Daniel Bahr muß jetzt ganz tapfer sein
Busfahren ist nicht nur gut fürs Klima, sondern bisweilen auch lehrreich. Am Freitagabend sitze ich mit meinen Einkaufstüten voller, wie heißt das heutzutage? Nährmittel? – und ziemlich schlaff im Bus nach Hause. Es chauffiert eine Frau um die 40, die einen gewissen ruppigen Charme ausstrahlt, wie ich alter Proletenkultist ihn außerordentlich zu schätzen weiß. Hinter ihr steht eine etwas ältere Frau; eine Kollegin auf dem Weg in den Feierabend, was ich dank meiner übermenschlichen Kombinationsgabe aus einem Nebensatz („die Linie hier möcht‘ ich auch mal haben – so schön ruhig“) entnehme.
—Die Damen plaudern über den Brief, mit dem die Krankenkassen zur Zeit ihre Klienten überreden wollen, sich bei lebendem Körper, aber totem Gehirn die Innenmechanik herausschneiden zu lassen. Warum die Deutsche Stiftung Organtransplantation und der Bundesgesundheits-
minister damit wenig Erfolg haben werden – selbst wenn sie den Leuten einzureden vermögen, daß reiche Patienten nicht bevorzugt werden, sobald es ans Verteilen der Ersatzteile geht –, können sie hier nachlesen. Vox populi ohne Retusche, bitteschön:
BUSFAHRERIN. Ich hab das Papier zerrissen. Meine Organe sind eh nicht
—mehr gut. Was wollen die damit anfangen …?
KOLLEGIN. Bei mir genauso. Außer meine Augen. Aber die kriegen sie
—nicht. Nicht die Augen.
BUSFAHRERIN. Was willste damit noch? Wenne tot biss, kanns‘ doch eh nix
—mehr sehn.
KOLLEGIN. Ja, nee, darum geht‘s nicht.
BUSFAHRERIN. Weiß ich doch.
Dann mußte ich leider aussteigen, fühlte mich freilich weit unschlaffer als fünf Minuten zuvor. Habt Dank dafür, ihr Heldinnen der Arbeit und des Alltags!
Photo: Wikimedia commons/Rainer Zenz