Blütenpresse
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Die Novemberausgabe meiner Lieblingszeitschrift Konkret bringt eine Polemik von mir (die auch online zu lesen ist). Das Pamphlet richtet sich wider all die bigotten Aufklärer, die behaupten, das Schimpfwort „Lügenpresse“ sei weiter nichts als Schimpf, und jeder, der die Lügen der Presse anprangert, eine Schande für die Demokratie und ein Zersetzer des Staats. Gleich zu Beginn behaupte ich:
Die biegsame Behandlung von Tatsachen ist [der Presse] eingeschrieben wie die Verachtung der Sprache, die sie zu beherrschen meint.
Da die Zeichenzahl auf Holz limitiert ist, konnte ich meine Behauptung nicht belegen. Das hole ich nach. Aber erst mal hol ich aus.
—Von den Kollegen bin ich ja Kummer gewohnt. Deshalb erschüttert mich mehr, welch ein Desasterdeutsch die Ausbilder des Journalistennachwuchses verbrechen. Sie haben sich einen Stil genehmigt, für den, zu Recht, jeder Achtkläßler nachsitzen müßte. Diese Damen und Herren Journalistikdozenten und -professoren aber dürfen ihre stupende Unfähigkeit in sprachlichen Angelegenheiten sogar lehren. Da darf man sich freilich nicht verwundern über den Wortquark, den die Presse breit tritt.
—In der Anthologie Lügenpresse. Anatomie eines politischen Kampfbegriffs tobt sich das akademische Führungspersonal gänzlich unlektoriert aus. Es gibt freilich Texte, die lassen sich durch keine Korrektur retten, die müssen sofort vergehen. Irene Neverla, Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg, hat so ein Trumm gezimmert, und ich kann bloß hoffen, daß Neverla von ihren Forschungsobjekten (u. a. „Visuelle Kommunikation“) mehr versteht als von verbaler Kommunikation. Denn davon hat sie nicht mal den Abglanz eines Schimmers einer Ahnung. Sie schreibt z. B., der Begriff „alternative Fakten“ sei
ein Rückzug in eine Weltsicht, die lediglich durch einen ideologischen Glauben und weiter nicht begründet werden muß.
Und morgen, liebe Kinder, suchen wir zunächst einen Glauben und dann eine Weltsicht, die frei sind von Ideologie. Das kann dauern. Prof. Neverla schmiert sich derweil warm:
[Die] Abwehr von Faktizität und Vernunft ist nicht neu, sondern war kontinuierlich seit Beginn der Aufklärung im 18. Jahrhundert deren schattenhafte Begleiterscheinung, die immer dann heftig aufflammte, wenn technologischer und sozialer Wandel besonders intensiv anrollten.
Ein Schatten, der aufflammt? Dergleichen ereignet sich nur in Neverlas abergläubischer Weltsicht. Doch wo ein Wandel rollt, da muß auch der Diskurs sich benehmen wie die wilde See:
Der anti-aufklärerische Diskurs ist historisch nicht neu, aber die Vehemenz, mit der er heute aufbrandet, ist doch verstörend.
Allerdings nicht halb so verstörend wie die Vorstellung, daß solch eine Autorin befugt ist, über die schriftlichen Arbeiten von Studenten zu urteilen. Was sie da wohl anstreicht? Schauriges Deutsch sicherlich nicht, für so was vergibt sie bestimmt Fleißsternchen. – Einmal in Fahrt, brettert Neverla jede Schranke zwischen Realität und Blödsinn nieder:
Die Vermutung liegt nahe, daß der hohe Aggressionspegel im Internet auch auf die Offline-Realität überschwappt.
Da lebt diese Frau in der Sturmflutstadt Hamburg und hat immer noch nicht den Unterschied zwischen Wasser, das allerdings schwappen kann, und dem Pegel, der nur ein Maßstab ist, kapiert. Oder macht sie das absichtlich, pardon, „absichtsvoll“?
[Es] gibt faktisch keine Belege für absichtsvollen Betrug durch die Medienmächtigen.
Die gibt es sehr wohl und abertausendfach, doch die Professorin ordnet die einschlägigen Nachweise vermutlich unter „alternative Fakten“ ein. – Schlimm ist Neverlas Deutsch, schlimmer noch der Quatsch in ihrem Gequatsche. Von den USA behauptet sie, es habe dort
ausschließlich private und damit kommerziell ausgerichtete Medienunternehmen.
Sie kennt also nicht mal National Public Radio, obwohl NPR täglich 800 Stationen mit nichtkommerziellen Beiträgen beliefert. Wäre ich Journalistikdozent, ich ließe Neverla durchfallen und würde mir die Empfehlung, es lieber mit einem nützlichen Beruf zu versuchen, einem, in dem es nicht so aufs Schriftliche ankommt, kaum verkneifen. Ich bin aber kein Dozent und bezweifle, daß eine Universalexpertin für Schund sich von einem Schandmaul wie mir was empfehlen ließe. Ich möchte trotzdem darum bitten, daß Prof. Neverla bitte nie wieder von „wir“ redet, wenn ich im Raum stehe. Sie dekretiert nämlich:
Wir erwarten von den Beiträgen der „Tagesschau“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine Witzerzählungen, sondern seriöse und geprüfte Nachrichten.
Spitzenwitz! Und übermorgen, liebe Kinder, gucken wir die „Tagesschau“ im kommerziellen TV. (Das geht garantiert schnell vorüber.)
—Bevor ich Irene Neverla wieder in ihre universitäre Filterblase bzw. poetische Echokammer entlasse, nun noch ein Schnelldurchlauf in habilitierter Stilblütenzucht:
Hat das Projekt Aufklärung etwa übersehen, daß
Was bildet heute den speziellen Nährboden für die Wiederentdeckung
Ein fortschreitender Prozeß, der sich in Schüben immer wieder verdichtet
Offline-Realität
Die erforderlichen Reflexionen dazu sind in Gang gekommen
Es ist ein Grauen, das sich in Schüben verdichtet, und jede Reflexion geht am Stock. „Offline-Realität“ … Wie kann ein gebildeter Mensch so was hinkritzeln und nicht sogleich vor Scham im Nährboden versinken?
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Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gemeinsam mit den Fakultätskolleginnen Nayla Fawzi und Magdalena Obermaier hat er für Lügenpresse! einen recht aufschlußreichen Aufsatz mit dem Titel „Die ‚Vertrauenskrise‘ der Medien – Fakt oder Fiktion?“ verfaßt. Das Trio hat die einschlägigen Demoskopien inspiziert und ist zu einem Schluß gekommen, der alle Aufregung über die „Lü-gen-pres-se!“-Brüller für überflüssig erklärt (und mithin das Buch, in dem folgender Satz steht):
Ein dramatischer Vertrauensverlust über die gesamte Gesellschaft hinweg läßt sich mit seriösen Studien schlicht nicht belegen.
Das statistische Material des Aufsatzes ragt weit hinaus über all das Gewäsch und Gewichs des übrigen Buchs. Aber deutsch können auch diese Kommunikationsforscher leider nicht. Sie schreiben von einem
Vertrauensverlust in die Medien
obwohl kein Mensch „in“ etwas verlieren kann und die korrekte Formulierung „Verlust des Vertrauens in die Medien“ nun wirklich nicht so schwierig ist. Doch sauberes Deutsch interessiert den Kommunikationsforscher zuletzt, jedenfalls in den eigenen Publikationen:
Die sehr allgemeine Frage nach „den Medien“ […] lädt offenbar zu eher negativeren Pauschalurteilen ein.
Solch eine Komparativdoppelung ist eher suboptimaler. – Setzen, fünf.
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Seid ihr noch da, liebe Kinder? Dann gebt mal acht, was Norbert Schneider mitgebracht. Der Herr war u. a. Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (wat all givt!) und verantwortet in seinem Beitrag zu Lügenpresse! die wahnsinnigste Metapher des gesamten, von Blödsinn durchtränkten Buchs. Seid ihr so weit? Gut, dann los:
Solange nämlich die Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, sitzt auf diesem Ast auch die übrige Gesellschaft. Bricht der Ast, dann rauscht die ganze Gesellschaft ins Bodenlose. Denn es gibt keinen zweiten Baum mit ähnlich tiefen Wurzeln, auf den man in solchen Fällen einfach umsteigen könnte. Also muß man alles dafür tun, damit das Sägen aufhört und der Ast sich erholen kann.
Erstens: Wer ins Bodenlose rauscht, der kann auf gar nichts steigen, denn er hat ja nichts unter den Füßen. Zweitens: Bricht ein Ast am Baum, dann reicht als Ersatzsitz ein anderer Ast desselben Baums. Das Problem, das Schneider beschwört, wäre erst eins, zerbräche der Stamm. Aber der Mann ist gelernter Theologe, also kennt er nur ein heiliges Wort. Mit allen anderen Wörtern treibt er, was ihm gefällt, also Hallodri. Drittens: Ein angesägter Ast erholt sich nicht, sondern stirbt ab. (Ausnahmen nimmt die Landesforstdirektion entgegen.)
—Kein Wunder bei solcher Verschmocktheit im Stil, daß der Norbert Schneider den Karl Kraus nicht leiden kann und in die ideologische Nähe zu Goebbels rückt. Verbreiter intellektuellen Mülls hassen nämlich nichts mehr als die gerechte Abfuhr und benehmen sich entsprechend gehässig.
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Tobias Gostomzyk ist Professor für Medienrecht am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Man kann nur hoffen, daß er sein Fach besser im Griff hat als Stil und Grammatik. Über die Verifizierung von News in sozialen Medien bemerkt Gostomzyk:
Die Prüfung durch Menschen ist hier gewiß besser, hat aber gemessen an der Vielzahl der Informationen ein Mengenproblem.
Nein, hat sie nicht. Sie hat allenfalls ein Problem mit der Menge. Doch bring den Unterschied mal einem deutschen Professor bei! Der müßte dafür ja die eigene Sprache erlernen. Und das ist ihm viel zu anstrengend. Dann lieber schwarze Schimmel züchten oder
unwahre Tatsachen
Ach – Schluß für heute, liebe Kinder, mein Hirn zerbröselt!–Und, o weh, eh daß ich‘s mich verseh, werd ich zur Journalistikprofessur berufen.
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Wird vielleicht fortgesetzt.
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Photo: „Lady folding newspaper origami boxes“,
by jam_232 [CC BY 2.0],
via Wikimedia Commons
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Mittwoch, 15. November 2017 5:11
Lieber Kay!
Vielen Dank! Es ist heutzutage sehr wichtig, wenn es Leute gibt, die als weithin leuchtendes Beispiel dem allgemeinen Sprachzerfall den Spiegel vorhalten!
Doch für Norbert Schneider muß ich in diesem Fall leider eine Lanze ins Korn werfen, ich habe nämlich durchaus schon mal einen angesägten Ast gesehen, der sich wieder erholt hat! Es kommt nämlich nur darauf an, wie doll solch ein Ast angesägt ist. Ist der Ast doll angesägt, hast Du natürlich recht, der bricht ab, ist ein Ast aber nur leicht angesägt, erholt sich solch ein Ast, das kann man als wissenschaftlich bewiesen ansehen! Außerdem ist ein Ast, auf dem man sich zum Sitzen niederläßt, meistens ein dicker, sonst würde man sich ja gar nicht erst auf diesen Ast setzen, sondern woanders hinsetzen. Es setzt sich ja niemand freiwillig auf einen dünnen Ast, wo kämen wir da schließlich hin, wenn sich hier jeder das Recht herausnähme, auf einem dünnen Ast zu sitzen?
Zweitens:
Es gibt in rauhen Anzahlen Cartoons, in denen ein Protagonist auf einem Ast sitzt und daran sägt (siehe bspw. Disney, Tom & Jerry, etc.). Noch nie (!) habe ich in solchen oder ähnlichen Cartoons einen sich darunter befindenden Ast gesehen, auf den man sich hätte setzen können, falls der erste Ast bricht.
Mit dieser Spitzfindigkeit an Norbert Schneider befindest Du dich leider auf dem falschen Holzdampfer!
Trotzdem: Sprache pflegen finde ich mega!
Weiter so!
Daniel Lüdke
Nein, ich hab in einem Punkt schon recht: Man braucht keinen zweiten Baum, um sich auf einen anderen Ast setzen zu können. KS
Mittwoch, 15. November 2017 19:59
„Was die Lues übriggelassen hat, wird von der Presse verwüstet werden. Bei den Gehirnerweichungen der Zukunft wird sich die Ursache nicht mehr mit Sicherheit feststellen lassen.“
Hätte Karl Kraus gewußt, daß man in dieser Zukunft sogar noch Lehrstühle errichten würde für Journalistik – er hätte vielleicht nicht von Syphilis gesprochen, sondern von Krebs. Die Presse ist der Tumor, jedes Medienwissenschaftlerchen eine Metastase.
Zum Glück gibt es immer noch gutartige Varianten. KS
Mittwoch, 15. November 2017 22:54
Dein Hirn zerbröselt?
Was soll ich dazu als mittelmäßiger Hauptschüler (und nix dazugelernt) sagen?
Du willst mich damit nur unnötig verwirren. Ich brauche keinen Kompaß, der mir erzählt, in welche Richtung der Wind scheint, um das zu erkennen.
Lieber Kyle, Sie verwirren mich noch viel mehr. Ich begreife einfach nicht, was Sie mir sagen wollen. – Übrigens: Der Wind scheint nicht, er weht; und selbst wenn es bloß scheint, als würde er wehen, kann der Wind nicht scheinen. Das sollten Sie unbedingt dazulernen. KS
Donnerstag, 16. November 2017 18:57
„Der Wind scheint nicht, er weht; und selbst wenn es bloß scheint, als würde er wehen, kann der Wind nicht scheinen. Das sollten Sie unbedingt dazulernen.“
Ich weiß diese Lehre durchaus zu schätzen.
Mein ursprüngliches Kompaßplagiat (Quelle https://www.youtube.com/watch?v=b5I94bT23cQ / Min. 2:30) ward gleich anfänglich deines Beitrags vom aufflammenden Schatten inspiriert. (schwelend waere z. B. in Bezug auf aufflammend passender) …
Schleimfrei mag ich auch deine sonstige inter’brett’ative Zerlegung dieserart verzweifelten Desasterdeutsch.
Dies ist leider keine Seltenheit und man möge sich dutzende mehr Hoden wünschen, um den Schmerz des ‚auf den Sack gehend‘ verteilend zu mindern.
K
Dann wird’s aber eng in der Hose. KS