Der Frühling kommt mit großen Schritten!
Eine Beschwörung in drei Szenen
—
DER CHEF. Darf ich jetzt gucken?
DIE CHEFIN. Auf keinen Fall!
DER CHEF. Und warum nicht?
DIE CHEFIN. Willst du ihn verscheuchen?
DER CHEF. Nein, aber …
DIE CHEFIN. Willst du daran schuld sein, daß es so saukalt bleibt? Kannst
—du das verantworten?
DER CHEF. Nein, aber …
DIE CHEFIN. Geduld – Geduld mußt du haben! Wie oft soll ich dir das noch
—sagen?
DER CHEF. Ja, aber wir liegen jetzt seit Stun-den auf diesem Eisboden und
—kneifen die Augen zu, und nichts passiert.
DIE HERDE. Stimmt, hat er recht!
DIE CHEFIN. Also, ich finde, daß es schon ein bißchen wärmer geworden
—ist.
DIE HERDE. Stimmt, finden wir auch!
DER CHEF (leise). Arschkriecher.
DIE CHEFIN. Wie bitte?
DER CHEF (hastig). Mein Arsch kniept. Ist doch kein Wunder.
DIE HERDE. Sein Arsch kniept! Auch das noch!
***
—
DER CHEF. Ich glaub, da war was.
DIE CHEFIN. Was?
DER CHEF. Ich glaub, ich hab was gehört.
DIE CHEFIN. Wo?
DER CHEF. Dahinten im Rhododendron. Ich müßte mal nachsehen –
DIE CHEFIN. Das läßt du schön bleiben. Die anderen reißen sich auch
—zusammen. Da wirst du mal ein paar Minuten darauf verzichten können,
—den dicken Max zu markieren.
DIE HERDE. Genau! Immer den dicken Max markieren könnten wir auch.
—Tun wir aber nicht!
DER CHEF (leise). Das wird Folgen haben, ihr Lumpen.
DIE CHEFIN. Wie bitte?
DER CHEF. Ich hab gesagt: Wollen uns nicht lumpen lassen, wenn das hier
—vorbei ist.
DIE HERDE. Das haben wir gehört! Ich bin heut abend Erster bei der
—Fütterung. – Nee, ich! – Das hättest du gern! – Die Kleinen nach vorn!
DIE CHEFIN. Sch-scht! Lärm mag er nicht, das hab ich euch tausend Mal
—erzählt.
DER CHEF. Woher weißt du das eigentlich alles? Daß der Frühling erst
—dann kommt, wenn niemand mit ihm rechnet? Daß er denkt, wir
—würden nicht mit ihm rechnen, wenn wir uns platt hinlegen und
—die Augen schließen? Das hast du dir doch ausgedacht. Oder?
DIE CHEFIN (kühl). Das weiß ich von meiner Mutter.
DER CHEF. Ach so.
DIE CHEFIN. Was soll das heißen: „Ach so“?
DER CHEF. Nichts. „Ach so“ heißt „ach so“.
DIE CHEFIN. Ich kenne diesen Ton in deinem Geblök. Du konntest meine
—Mutter ja nie leiden.
DER CHEF. Sie mich auch nicht.
DIE CHEFIN. Sie hatte ihre Gründe.
DER CHEF (cholerisch). Sie hatte verdammt noch mal keinen einzigen
—Scheißgrund! Sie war bloß scheißeingebildet, weil ich aus dem
—Scheißwald stamme, und weil ihre Scheißfamilie seit Ewigkeiten
—in diesem Scheißpark auf nobel macht.
DIE CHEFIN (sehr kühl). Es ist auch meine Scheißfamilie.
DIE HERDE (hält kollektiv den Atem an).
DER CHEF (müde). Als könnte ich das je vergessen.
***
—
DER CHEF (leise). Drei Stunden. Seit mindestens drei Stunden liegen wir
—rum wie die Enten. Ich werde Eiszapfen pinkeln. Falls ich überhaupt je
—wieder pinkeln werde. Diese Schmach! Aber das zahl ich ihr heim. Wenn
—der Jungspund ihr nächstes Mal auf die Pelle rückt, laß ich ihn einfach
—machen. Der soll sie durchs Gehege jagen, bis ihr der Heiligenschein
—runterfällt. Und wenn sie mich um Hilfe bittet, werde ich nur sagen:
—„Tut mir leid, Schatz, ich bin etwas steif in den Knochen. Muß mich wohl
—verkühlt haben.“ (Er döst ein. Wind zischelt.)
DIE HERDE (stöhnt kollektiv auf).
DER CHEF. Was ist denn los?
DIE CHEFIN. Ihr sollt nicht gucken – nicht gucken!
DIE HERDE. Ich guck ja nicht! – Klara hat mich gebissen. – Hab ich nicht.
—– Hast du wohl! – Ich guck wirklich nicht. – Das war keine Absicht,
—Klara hat mich gebissen! – Du spinnst doch, Harald. Chefin, der Harald
—spinnt!
DIE CHEFIN. Na, Merci an alle. Morgen das Gleiche noch mal.
DER CHEF. Ihr habt gehört, was die Chefin gesagt hat. Klara, Harald –
—heute keine Karotten.
DIE HERDE. Recht so. – Diese Blödiane! – Wo gibt‘s denn hier Karotten?
—– Es war echt keine Absicht, Chef! Chefin!
DER CHEF (brüllt). Und Schnauze halten bis zur Dämmerung!
DIE CHEFIN (kleinlaut). Aber ein bißchen wärmer ist es wirklich geworden.
Aufgezeichnet im Hirschpark, Hamburg-Blankenese, am 24. März 2013