Archiv für die Abteilung 'Director’s Cut'

Das war’s. War’s das?

Sonntag, 31. Dezember 2023 17:54


Still ist es hier gewesen übers Jahr. Es würde mich nicht wundern, wenn seit vielen Monaten kein Mensch mehr hat nachsehen mögen, ob es in diesem Blog was Neues zu lesen gibt. Nun ist nichts Falsches an der Stille, und ein Segen liegt auf der Ruhe, aber eine Art Notizbuch, in dem nichts notiert wird, hat in gewisser Weise keine Art.

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Abteilung: Director's Cut, Inside "Abfall", Qualitätsjournalismus, Selbstbespiegelung, Sokolowsky anderswo | Kommentare (5) | Autor:

Aus der Asservatenkammer (2)

Donnerstag, 29. Juni 2023 0:02


Heute vor 91 Jahren wurde Ror Wolf geboren.
Das ist ein sehr guter Grund zu wiederholen, was ich 2022 zu seinem 90. Geburtstag veröffentlichte. Ich kann es heute nicht besser schreiben als damals, bloß anders.
Aber was soll das?

K. S.


Am Rand der Dinge

Als ich meinen Meister und Freund, den Dichter Ror Wolf, das letzte Mal sah, war er 87 Jahre alt und lag in einem zerwühlten Krankenhausbett. Beim Abschied versprach ich ihm, mein nächster Besuch werde oben auf dem Kupferberg stattfinden, in seiner Wohnung mit dem herrlichen Blick über die Mainzer Altstadt, und es werde sicherlich auch etwas getrunken und gelacht und der Welt insgesamt eine Harke gezeigt werden. Ich hoffte wirklich darauf, aber recht glauben konnte ich den eigenen Worten nicht. Wenige Tage später, am 17. Februar 2020, starb er.

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Abteilung: Director's Cut, Litterarische Lustbarkeiten | Kommentare (2) | Autor:

Friere auf Erden

Samstag, 24. Dezember 2022 0:01



Der kleine Maurer mit den Bügelflaschen
Es war ganz abscheulich kalt, es schneite, und es begann, dunkler Abend zu werden. In dieser Kälte und in diesem Dunkel ging auf der Straße ein kleiner Maurer mit einer ungeheuren Beule am Kopf und nackten Füßen. Er hatte ja freilich seine schweren Schuhe mit den Metallkappen angehabt, als er am Morgen zu Hause wegging, aber was konnte das helfen! Es waren unverwüstliche Schuhe, sein Lehrmeister hatte sie zuletzt benützt, als er vom Gerüst zehn Stockwerke in die Tiefe gestürzt war, so unverwüstlich waren sie. Diese Schuhe hatte der kleine Maurer verloren, als er bei der Weihnachtsfeier auf der Baustelle mit den Kollegen um die Wette getrunken.

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Abteilung: Adventskalender, Director's Cut, Erzählungen | Kommentare (0) | Autor:

Götzinnenverehrung

Donnerstag, 3. November 2022 0:03



Beim Stochern im Haufen alter Schriften fiel mir auf, daß ich immer wieder mit Nullen abgerechnet habe. Denn die bourgeoise Welt ist voll solcher Nichtsnutze. Eine Politikerin zum Beispiel, die ich zum Fressen, bis ich kotze, gern hab’, hätte es fast in mein „Nullenquartett“
geschafft, mußte aber im Stapel bleiben, weil ich eine reine Herrenrunde brauchte.

Nun hätte „Abfall“-Kundin Tiffany Aching sich etwas wünschen dürfen, aber aus Gründen, die ich nicht kenne, hat sie darauf verzichtet. Ein anderer Kunde, der mich – sehr nett – per E-Mail überfiel, aber namenlos bleiben will, hatte hingegen einen Wunsch – und, siehe!, er galt der Frau, die sich in ihrer Nullität vor keinem Mann verstecken muß und deshalb beinahe im Quartett gelandet wäre. Und weil mir heute nach Wunscherfüllung ist, tu ich dem anonymen Leser den Gefallen, der sonst verfallen wäre. Zumal mir der Wünscher verriet, er sei mal in das Objekt meiner Gemeinheit „verliebt“ gewesen – „na ja, so von fern und nur so ein bißchen“.
Das gleich folgende, halbsatirische Porträt enstand an einem backsteinheißen Augustwochenende, doch man merkt der Sache, glaube ich, den Schweiß nicht an, den ich beim Tippen vergoß. Für die Neuauflage habe ich ein paar Sätze reanimiert, die bei der Erstveröffentlichung in KONKRET 9/2020 platzhalber auf der Strecke blieben. Nachdem ich eine Handvoll stilistischer Unzulänglichkeiten aufpoliert habe, ist dies jetzt bzw. jetzt erst recht ein, um es althamburgisch zu sagen, ßtarkes ßtück.
K. S.

***

Die Weinbergschnecke

Ach Julia! Ist deiner Freude Maß
Gehäuft wie meins und weißt du mehr die Kunst,
Ihr Schmuck zu leihn, so würze rings die Luft
Durch deinen Hauch.
Shakespeare

When I cannot sing my heart
I can only speak my mind, Julia
The Beatles


Julia Klöckner ist nicht zu stoppen noch zu toppen.

Gewiß, die Konkurrenz im Kabinett bemüht sich nach Kräften. Da waltet zum Beispiel ein Verkehrsminister, der aberhundert Millionen Euro versenkte, weil er überzeugt war, daß der Europäische Gerichtshof mit CSU-Spezln genauso verständnisvoll umgeht wie die Richter in Bayern. Der Chef des Gesundheitsministeriums hat nicht nur zu Beginn der Corona-Pandemie umfassend versagt, er möchte auch unbedingt die Patientendaten von 73 Millionen gesetzlich Versicherten an die Industrie verschenken. Der Außenminister wiederum hat es sich zum Ziel gesetzt, die Entspannungspolitik seines Parteiheiligen Willy Brandt auf keinen Fall zu wiederholen und jeden Putsch gutzuheißen, bei dem die CIA mitmischt. Nicht zu vergessen der Finanzminister und Möchtsogernkanzler, der es für seinen Auftrag zu halten scheint, Steuer- und Bilanzbetrug jenseits der Milliardengrenze bloß nicht zu ahnden.

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Abteilung: Director's Cut, Kaputtalismus, Unerhört nichtig | Kommentare (3) | Autor:

Nullenquartett (5): Joker

Mittwoch, 26. Oktober 2022 22:32



D
ie folgende Supershortstory ist, glaube ich, eines der drei besten Stücke, die ich, als ich für die „Taz“ noch schreiben mochte, auf der „Wahrheit“Seite unterbrachte, und zwar im Januar 2010.
Weil die Anekdote wirklich sauber gebaut und echt flott erzählt ist, weil ich zudem nur zwei kleine Stellen an meinen aktuellen Geschmack anpassen mußte, gönne ich ihr jetzt, nach Abschluß der „Nullquartett“-Staffel, den Bonusstatus. Ich hoffe, daß Sie, liebe Leserin, werter Leser, Ihren Spaß haben.
K. S.

***

In der Höhle

„Allahu akbar!“ Nun ging das wieder los. Der Gefangene zog ein saures Gesicht. „Ashhadu an la ilaha illa llah!“ Die hatten doch gerade erst auf den Bäuchen gelegen. „Ashhadu anna Muhammad rasulu llah!“ Rief der Muezzin zum Mittagsgebet? Oder war es schon Abend? Durch den dicken Vorhang am Höhleneingang fiel kaum Licht. „Haya ala s‘salat!“ Der Gefangene wollte auf seine Uhr sehen. Dann fiel ihm ein, daß seine Entführer ihm die Armbanduhr gleich als erstes abgenommen hatten. Ein Erbstück, unbezahlbar. Wahrscheinlich hatten diese Barbaren die Uhr längst weggeschmissen. Zu blöd, sie aufzuziehen. Mit ihren schwarzen Nägeln. „Haya ala t‘talah!“ Wenn der Muezzin wenigstens eine angenehme Stimme gehabt hätte. Aber der klang ja wie ein Esel in der Brunft. Oder wie der Huber damals in Kreuth, vor undenklich langer Zeit, als sie beim Umtrunk das Lied der Bayern sangen. Oder war das erst einen Monat her? Der Mann in der Höhle wußte es nicht genau. „Allahu akbar!“ Ja, ja, schon recht, dachte der Gefangene, bring’s zuende. „La ilaha illa llah!“ Plötzlich war wieder Ruhe. Nur der Bergwind muffelte in den Vorhangfalten.

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Abteilung: Director's Cut, Litterarische Lustbarkeiten | Kommentare (0) | Autor:

Nullenquartett (4): Karl-Th. zu Guttenberg

Montag, 24. Oktober 2022 22:41



In einem Quartett aus lauter Nullen sind alle Karten gleich wertlos, deshalb kann es keine höchste geben. Aber einen persönlichen Favoriten schon. In dem Lieblingsquartettspiel meiner Kindheit („Ozeanriesen“) war der Transatlantik-Cruiser „France“
zwar nicht der Joker, der alles stach, doch die Karte, die ich mit dem größten Vergnügen betrachtete und eifersüchtig begehrte. (Was war das aber auch für ein prächtiges, stolzes, schnittiges Schiff!)
Ähnlich geht es mir mit der folgenden Polemik, die erstmals in KONKRET 5/2010
erschien. Sie ist an dem, was ich für das Bestmögliche in meinem Beritt halte, so nah wie die „France“ in ihrem – eine nahezu ideale Melange von Kraft und Eleganz. Für die Blogfassung des Artikels mußte ich bloß Kleinigkeiten ändern. Und wer errät, auf welches Wortspiel ich mir das meiste einbilde, derdiedas darf sich (Achtung! Hinweis:) etwas wünschen.
K. S.

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Windbeutels Ende

Als er anfing, gewann er in sämtlichen Kategorien. Er trat staatsmännischer auf als Horst Köhler. Er hatte mehr Charisma als Angela Merkel. Er bleckte die Zähne erotischer als Ursula von der Leyen. Das Nichts, was alle können, konnte er besser als jeder andere. So wurde Karl-Theodor zu Guttenberg zum einzigen Kabinettsmitglied, vor dessen Beliebtheit sogar „Mutti“ die Muffe sauste.

Der Oberfranke mit dem „Quaderschädel“ (Patrick Bahners) stellt ideal dar, wie Politiker beschaffen sein müssen in der postsozialistischen, monoideologischen Welt. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften, der sich gewünschte Attribute je nach Bedarf anklebt. Ein Schwätzer summa cum laude, mindestens so selbstverliebt wie Berlusconi oder Sarkozy. Doch anders als sie braucht er auf keinen Schuhkarton zu steigen, damit die Photographen ihn entdecken. Obgleich nichts weiter als eine Charaktermaske, vergöttert ihn das Publikum. Denn sein Habitus, von der dynamischen Gelfrisur bis zu den staatstragenden Gesten, spiegelt die ökonomischen Verhältnisse, aus denen er stammt, makellos wider. Dies ist das „Authentische“, das seine Groupies magnetisiert. An Guttenberg ist zwar bloß seine Herkunft glaubwürdig, doch damit hat er schon viel mehr als der Rest im Nest zu bieten.

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Abteilung: Director's Cut, Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus | Kommentare (2) | Autor:

Nullenquartett (3): Rainald Goetz

Sonntag, 23. Oktober 2022 0:17



Es ist selten ein Vergnügen, eigene Texte wiederzulesen, die seit Jahrzehnten im Digitalsarg begraben liegen. Wie der Mann, so ändert sich sein Stil, und was ihm einst blitzgescheit vorkam, erscheint heute witzlos, wenn nicht gar trüb, und etwas eitel.

Nicht so bei der folgenden Abrechnung mit einem der Überschätztesten des heimischen Literaturbetriebs. Die hat immer noch Biß und Feuer, und für mehrere Formulierungen möchte ich meiner jüngeren Ausgabe gar auf die Schulter patschen und zubrummen: „Brav. Bravo.“ Verbessern mußte ich an dem Artikel, der erstmals in KONKRET 2/2000 veröffentlicht wurde, kaum etwas. Und die Manierismen, die ich damals pflog, stehen immerhin in würdiger, unschwer zu erratender Tradition.
K. S.

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Schon faul!

Es gibt eine Sorte Literatur, die ist so doof, daß sie nicht mal die Klugheit besitzt, Langeweile zu vermeiden. Und zwar nicht die gediegene, einschmeichelnde, utopische Langeweile, die weite Passagen der Goetheschen Prosa durchweht und alle Romane Tolstois, diese dem Weltall gleichsam einen Takt und was Humanes verleihende Langeweile (von „herrlichen Längen“ wird zu Recht bei Schubert geschwärmt, herrlicher nur die Zettelkastenleviathane Jean Pauls). Die super-, ach was: megadoofe Literatur freilich hat gar keinen Begriff von tröstender, erhabener Langeweile; sie produziert vielmehr die üble und nervtötende, die rasende Langeweile, den blanken und blöden, das passendere Fremdwort einzuführen, Ennui. Aus welchem heraus diese Literatur übrigens auch entsteht: Sie ist das Werk von Dilettanten und wird ausschließlich von anderen Dilettanten goutiert, die, wenn man Pech hat, und man hat ja immerzu Pech, irgendwann selber anfangen, ihren Ennui in die Welt hinauszuschreiben.

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Abteilung: Bored beyond belief, Director's Cut, Qualitätsjournalismus | Kommentare (1) | Autor:

Nullenquartett (2): Michael Jürgs

Freitag, 21. Oktober 2022 23:46


Darf man das – einen Verstorbenen als Musterbeispiel für Journullismus hin- bzw. bloßstellen? Und ihn so auf die Nachwelt bringen: als reaktionären Petitbourgeois, dessen Haß auf die Plebs bloß durch sein Schmocktum übertroffen wird? Man darf nicht nur, man muß. Ehe jemand auf die Schnapsidee verfällt, den zu Lebzeiten schier unausweichlichen Schmalspurschwätzer Michael Jürgs
als Vorbild für den schreibenden Nachwuchs zu reanimieren, will ich hier seine Plattfußspuren konservieren. Und beispielhaft an ihm demonstrieren, wie wenig Charakter sowie Talent nötig, nein, wie Opportunismus und schlechter Stil strikt erforderlich sind, um ein Liebling unserer Qual.medien zu werden.
Der nachfolgende Verriß erschien erstmals in LITERATUR KONKRET 2009,
und ich habe für die Neuauflage fast nichts korrigieren müssen.
K. S.

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Der enthemmte Biedermann

Michael Jürgs: Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden. München 2009.

Wer mal Chefredakteur des Stern war und anschließend über Romy Schneider, Axel Springer und Alzheimer Bücher verfaßte, die keinen anderen Zweck erfüllten, als ihren Autor in all die Schwafel-Shows zu befördern, in denen über Romy, Axy und Alzy geschwatzt wird, als gäb’s keinen Morgen nach so viel Umnachtung, der sollte besser den Mund halten, wenn’s um Verblödung geht, denn er steckt bis zum Hals im Fettnapf, aus dem er frißt.

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Abteilung: Director's Cut, Qualitätsjournalismus, Unerhört nichtig | Kommentare (2) | Autor: