Aus der Asservatenkammer (1)
Ich mache, was ich hier mache, damit ich meinen Spaß habe (und sogottwill das Publikum auch). Ein Weblog nach Feierabend zu betreiben, ist jedoch kein Vergnügen, sondern mit Plackerei und Schlafentzug verbunden, und daher passiert hier seit Jahresbeginn fast nichts. Freilich hat die Betriebsruhe im „Abfall“-Entsorgungspark mittlerweile ein Stadium erreicht, das sogar mir zu statisch ist; also muß ich nun mal was tun.
Zum Glück gibt es etliche hundert Texte, die ich bloß auf Holz und sonst nirgends veröffentlichte. Weil viele dieser alten Werke es nicht verdient haben, auf der Festplatte zu verschallen, werde ich, bevor hier gar nix mehr passiert, von Zeit zu Zeit ein Teil herausholen, auf das ich weiterhin mit Wohlgefallen blicke. Solche Zweitverwertungen sind wenigstens Lebenszeichen, und eventuell finden sie hier eine Leserschaft, die sie einst vergeblich suchten.
Zwischen April 2021 und März 2022 veranstaltete ich in Kooperation mit KONKRET eine Satireserie namens „Hofgespräche“: Einszener (darf man das sagen?), in denen das Fußvolk die Großkopferten reizt, bis die sich zur Kenntlichkeit entblößen. Aus gegebenem Anlaß hole ich heute jenes Stück aus dem Depot, in dem Bundesklimaschutzhansel Habeck seinen großen Auftritt hatte. Ich glaube, daß ich ihn damals treffender charakterisierte als heuer eine Kompanie SPIEGEL-Redaktoren zusammen. Aber das ist, zugegeben, noch keine Kunst.
K. S.
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Habeck reflektiert
(Berlin, Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen, Lagerraum. Fahlgelbes Neonlicht.)
Robert Habeck (zieht ein Tuch von einem Standspiegel und mustert sich). Ich hab mich nicht verändert. Ich bin, wer ich bin.
Spiegel. Das sagen sie alle. Und ich muß es mir anhören und weiß, daß es Quatsch ist.
Habeck. Ach, mein guter alter Zauberspiegel – immer noch die große Klappe und die miserable Laune!
Spiegel. Laß du dich mal hier unten einsperren und bleib dabei fröhlich. Zwei Jahre! Seit zwei Jahren steck ich in diesem Kerker und kein Aas redet mit mir. Warum hast du mich nicht irgendwo im Ahrtal abgestellt? Da hätte ich wenigstens in Frieden ersaufen können.
Habeck. Na, sachte, sachte, lieber Spiegel. Ich war ständig unterwegs, hatte wahnsinnig viel um die Ohren. Wenn ich dich nicht versteckt hätte, wer weiß? Womöglich hätte die Annalena dich in die Finger bekommen. Wärst du dann glücklicher gewesen? Wärst du überhaupt mal zu Wort gekommen?
Spiegel (brummt etwas Unverständliches).
Habeck. Siehst du. Also krieg dich wieder ein und sei mir der unbestechliche Ratgeber, als den ich dich immer geschätzt habe.
Spiegel. Wozu brauchst du denn meinen Rat? Bist doch zwei Jahre bestens ohne mich ausgekommen. Oder etwa nicht? Ist die Kacke bei eurem Koalitionsgeblödel derart am Rauchen?
Habeck (alle folgenden Habeck-Zeilen sind O-Töne). Wir haben einige Entscheidungen getroffen. Auch solche, die ich falsch finde. Aber nicht so viele.
Spiegel. Es reicht ja schon eine einzige falsche Entscheidung und der schönste Rest ist nichts mehr wert. Ihr seid zur Wahl angetreten, um die Erderwärmung aufzuhalten, und nun kungelt ihr mit den CO2-Junkies von der FDP. Jeder Veganer, der beim Abdecker arbeitet, ist glaubwürdiger als ihr.
Habeck. Mit diesem Verständnis sind wir in Verhandlungen gegangen und haben intensiv mit unseren Partnern gerungen. Und das Ergebnis ist gut.
Spiegel. Welches Ergebnis bitte? Die Wahl ist Monate her und Merkel regiert immer noch. Und Spahn. Und Scheuer. Und Klöckner. Und –
Habeck. Es ist, daß wir als Land den Sinn für die Möglichkeiten weiterentwickeln. Für das, was wir möglich machen. Gekitzelt zu werden von dem Versuch, auf unbekanntes Terrain zu gehen – Schritt für Schritt, um nichts kaputt zu machen, ohne Husarenstreich-Propaganda.
Spiegel. Jetzt seid ihr Spaßvögel schon ein Land? Oder mehr ein unbekanntes Terrain? Und kitzlig seid ihr auch? Was denn noch?
Habeck. Wir sind zerbrechlich.
Spiegel. Das sagst du dem Richtigen. Und wenn ihr an der FDP zerbrecht, was gibt’s dann? Auch sieben Jahre Pech?
Habeck. Wir müssen für den Notfall üben.
Spiegel. Darum laßt ihr euch mit solchen Politkatastrophen wie Lindner und Scholz ein – um zu üben?
Habeck. Das Jahr 2021 hatte schicksalhafte Dimensionen. Wie bei einer griechischen Tragödie. Da gibt es Wirkungskräfte, die bringen Menschen in Positionen und rufen Entscheidungen hervor. Und dann muß man damit leben. Das ist größer als das, was man planen kann.
Spiegel. Du liebes bißchen, geht’s auch eine Nummer kleiner?
Habeck. Es scheint eine Hoffnungszeit zu sein. Und wir haben die Aufgabe, diese Hoffnung nicht zu enttäuschen.
Spiegel. Kleiner, Robert, kleiner!
Habeck (wie im Rausch). Der möglicherweise epochale Wechsel ergibt sich aus der Möglichkeit, aus einem Vielklang in Verantwortung einen Einklang herzustellen. Und dafür haben wir in den vergangenen zwei Wochen im Zusammenspiel mit den anderen die ersten Töne angeschlagen.
Spiegel. Von Musik verstehst du immer noch genausowenig wie von gelungenen Vergleichen. Wie steht es mit Naturwissenschaften? Bist du da inzwischen schlauer geworden?
Habeck. Die Natur ist nicht nur eine gutmeinende Umgebung, sondern geballte Kraft und Energie.
Spiegel. Dann sind doch alle Energieprobleme gelöst, hurra! Und die armen Schlucker da draußen müssen sich keine Sorgen mehr machen, wie sie demnächst die Heizung bezahlen sollen.
Habeck. Vollständige Übernahme der Heizkosten lädt immer dazu ein, daß man dann die Heizung aufdreht und das Fenster aufmacht, sozusagen. Es sollte schon einen Anreiz geben, sorgsam mit Energie umzugehen.
Spiegel. Ist das jetzt dein neuer Einklang mit der FDP?
Habeck. Es gibt natürlich eine Reihe von sehr gut laufenden Regierungen, wo CDU und Grüne gelernt haben, miteinander klarzukommen. Aber deswegen war der Weg für uns natürlich trotzdem kürzer und die FDP hat den längsten Weg zurückgelegt. Und das bedeutet erst einmal, daß sie Anspruch auf Anerkennung und Respekt hat. Das hat die Liberalen Kraft gekostet und dafür kann man auch mal Danke sagen.
Spiegel. Da werden sich alle schön bedanken, denen ihr vor kurzem noch den „ökologisch-sozialen Umbau“ versprochen habt.
Habeck. Es gibt Punkte, die uns fordern, von denen ich noch nicht genau weiß, wie ich sie finden soll, an denen wir aber auch lernen können, beispielsweise die Aktienanlage in der Rente.
Spiegel. Also Heizung aus und Depot eröffnen? Damit man sich im Alter eine Tüte fürs Leergutsammeln leisten kann?
Habeck. Die Gesellschaft ist hoch politisiert, hoch neugierig und hoch auf Orientierungssuche, das spürt man überall.
Spiegel. Und mir kommt’s hoch, Robert, je länger ich dir zuhören muß. Würdest du mich bitte wieder zudecken? Ich kann mein Spiegelbild nicht mehr ertragen.
Habeck. Das bessere Bild wäre, man schaut, daß man aus den Gegensätzen, die ja erkennbar da sind, irgendeine interessante, intelligente, kreative Dynamik entfachen kann.
Spiegel. Hör auf mit deinen Metaphern, um Himmels willen, die sind noch gräßlicher als dein Opportunismus und dein Kumpelgetue! Sag halt, daß du geil auf einen Regierungsposten bist und dafür alle Überzeugungen opfern würdest, die du eh nie hattest.
Habeck. Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.
Spiegel. Na also, geht doch. Und nun zieh mir das Tuch über, ich habe dir nichts mehr zu sagen.
Habeck (schmollend). Aber ein Glutkern der Verhandlungen –
Spiegel. Es reicht! (Zerspringt.)
(Vorhang.)
Zuerst erschienen in KONKRET 12/21
Photo: „Fearing The Mirror“,
by David S. Soriano (CC BY-SA 4.0),
via Wikimedia Commons
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Donnerstag, 15. Juni 2023 11:59
Gut und treffend, aber fast noch harmlos. Der Mann kann, Gott sei’s geklagt, mehr als das. (Mehr mag ich nicht schreiben, weil Kritik ja heutzutage gleich justitiabel ist. Und das — also daß ich deswegen nichts schreibe — finde ich noch viel schlimmer. Ich, die ich immer mein Maul aufgerissen habe.)
Und schon diese Selbstbeschreibung könnte Ihnen als „staatsdelegitimierend“ ausgelegt werden. Große Zeit, diese Zeit! KS