Literaturbetriebs sitzen aktuell in der Büchnerpreis-Jury: Heinrich Detering, Aris Fioretos, Wolfgang Klein, Gustav Seibt, László Földényi, Michael Hagner, Felicitas Hoppe, Per Øhrgaard, Ilma Rakusa, Nike Wagner; Klaus Reichert. KS

  3. 3

    Der Flächenbombardierer Henry Kissinger hat den Friedensnobelpreis gekriegt und der Judenmordbeihelfer Hans Globke das Bundesverdienstkreuz. Und der Georg-Büchner-Preis geht halt an einen Kleinstkunstgewerbler wie Jan Wagner. Paßt schon irgendwie ganz gut ins häßliche Bild, oder? Womit ich natürlich nicht sagen will, daß der nette Kätzchendichter auch nur im Entferntesten was mit den beiden o. g. Schwerstkriminellen gemein hat.
    Es würde mich jedenfalls nicht groß wundern, kriegte demnächst so jemand wie der Dobrindt den Deutschen IQ-Preis. Oder die Merkel den Jacob-Grimm-Preis für ihre Verdienste um die kreative Entwicklung der deutschen Sprache. Und vielleicht wird die gruselige Frau Storch von der AfD bald Germanys Next Topmodel?
    Heutzutage muß man mit wirklich mit allem rechnen.
    PS.
    Ich bin heilfroh, daß sich die Tante Mia das Kätzchen bloß in die Nase gesteckt hat, und nicht in den Arsch. Da wär’s dem armen Dings nämlich echt beschissen ergangen. Obwohl: DAS Poem hätt ich schon gern gelesen!
    PPS.
    Scheiß drauf, ich mach’s mir einfach selbst! Ist ja auch ganz einfach:

    warum sich tante mia wann genau
    ein weidenkätzchen in den hintern steckte,
    verschweigt die geschichte. sicher ist: es wich,
    je mehr sie es zu fassen suchte, stetig
    zurück in ekle dunkelheiten, weich
    wie dichters birne und bald schon ziemlich braun,
    bestimmt: kein hermelin in seinem bau.

    Das gefällt mir aber erheblich besser als das Original, danke für den Lacher! – Über Kissinger las ich neulich in Howard Zinns vorzüglicher „Geschichte des amerikanischen Volkes“ dies:
    „Als Kissinger gefragt wurde, warum die USA das Leben der amerikanischen ‚Mayaguez‘-Besatzung gefährdete, indem sie auf Schiffe in unmittelbarer Nähe schossen, ohne zu wissen, wo diese sich befanden, nannte er dies ein ’notwendiges Risiko‘.“
    Immerhin warnt der steinalte Mordbrenner seit einiger Zeit vor weiteren Eskalationen gegen Rußland. Hört bloß niemand zu. KS

  4. 4

    Wagner ein Kleinkunstgewerbler? Darf man hier alles unter sich lassen, was einem so aus dem Hirn fällt? Man kann ja gern darüber streiten, ob der Büchnerpreis eine Ehrung ist, die ein Literat von Format eventuell ablehnen könnte oder sollte. Wobei der Standpunkt enorm an Überzeugungskraft gewinnt, wenn man selbst dem Literatur-Establishment schon den einen oder anderen Korb gegeben hat. Man kann sich auch darüber verständigen, daß es einen Gout hat, wenn eine bürgerliche Jury einen bürgerlichen Autor mit dem Namen eines revolutionären Genies schmückt. Aber einem Dichter die Sprachmacht abzusprechen, weil man sich pennälerdreist dazu berechtigt fühlt, ist für mich nicht hinnehmbar. Gehe Er in sich, Herr Pichmann!

    Lieber Andreas Schmid, Sie dürfen hier doch auch alles unter sich lassen etc. So z. B. Ihre mir recht unbegreifliche Verehrung für Jan Wagner. Aber vielleicht können Sie die bei Gelegenheit auch begründen; ich bin gern bereit, einen entsprechenden Text aus dem klandestinen Kommentarteil ins Blog zu übertragen. Nur keine Scheu! Ich – und sicherlich dito Kai Pichmann – lernen gern dazu. Gehen Sie in sich! KS

  5. 5

    Ach, der Kissinger hat so oft Scheiße erzählt, daß er’s sich wahrlich verdient hätte, hörte ihm tatsächlich keiner mehr zu; ich tu’s jedenfalls nicht. Da tät ich lieber noch eins von den harmlosen Wagnerschen Kätzchengedichtchen lesen. Und dann umdichten.
    PS.
    Grad denk ich noch mal drüber nach: Es ist echt ziemlich ekelhaft, daß der bürgerliche BRD-Hochliteraturbetrieb sich für einen seiner wichtigeren Preise ausgerechnet den sauberen Namen des Revolutionärs und bekennenden Anti-Bourgeois Büchner unter den halbschmutzigen Nagel gerissen hat. Und daß neulich eine Figur wie die notorisch selbstunbefriedigte Sibylle-“Halbwesen“-Lewitscharoff mit diesen Preis dekoriert wurde, scheint mir fast noch ekliger, aber durchaus folgerichtig. Vom systemkonformen Biermännchenmacher auf seinem kommoden Volkstribünchen ganz zu schweigen. Was ich in diesem Zusammenhang allerdings nicht recht begreifen kann: Wieso eigentlich ist ein so hochberühmter Wortkünstler wie der Karasek leer ausgegangen?
    Zu Hermann Kant, und ganz im Ernst: Ich glaub fast, der hätte den Preis abgelehnt, hätte er die Gelegenheit dazu bekommen. Dem sogenannten Klassenfeind hat er nämlich bis zum Ende nicht aus der Hand gefressen; der Mann hatte nicht nur seine deutsche Sprache im kleinen Finger, sondern auch seine Prinzipien im Kopf. Derentwegen der mehrfache DDR-Nationalpreisträger sich in im kleinbürgerlich-autoritären DDR-Sozialismus keineswegs immer pudelwohl fühlte – aber er wußte ganz genau, was die real existierende Alternative dazu war, resp. das sehr viel größere Übel. Was ja so ziemlich dasselbe war (und ist) wie das, gegen welches einst Georg Büchner so zornig anschrieb.

    Schlußfolgerung: Georg Büchner hätte den Büchnerpreis niemals bekommen. KS

  6. 6

    Lieber Kay,
    echt jetzt?
    Kinski?
    Ich mache es ja, wenn Du es empfiehlst, obwohl ich mit dem Klaus K. so gar nichts anfangen können will.
    Aber wenn Du Deine Empfehlung noch einmal bestätigst, will ich mal sehen, was ich (mir an-) tun kann.

    Lieber Karsten, vielleicht solltest Du besser nicht auf mich hören. Der kluge Dr. Roth aus Frankfurt teilt mir mit:
    „Du empfiehlst ‚Woyzeck‘ von Herzog? Der Film ist eine Katastrophe! Das üble Machwerk schlachtet eines der größten Dramen der Weltliteratur – Klamauk statt Klassenfrage.“
    Und mir fällt nchts Vernünftiges ein, dem Dr. Roth zu widersprechen. – Aber eine gedruckte Ausgabe der großen Werke Büchners solltest Du Dir auf jeden Fall ausleihen. Du wirst es nie bedauern. KS

  7. 7

    „Da hätte man den Preis ja gleich Hermann Kant verleihen können! Der ihn zweifellos verdient gehabt hätte.“ – Das finde ich auch und ich bin überrascht, das bei Ihnen zu lesen. Diese Überraschung ist Ihnen geschenkt, zumal es eine angenehme war.

    Lieber Andreas Laaß, das Geschenk nehme ich gern an. KS

  8. 8

    Ich habe hier keine Verehrung für Wagner unter mich gelassen, sondern mich gegen eine leichthin, kokett verbreitete Herabsetzung eines Autors verwahrt. Diesen Stil hätte ein Hermann Kant, da der Name schon mal im Umlauf ist, auch nicht sich selbst überlassen. Das Ansinnen, einen Menschen durch Nachweis seiner Qualitäten vor solchen Übergriffen zu schützen, weise ich zurück.

    Damit weise ich Ihr Ansinnen, Verächtern Jan Wagners das Maul zu verbieten, gleichfalls zurück. Und finde Kai Pichmanns Wagner-Parodie weiterhin origineller als das Silbengeklingel Ihres lebenden Lieblings- Top-Eleven-Dichters. Selber schuld – Sie hätten ohne Zensur Qualitäten nachweisen können. Ts, ts, ts. KS

  9. 9

    Ich habe niemandem das Maul verboten, allenfalls gewaschen. Jan Wagner ist nicht mein Lieblingsdichter, er ist nicht einmal unter den top ten. Das nimmt hier Formen an wie bei Maibritt Illner. Wir sollten es dabei belassen.

    Sie können belassen, was Sie wollen, aber mich mit Maibritt Illner zu vergleichen, ist so ehrenrührig, daß Sie bitte nicht von „wir“ reden. Zumal Sie sich hier in meiner Sandkiste auf meinem Spielplatz aufhalten. Zur Erinnerung. KS

  10. 10

    Kinski und H. Kant – beiden ist ja ein Manierismus eigen, der sie beide – oder ihre Schöpfungen – so interessant macht. Der Kantsche ist natürlich auch in großen Portionen zum Genießen, der des Kinski eher nur in geringen Dosierungen, daher ist der „Woyzeck“ mit ihm – trotz Herzog und dem Rothschen Verdikt – gelegentlich und angelegentlich zu empfehlen. Apropos Manierismus – ich bin mir nicht sicher, ob ich den Begriff im kunstwissenschaftlichen Sinne richtig verwende, bestehe also nicht darauf (dies nur, um unerquicklichen Diskussionen aus dem Wege zu gehen).

    Bestehen Sie ruhig, Sie haben nämlich – was Kant betrifft – recht. Bei Kinski würde ich eher von einer Masche sprechen als einer Manier, aber auch hier läßt der weit gedehnte Begriff „Manierismus“ sich noch anwenden. (Um fachmännischen Widerspruch wird gebeten.) KS

  11. 11

    Lieber Herr Schmid: Meinethalben kann der Jan Wagner tausend weiche Weidenkätzchen in tausend Tantennasen reinrutschen lassen, wenn’s ihm und andern Leuten Freude macht. Überhaupt ist Kunstgewerbe, gleich von welcher Größe, ja nichts Schlechtes; wenn’s denn halbwegs gekonnt angefertigt wird. Und das sprachliche Können sprech ich Ihrem poeta laureatus gar nicht ab. Nur hat – ich wiederhol mich – diese Art harmloser Wortdrechselei nie und nimmer verdient, mit dem guten Namen Georg Büchners ausgezeichnet zu werden!
    PS.
    Ich wär tatsächlich sehr viel lieber pennälerhaft dreist als alt und verbittert. Letzteres wurde mir schon gelegentlich unterstellt, ersteres, glaub ich, noch nie. Ich nehm’s einfach als Kompliment.
    Und wie der Blogherr find ich’s sehr schade, daß Sie sich nicht die Mühe machen mögen, das Wagnersche Œuvre zu verteidigen. Ein paar sachliche Argumente hätten mir beim etwaigen In-mich-Gehen nämlich möglichweise geholfen. Ich glaub, ich hab’s neulich schon mal hier aufgeschrieben: Ich bin unter anderem auch deswegen so gern zu Gast im „Abfall“, weil ich hier gelegentlich eines Besseren belehrt werde. Und natürlich, weil ich gelegentlich übergriffig sein darf. Wenn mir danach ist und wenn ich’s ordentlich begründen kann.

    Die grundlosen Bosheiten darf hier nämlich nur einer: KS

  12. 12

    Lieber Kay,
    das gedruckte Werk ist auf der Liste ganz oben.

    Brav! KS

  13. 13

    Sträflich lange hier nichts mehr gesagt; wo ich es jetzt mal wieder tue, entledige ich mich gleich des hier früher verwendeten Online-Pseudonyms „Thomas Küster“, denn was soll’s?
    Als großer Lyrik-Liebhaber kann ich mich nicht enthalten, zum Thema Jan Wagner etwas zu sagen. Kurzgefaßt läßt sich meine Einschätzung leicht fies zusammenfassen im Slogan: „Es gibt sie noch, die guten Verse.“ Ich glaube, damit tut man dem Dichter gar nicht so viel Unrecht, denn er sagt ja von sich selbst, daß er gerne über kleine Gegenstände dichtet.
    Ich habe mich mal in einen Manufactum-Laden verirrt und dort für einen gärtnernden Freund zum Geburtstag exquisit schönes und herrlich verarbeitetes japanisches Gartengerät erstanden, das sich auch in der Praxis aufs beste zu bewähren scheint. Ich habe also nicht prinzipiell etwas gegen „die guten Dinge.“
    Daher habe ich auch sehr wohl versucht, mich Herrn Wagners Oeuvre unvoreingenommen zu nähern, denn ich würde mich freuen, gäbe es mal wieder einen deutschen Dichter, der mich anspricht. Und ich finde, man muß Wagner zugestehen, daß seine Gedichte hübsche kleine Dinger sind, aber wo ist in ihnen etwas, das sie über Nippes fürs zerebrale Setzkästchen hinaushöbe?
    Lyrik muss meinetwegen nicht unbedingt die Gesellschaft umzustürzen trachten, um gut zu sein; sie darf auch gerne sich aufs Innere beschränken und dort etwas ins Wanken oder auch nur ins Schwingen bringen. (Ich bekenne: es gibt Rilke-Gedichte, die mich tief berühren.) Aber, dies ein rein subjektives Argument natürlich, Wagner entlockt mir nur ein großes Gähnen.
    Manche Rezensenten behaupten ja eine Abgründigkeit, die sich in der scheinbaren Schlichtheit der Gedichte verstecke. Da wird dann der metaphorisch zur vertrockneten Wespe mumifizierte tote Opa in „Laken“ angeführt, oder die mit Sarkophagen assoziierten Reisekoffer woanders.
    Das reicht mir leider nicht, das ist mir zu beliebig. Um mich also zu überzeugen, daß Wagner mehr bietet als Edelnippes, müßte man mir zeigen, wie eines seiner Gedichte tatsächlich abgründig ist, nicht nur behauptet.
    Wie gesagt, ob einen ein Dichter berührt oder kaltläßt, ist natürlich wirklich subjektiv. Deshalb sei weder Herrn Wagner geneidet, daß er von seinem Handwerk leben kann, noch seinen Lesern, daß sie daran ihre Freude haben. Ganz was anderes ist aber natürlich der literatursoziologische Aspekt der Angelegenheit, die Tatsache, daß Wagner Jahr für Jahr zwei bis drei Literaturpreise abräumt. Das nämlich ist ein ganz klares Signal, daß man, um in diesem unserem Lande Literaturpreise zu gewinnen, Nettes schreiben muß, das niemandem wehtut (oder natürlich Menschenfeindliches, das nur die linksgrünversifften Gutmenschen aufheulen läßt und nebenbei den Unmenschen zum Rebellen adelt, siehe Börnepreis.) Dafür allerdings kann der Wagner nichts. Man kann ihm ja nun nicht vorwerfen, daß er nicht der Dichter ist, den man sich wünschen würde.

    Wie schön, Sie nach eeewiger Zeit hier wiederzulesen, lieber Thomas Küster! Dafür schon mal ein großes DANKE. Und ein nicht minder großes für Ihre wohlbalancierte Wagner-Auslegung. Ich habe in meiner Polemik gegen den diesjährigen Büchnerpreisträger leider zu schwach betont, daß ich ihn durchaus für talentiert und einen Könner – in seinen Grenzen – halte. – Und wenn ich bitten darf: Kommentieren Sie bitte wieder öfter hier. Sie tun meinem Weblog gut (so wie alle kreativen Geister, die hier vorbeihuschen). KS

  14. 14

    Nachtrag: Auch von mir vielen Dank an Kai Pichmann für die Tante-Mia-Parodie. Wunderbar. Man könnte da ein Genre begründen.

    warum sich onkel herbert wann genau
    tomatenketchup in die haare schmierte,
    verschweigt die geschichte. sicher ist: der troff,
    je mehr er ein ihn zu massieren suchte, stetig
    über die nase hemdwärts, weich
    und rot, damit der rezensent denkt: blut.

    Ein Dichter, der SOLCHE Parodien provoziert, ist vielleicht doch interessant. Als Vorlagenlieferant jedenfalls. – Merci für die Variante! KS

  15. 15

    Lieber Kai Pichmann, nun zum dritten Mal an dieser Stelle: Jan Wagner ist nicht _mein_ Dichter. Auch wenn Sie jetzt wortreich zurück rudern, war der Anlaß für meinen Protest diese Ihre Zeile:
    „weich wie dichters birne und bald schon ziemlich braun“
    Da das ohne jeden Zweifel pennälerhaft und ehrenrührig ist, habe ich Sie gebeten, in sich zu gehen. Und auch das noch einmal: Ich werde niemandes Qualitäten beweisen, um solche Geschmacklosigkeiten wie die Ihre als solche zu kennzeichnen. Das sind sie so oder so.
    Daß die Ehrung Wagners mit Büchners Namen unangemessen ist, habe ich auch in drei verschiedenen Varianten zu Protokoll gegeben. Hierüber herrscht also Einigkeit. Da ich auch sonst mit fast allen Ihren Einlassungen in diesem Forum einverstanden bin, können wir das hiermit vieleicht dann doch endlich abschließen.
    Beste Grüße, Andreas Schmid

    Und ich verweise nach diesem Angebot zum Waffenstillstand auf den klugen Kommentar von Peter Remane. Damit können wir es dann vielleicht wirklich belassen. Oder? Kai? KS

  16. 16

    Freiwillige Gegendarstellung: Jan Wagner hat KEINE weiche Birne.
    Aber: dem weichen Kätzchen, das ich dem Wagner stahl, dem blieb ja gar nichts übrig als sich braun zu färben – an jenem dunklen Ort, an den ich es schließlich so pennälerhaft dreist verbannte. Oder?
    Und jetzt, lieber Kay und lieber Andreas Schmid, sehr gern auch von mir aus, Schluß damit. Denn wie einst schon der Herr Müller-Lüdenscheid in seiner Badewanne sagte: “Es gibt Wichtigeres im Leben.”
    PS. Peter Remane formerly known as Andreas Küster dank auch ich vielmals für seinen ebenso klugen wie unpolemischen Wagner-Kommentar. Und natürlich für die blutige kleine Pseudo-Wagnerei!

    Wie ich vor Jahren schon mal anmerkte: An Dir ist ein UN-Generalsekretär verlorengegangen. Aber noch bist Du jung genug für den Job! KS

  17. 17

    Lieber Kay
    Leider mußte ich in den letzten Tagen viel zu viel arbeiten, als daß ich mich dem „Woyzeck“ hätte widmen können. Immerhin steht er aber inzwischen neben „Dantons Tod“ in meinem Büchnerregal.
    Trotz aller Arbeit habe ich immerhin Zeit gehabt, eine ganz andere Verfilmung zu entdecken.
    Du findest sie hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=BLBrjnL-QuY
    Ich selbst habe nur den Anfang angesehen, weil ich mir die Lektüre ja nicht spoilern lassen wollte.
    Ich habe aber vom gleichen Regisseur Kafkas „Verwandlung“ und Tolkiens „Herr der Ringe“ geguckt, und fand beides recht anschaubar.
    Ich bin also gespannt auf Deinen Vergleich zu Herzogs/Kinskis „Klamauk“ (Dr. Roth).

    Der Film ist schon recht lustig gemacht, hat aber mit dem „Woyzeck“ noch weniger zu tun als die Kinski/Herzog-Adaption. – „Büchnerregal“ ist übrigens ein prima Kalauer! KS

  18. 18

    Ach, für DEN Job müßte ich ja wohl einen Anzug tragen, oder? Und mir vermutlich ständig das Maul waschen. Und da hab ich, mit Verlaub, überhaupt keine Lust drauf!

    Ich finde, daß ein Anzug Dir sehr gut stehen würde. KS

  19. 19

    Dann können wir den Wagner ja ad acta legen. Ich hätte fast schon angefangen, mich ernsthaft mit seinem Getüftel zu beschäftigen. Aber dann lese ich doch auch lieber Büchner.
    Der Lenz war für mich eine der einschneidendsten Literaturerfahrungen in der Schule. Eines der wenigen Bücher, denen die Behandlung im Deutschunterricht absolut nichts anhaben konnte. Danach habe ich alles von Büchner gelesen und höchstens die Hälfte verstanden; aber der Hessische Landbote war unmißverständlich.
    Falls ein bißchen Reklame für die guten Taten eines Onlinefreundes gestattet ist (sonst einfach weglassen bei der Endkontrolle):
    Büchners Werk gibt es für die eBook-Affinen in einer schön gestalteten, kostenlosen ePub-Ausgabe bei Mobileread:
    http://www.mobileread.com/forums/showthread.php?t=224923
    Dieser wie auch die weiteren Uploads des Erstellers „pynch“ bei Mobileread sind uneingeschränkt zu empfehlen und teilweise wahre Wunderwerke des eBook-Handwerks. So etwas wie seine Virginia-Woolf- oder James-Joyce-Ausgaben kann man gedruckt lange suchen.

    Grandiose Empfehlung, danke dafür – solcherlei Reklame ist hier immer erwünscht! KS

  20. 20

    Und ich bin dann mal weg. Wenn ich schon riskiere, im Sandkasten der Eitelkeiten eine Schippe auf den Kopf zu kriegen, muß sich das auch lohnen.

    Reisende soll man ja nicht aufhalten – aber die Schippen hier sind im härtesten Fall aus Weichplastik. (Einen Vergleich mit Bosbach verkneif ich mir deshalb.) KS

Kommentar abgeben (Kommentare unter Moderation - Regeln siehe HIER)

Math Captcha *Zeitlimit überschritten. Bitte füllen Sie das Captcha noch einmal aus.