Arbeiterverbräter
Daß man auf meine Vorhersagen besser nichts geben bzw. daß ich mich bloß nicht mehr als großes Orakel aufplustern sollte, habe ich einigermaßen selbstkritisch, sogar reuig Ende Februar zugegeben. Weder die Kanzlerwahl Olaf Schlzens noch den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine hatte ich prophezeit, vielmehr für unwahrscheinlich bis absurd erklärt. Peinlicher, trauriger konnte ich gar nicht danebenliegen.
—Aber jetzt habe ich mal wieder rechtgehabt, und das will ich – aus Eitelkeit ebenso wie Notwendigkeit – gleich notieren, auch in der Hoffnung, das Büßerhemd irgendwann ausziehen zu können. Es trägt sich nämlich schlecht und fängt schon an zu riechen.
—Im Juliheft der Zeitschrift KONKRET hinterließ ich folgende Glosse:
Ähnliche Verachtung wie die Sozialdemokratie für die Opfer des Systems beweist auch die befreundete IG Metall für ihre Proletarier. Im laufenden Tarifstreit der Metall- und Elektroindustrie fordert Gewerkschaftschef Jörg Hofmann eine Lohnerhöhung um sieben Prozent, was angesichts der aktuellen Teuerungsrate auf realen Lohnverlust hinausläuft. Aber mit der Realität möchte Hofmann sich nicht so gern beschäftigen. Seine Forderung orientiert sich stattdessen am frommen Wunsch der EZB nach einer Inflation von zwei Prozent. Würde man die echten Zahlen zur Grundlage nehmen, gibt Hofmann selber zu, „dann wäre unsere Forderung zweistellig“. Und weil die Expropriateure nur 4,7 Prozent mehr anbieten, wird am Ende wie immer ein fauler Kompromiß stehen, der den Expropriierten wie eine kalte Dusche vorkommen dürfte. So bereits geschehen in der Stahlbranche, deren Arbeiter trotz enormer Firmenprofite mit 6,5 Prozent Lohnanstieg, verteilt auf 18 Monate, abgespeist werden. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, höhnt schon mal vorab: „Wir werden allesamt Abstriche machen müssen.“
Vorgestern meldete, zu meiner grimmen Befriedigung, die Qual.presse, sichtlich bemüht, aus arbeiterfeindlicher Scheiße kapitalistenverträgliche Bonbons zu machen (Hervorhebungen von mir):
In der größten deutschen Industrie verdienen die vier Millionen Beschäftigten bei Autoherstellern, Maschinenbau und anderen Firmen in einer schwierigen Inflationszeit bald deutlich mehr. Die Gehälter steigen um 5,2 Prozent von Juni 2023 an, und dann um 3,3 Prozent ab Mai 2024. Hinzu kommt eine Pauschale von 3.000 Euro, in zwei Teilen ausgezahlt nächstes Jahr und ein Jahr später. Die Bundesregierung hat die Tarifeinigung erleichtert, in dem sie diese Inflationsprämie von Steuern und Sozialabgaben befreit. Von den 3.000 Euro bleiben den Arbeitnehmern also viel mehr übrig als bei normalen Gehaltszahlungen. Der Tarifvertrag läuft auf Wunsch der Arbeitgeber mit zwei Jahren besonders lange.
Süddeutsche.de, 18.11.2022
Die IG Metall hat es also fertiggebracht, hinter meinen trüben Schätzungen noch zurückzubleiben. Dieser Tarifabschluß liegt nicht nur weit unterhalb der Inflationsrate, die seit Monaten bei zehn Prozent verharrt. Er ist überdies ein gußeiserner Knebel für die Proletarier der Branche: In den kommenden 24 Monaten dürfen sie keine außer wilden Streiks veranstalten, um etwas gegen ihre Verarmung zu tun. Und in solchen Fällen kann, d. h. wird die Polizei mal zeigen, auf wessen Seite sie im Zweifel niemals steht; von den Arbeitsgerichten zu schweigen.
—Peter Schwarz kommentierte das erbärmliche Ergebnis eines mehrmonatigen Arbeitskampfs auf der „World Socialist Website“ so unbarmherzig, wie es sein muß:
Die IG Metall und der Arbeitgeberverband Südmetall haben in der Nacht zum Freitag zum dritten Mal in Folge eine Reallohnsenkung für die Metall- und Elektroindustrie vereinbart. Wenn der neue Tarifvertrag am 30. September 2024 ausläuft, werden sich die knapp vier Millionen Beschäftigten der Branche für ihren Lohn ein Viertel weniger kaufen können als im April 2018, als die IG Metall zum letzten Mal eine tabellenwirksame Tariferhöhung aushandelte. […]
—So wird die erste Tariferhöhung um 5,2 Prozent erst am 1. Juni 2023 wirksam, obwohl der alte Tarifvertrag bereits Ende September 2022 auslief. Die IG Metall hat also einer Nullrunde von acht Monaten zugestimmt. Die zweite Tariferhöhung von 3,3 Prozent tritt im Mai 2024, fünf Monate vor Ablauf des Vertrags, in Kraft.
—Auch die Inflationsprämien von jeweils 1.500 Euro werden erst im Februar des kommenden und übernächsten Jahres ausbezahlt. Aus „wirtschaftlichen Gründen“ kann die Auszahlung zudem um bis zu sechs Monate nach hinten verschoben werden. […]
—Die IG Metall ist beim Angriff auf die Löhne und auf die Arbeitsplätze die wichtigste Stütze der Unternehmen. Sie vertritt nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die der Konzerne und ihrer Aktionäre.
So was kommt eben heraus, wenn eine neoliberale SPD-Parteisoldatin – natürlich unter Ausschluß der zahlenden Basis – zur Chefin des DGB gewählt wird, weil ihre Kumpane und Kumpaninnen in der Direktion aufs Fußvolk pfeifen und schön nach des lieben Genossen Olaf Fiedel tanzen.
—Zur Bonzin Yasmin Fahimi demnächst mehr, viel mehr. Das letzte Wort aber soll wie einst in meiner prophetischen Glosse der unverhohlen feixende Vertreter des Kapitals haben:
„Gleichzeitig haben wir aber auch immer betont, daß wir die Nöte unserer Beschäftigten angesichts der Inflation ernst nehmen und wir zu einer fairen Verteilung der Lasten bereit sind“, sagte [der Verhandlungsführer des Kapitalistenverbandes Südwestmetall]: „Dies spiegelt dieser Abschluß wider.“
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Photo: „XRF-maakana’s treachery“,
by Xavier Romero-Frias [CC BY 3.0],
via Wikimedia Commons
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Montag, 21. November 2022 10:13
Und doch möchte man darauf wetten, dass es irgendwo da draußen in der Welt der journalistischen Welterklärer eine Karikatur gibt, auf der ein Metallarbeiter mit Stahlhelm und „IG-Metall“-Zeichen zu sehen ist, der auf einem Ast sitzt und mit einer Säge, die mit „Lohn-Preis-Spirale“ beschriftet ist, an seinem Ast sägt, auf dem wiederum „möglicher Aufschwung“ oder ähnlicher Dumpfsinn steht.
Na, Sie wissen, wie der Qual.karikaturist arbeitet, Reschpekt! Und ich könnte wetten, daß ich irgendwo im WWW so was Ähnliches gesehen und sofort weitergeklickt habe … KS
Montag, 21. November 2022 13:38
Ernst nehmen, bereit sein; euphemistisches Gedudel fürs Nixtun.
Betruuch, eingewickelt in Worthülsen.
Auf das „viel mehr“ über die übeleitle und fehlgeprägte Yasmin freue
ich mich schon jetzt. Kann‘s kaum erwarten.
Beste Grüße
Ich lasse Sie noch ein wenig schmoren; aber nicht allzu lange. KS
Montag, 21. November 2022 19:02
Lieber Kay Sokolowsky,
zwei Erinnerungen dazu, die haben sicher keinen allgemeingültigen Wert, aber das, was ich seit Jahren da beobachte, zieht mich auch nicht wieder zurück. Meinen Respekt aber nach wie vor vor Kolleginnen und Kollegen, die sich um gute gewerkschaftliche Arbeit bemühen, die soll es ja auch geben.
Dank und Gruß
Ihr Udo Theiss
Berlin 1. Mai 1980, viel Sonne und um die 30 Grad, seit ein paar Monaten in der Stadt und Gewerkschaftsmitglied, meine erste Teilnahme an einer Demonstration. Nicht aus eigenem Antrieb, ein Freund, Maschinenschlosser, IG-Metaller, überredete mich dazu, ich hätte an diesem verfrühten Sommertag sicherlich anderes unternommen. Ob wir an der Demonstration dann überhaupt noch teilgenommen haben, daran erinnere ich mich nicht, aber daran sehr genau: die IG-Metall hatte in modernisierter Form ein Kaiserpanorama aufstellen lassen, hinter den Gucklöchern sah man aber keine Fotos in 3D, sondern Kurzfilme, Metaller wurden gezeigt bei der Arbeit, aber sprachlos – wir sahen uns nur an, dem Freund war es schmerzhaft peinlich, was SEINE Gewerkschaft da für Werbung hielt (das gehörte zu der Überredung: komm mit, ich zeige dir, was eine RICHTIGE Gewerkschaft ist, ich war ja bei der Bau-Steine-Erden, bekannt als verschnarchter Haufen) – hat uns gemacht, wie sie diese Installation nannten: Peepshow. Vermutlich fanden die das witzig.
Ein zwei Jahre später bekam ich Post von MEINER Gewerkschaft. Als ich den Brief geöffnet hatte war ich zunächst etwas erschrocken und dann aber sehr sehr wütend. Das Machwerk sah aus wie ein Erpresserbrief aus einem billigen TV-Krimi, aus der BZ oder BILD ausgeschnittene Großbuchstaben in rot und tiefschwarz und auf eine DIN A4-Seite geklebt und dann kopiert, wir, die Gewerkschaftsmitglieder wurden mit den daraus gebastelten Wörtern aufgefordert, gegen die Hausbesetzer, gegen diese Chaoten zu demonstrieren, weil die nehmen uns doch die Arbeitsplätze weg. Ich packte meine Wut in eine schriftliche Form und trat unter Protest aus aus diesem Verein.
Ja, ich weiß, selber was tun und so weiter. Habe ich damals auch drüber nachgedacht. Aber den Rest hat mir gegeben: meine damalige Freundin studierte, hatte folglich einen etwas anderen Tagesablauf als ich, und so kam mir zur Kenntnis: zwei Mal, einmal so um 10 h morgens, das andere Mal so um 14 h nachmittags, klingelte Tage später jemand von der Gewerkschaft und wollte mit mir sprechen, darüber. Ich bitte um Nachsicht, ich war jung und unerfahren und das machte mich noch wütender: schon um meinen Akkordtarifvertrag mal abzuholen musste ich mir frei nehmen, von wegen der Öffnungszeiten zu den üblichen Arbeitszeiten. Nun gut, warum sollten sie es schlechter haben als ich. Aber dann jemanden loszuschicken, der da jeweils einen halben Tag unterwegs gewesen sein muss (ich wohnte damals nicht in Berlin sondern in Spandau), um mich während dieser üblichen Arbeitszeiten zu Hause antreffen zu wollen, hatten die nichts Besseres zu tun? Oder vielleicht mal fragen, auf welcher Baustelle ich tätig bin, wenn es denn schon zwischen 7 (bzw. 8) und 16 h sein muß? Oder sich erfolgversprechender die kürzere Zeit dafür zu nehmen, statt durch die ganze Stadt zu gondeln mir zu schreiben?
Lieber Udo Theiss, vielen Dank für Ihre lebhaften Erinnerungen an den Umgang, den die Gewerkschaft mit Ihnen pflegte bzw. pflog!
Natürlich gibt es immer noch Gewerkschaftsfunktionäre, viele sogar, die mit dem richtigen – wie heißt das heute? – „Spirit“ arbeiten und organisieren. Bezeichnenderweise kommt keiner von denen auch nur in Riechweite der Führungspositionen. Sie leisten die Kärrnerarbeit, die später von den Fahimis entwertet wird. Und sie machen trotzdem weiter, weil sie die Kollegen nicht im Stich lassen wollen. Ihnen gebührt mein voller Respekt.
Doch ich wünsche mir sehr, daß diese guten Leute endlich mal den internen Aufstand wagen. Ohne die bis zur Erschöpfung organisierenden und mobilisierenden Gewerkschafter an der Basis sind die Bonzen stantepede erledigt. – Die Idee „Gewerkschaft“ ist eine der edelsten und klügsten der jüngeren Zeitgeschichte. Ich habe es kotzsatt, wie diese Idee von den Korrumpels in der Leitungsebene für und für beschmutzt wird. KS