Nullenquartett (2): Michael Jürgs


Darf man das – einen Verstorbenen als Musterbeispiel für Journullismus hin- bzw. bloßstellen? Und ihn so auf die Nachwelt bringen: als reaktionären Petitbourgeois, dessen Haß auf die Plebs bloß durch sein Schmocktum übertroffen wird? Man darf nicht nur, man muß. Ehe jemand auf die Schnapsidee verfällt, den zu Lebzeiten schier unausweichlichen Schmalspurschwätzer Michael Jürgs
als Vorbild für den schreibenden Nachwuchs zu reanimieren, will ich hier seine Plattfußspuren konservieren. Und beispielhaft an ihm demonstrieren, wie wenig Charakter sowie Talent nötig, nein, wie Opportunismus und schlechter Stil strikt erforderlich sind, um ein Liebling unserer Qual.medien zu werden.
Der nachfolgende Verriß erschien erstmals in LITERATUR KONKRET 2009,
und ich habe für die Neuauflage fast nichts korrigieren müssen.
K. S.

***

Der enthemmte Biedermann

Michael Jürgs: Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden. München 2009.

Wer mal Chefredakteur des Stern war und anschließend über Romy Schneider, Axel Springer und Alzheimer Bücher verfaßte, die keinen anderen Zweck erfüllten, als ihren Autor in all die Schwafel-Shows zu befördern, in denen über Romy, Axy und Alzy geschwatzt wird, als gäb’s keinen Morgen nach so viel Umnachtung, der sollte besser den Mund halten, wenn’s um Verblödung geht, denn er steckt bis zum Hals im Fettnapf, aus dem er frißt.

Michael Jürgs will nicht schweigen. Hemmungslos quatscht er 250 Buchseiten voll mit seiner Verachtung für die Doofheit der Massenmedien und die doofen Massen, die „DSDS“ einschalten statt mal wieder „ein gutes Buch“ in die Hand zu nehmen, z. B. eins von Michael Jürgs. Aber so doof sind die Massen nun auch wieder nicht. Schließlich verdanken Figuren wie Jürgs allein der Dummheit der Welt, daß sie Figur machen dürfen, statt zum Gespött zu werden, wenn sie ein Wort wie „wortvergewaltigungstätig“ zusammennageln, halbgebildet vom „Rohstoff Bildung“ quallen und unter Poesie exakt dasselbe verstehen wie Ralph Siegel: „Wolke, Sonnenuntergang, Mondschein, Meeresstrand, Himmel, Liebe und Sehnsucht“. Weil, leider, niemand ihn auslacht, glaubt Jürgs, komisch kommen zu müssen und streut komplett witzfreie Kalauer à la „Anal-Phabeten“ über sein Anus-Kript. Und so was schimpft auf Charlotte Roche!

Seichtgebiete ist nicht nur ein Paradebeispiel für Phrasisäertum, sondern ein rechter Dreck. Ekler als alle C-Stars und Trash-Entertainer, als all die Bohlens und Schönebergers scheinen Jürgs nämlich die „Prolos“, die „Zielgruppe ALG 2 abwärts“, wo „die Hauptnahrung der Eltern flüssig ist“. Da schöpft er aus der Tiefe eines Ressentiments, das der Kleinbürger unbedingt pflegen muß, weil die „stinktierähnlichen Bewohner“ da unten, im „Bodensatz der Gesellschaft“, ihn ständig daran erinnern, wo er vor sich hinmümmeln müßte, wäre die Welt von kollegial kollaborierenden Schmöcken so frei wie sein Buch von klugen Sätzen. Er nimmt den Armen krumm, daß sie arm sind und sich nicht verstecken, statt still zu verrecken, mit Sonnenuntergang, Wolke etcetera. Doch die „Debilen mit Berufsziel Hartz IV“ sind dauernd in seinem Fernseher zu besichtigen, und das kann Jürgs, der Armut ausschließlich aus dem Fernsehen kennt, nicht ertragen. Zugang zum Bildschirm sollten allein Leute wie er erhalten, der Kulturkritiker mit der eingebauten Mattscheibe. Er, der genau weiß, wie man sich entblödet, nämlich durch: „Duftende Sprache. Berührende Melodien. Faszinierende Erzählungen. Blühende Bilder. Rockende Rhythmen.“

Jeder Punkt gleicht einem Loch im Kopf. Kein Wunder, daß so viele Menschen lieber auf ihren Kopf verzichten. Die Kulturutopie des Michael Jürgs ist ein Seichgebiet. Wer sich hier wohlfühlt, den unterscheidet von den Fans Dieter Bohlens und Mario Barths nur eines: Er hat noch weniger zu lachen. Und das geht ja gar nicht.


Freitag, 21. Oktober 2022 23:46
Abteilung: Director's Cut, Qualitätsjournalismus, Unerhört nichtig

2 Kommentare

  1. 1

    *Journullismus*
    Welch hervorragende Wortschöpfung!
    Das einzige Problem, das ich darin sehe, ist: wie um alles in der Welt toppt man so etwas in diesen Zeiten, wo statt einer Null eigentlich eher etwas im negativen Bereich angesiedeltes Pate für diese Berufsbezeichnung stehen müßte …?

    Ich glaube, daß ich den Begriff „Journullismus“ schon seit einiger Zeit toppe, und zwar mit dem Neologismus „Qual.medien“. Wenn DER Terminus mal zu einem viralen Twitter-Hashtag werden sollte, kann ich mich zufrieden zur Ruhe setzen. Wenigstens für zwei Wochen. KS

  2. 2

    Vielen Dank für die Wiederbelebung dieser Texte, Herr Sokolowsky. Bitte sagen Sie mir, dass Sie bereits einen entsprechenden Hieb auf Egghead von Hirschhausen in der Schublade haben!

    Nein, nichts in der Schublade und auch kein echtes Interesse. Was zu diesem traurigen Clown zu sagen ist, hat Harald Schmidt bereits gesagt. Und da ich Hirschhausen keine zehn Sekunden lang beobachten kann, ohne physischen Widerwillen zu entwickeln, muß mir schon ein richtig fettes Honorar geboten werden, bevor ich mich in diesen Fall vertiefe. Als Schmerzensgeld und für die Beruhigungsmittel. KS

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