2017: Die Abrechnung
Dieses Weblog ist kein Hort des Frohsinns, das weiß niemand besser als ich. Auch im verstrichenen Jahr habe ich den „Abfall“ vor allem dazu benutzt, meinen Zorn zu verklappen, meine Fassungslosigkeit und mein Entsetzen. Während ich jedoch beim Polemisieren und (Achtung, Blödwort:) Polarisieren halluzinieren kann, meine Ohnmacht vor den Verhältnissen würde durch das Wort transzendiert, müssen Sie, geschätztes Publikum, meine schlechte Laune ertragen, obwohl Sie davon vielleicht selber mehr als genug haben.
—Es steckt so viel Christenmensch in mir, daß ich wenigstens zum Fest der Geburt unseres HErrn mal was Tröstliches bloggen und allen Leserinnen und Lesern widmen möchte, die meine Wutausbrüche tapfer erduldet und die Zuversicht bewahrt haben, daß ich irgendwann mal wieder was Nettes und Heiteres anzubieten habe.
—So was wie „Dear Satan“ zum Beispiel. Dieser Cartoon des Künstlerkollektivs Anomaly London ist eine Weihnachtsgeschichte, die mit ihrer visuellen Gestaltung ebenso zu entzücken weiß wie mit ihrer Moral. Und Patrick Stewart, der das Märchen aus dem Off erzählt, könnte ich sowieso stundenlang zuhören, einfach um meine Ohren in seinem kultivierten Bariton zu baden (Verzeihung für die Metapher):
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Wenn jedoch sogar der Fürst der Finsternis mit der richtigen Ansprache in einen guten Kerl verwandelt werden kann, besteht eventuell noch Hoffnung für eine Spezies, die‘s eigentlich verkackt hat.
—Einer, der diese Hoffnung nie aufgegeben hat, ist der englische Sänger und Songwriter Billy Bragg. Ich gebe zu, daß Braggs Schaffen mir bis vor wenigen Tagen nahezu unbekannt war. Am 23. Dezember jedoch hörte ich auf NDR Info in den „Nachtclub Classics“ eine Sendung zu Ehren des Künstlers, der am 20. Dezember seinen 60. Geburtstag feierte. Diese Collage aus Musik und Interviewzitaten, die Harald Mönkedieck ebenso kenntnisreich wie liebevoll zusammenstellte, füllte bei mir eine echte Bildungslücke und dürfte auch altgedienten Bragg-Verehrern gefallen. Sie finden die Sendung – noch – in der Mediathek des NDR.
—Neben Stücken aus Braggs jungen Jahren waren auch einige neue Lieder zu hören, und eines davon hat mich nachgerade elektrisiert. Es trägt den schönen Titel „There will be a reckoning“ und ist eine mitreißende Kampfansage an Rassisten, Sexisten, Homophobe und andere Feinde der Humanität. Die Courage und den sozialistischen Geist des Songs kann ein Verzagter wie ich allemal brauchen, und vielleicht tut es auch Ihnen gut, einem klugen und feinen Mann dabei zuzuhören, wie er von einem Tag der Abrechnung nicht nur träumt, sondern fest überzeugt ist, daß der Tag kommen wird. In diesem Sinne: happy holidays!
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