Das Juwel erfüllt einen Hartzenswunsch

348Sandbild_im_Sera_Kloster_Ausschnitt_(c)RThieleDer Dalai Lama kommt an diesem Wochenende mal wieder nach Hamburg und erzählt drei Tage lang, was ihm so durch die kahle Rübe rumpelt. Vielleicht ist sogar ein Gedanke dabei.
Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, eine Veranstaltung allein jenen Fettrandbürgern zu bieten, die ihre Geldgier satt und nun einen gewissen Hunger nach Immateriellem haben (ohne deshalb auf den Cayenne-Zweitwagen und die Drittvilla auf Sylt verzichten zu wollen), bietet der Kundün, deutsch: „Das wunscherfüllende Juwel“, Schülern, Studenten und Hartz-IV-Almosenempfängern vergünstigte Tagestickets an.

Die kosten statt 60 bis 149 immer noch 30 Euro – aber, he!, wer dem „Ozean des Wissens“ und seinem plätschernden Geschwätz einen Tag lang gelauscht hat, der kann mühelos einen Monat lang auf solche Nichtigkeiten wie Frühstück, Mittagessen und Abendbrot verzichten! Muß er als Hartzer freilich auch, um das Geld wieder reinzubekommen.
Zu dieser aktuellen Peinlichkeit um Herrn Tenzin Gyatso paßt übrigens erstaunlich gut eine Glosse, die ich vor immerhin sieben Jahren für Konkret verfaßt habe. (Wo ist meine Schulter? Daß ich sie klopfen kann? Für meine Scharfsicht und Brillanz? Ah, da! Ah, gut …! Guuut …! Gut, ja … Ja, ja, ist gut. Ja! Ist gut jetzt!)
Die Lektüre des nachfolgenden Textes ist für ALG-II-Empfänger gratis. Jedoch nicht für konvertierte Buddhisten aus Eimsbüttel, Eppendorf, Winterhude und sämtlichen anderen gentrifizierten Stadtteilen der Welt. Diese Scheinheiligen müssen mir umgehend 149 Euro überweisen oder sich auf eine Reinkarnation als Küchenschaben gefaßt machen.
Wie bitte? Müssen die sowieso? – Dann, verfügt meine Göttlichkeit, sollen sie als gammelfleischfressende, zigarettenrauchende, atomstrombeziehende und von sämtlichen Interkontinentalflügen ausgeschlossene Kinder ihrer selbst wiedergeboren werden! Ha!

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Der tibetische Gebetsnebbich

Wenn ein älterer Herr sich in bunte Badelaken wickelt, pausenlos gackert und darauf besteht, als „Eure Heiligkeit“ und „Ozean des Wissens“ angesprochen zu werden, dann schickt man ihn für gewöhnlich zum Arzt. Der ältere Herr, um den es hier geht, steht jedoch nicht unter Beobachtung eines Therapeuten, sondern einer begeisterten Öffentlichkeit, und ganz gleich, wie wunderlich er daherredet: Man lacht ihn nicht aus, sondern zahlt Eintritt und hört ihm den ganzen Tag beim Bramarbasieren zu. So jüngst in Hamburg, wo Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso, auch Dalai Lama, Kundün, Yeshe Norbu oder Gyalwa Rinpoche genannt, im Tennisstadion am Rothenbaum sieben Tage lang seinen Ozean des Wissens auslaufen ließ; als hätte es in diesen letzten Juliwochen nicht sowieso schon genug geregnet.
Trotz des erbärmlichen Wetters wurden für die Veranstaltungen rund 45.000 Tickets verkauft, wobei allerdings der Publikumsandrang zum Main-Event „Buddhistische Philosophie und Praxis – Erklärungen zu den ‚400 Versen’ des indischen Meisters Aryadeva“ deutlich geringer ausfiel als an den ersten beiden Tagen. Da nämlich gab’s keine Exegese, sondern das übliche Gewese, also: „Frieden lernen – die Praxis der Gewaltlosigkeit“ sowie „Mitgefühl in der globalisierten Welt“. Wo soviel Gewäsch auf dem Programm steht, darf einer auf keinen Fall fehlen – Roger Willemsen moderierte praktisch gewaltlos die Glückskeksweisheiten des Herrn Gyatso. Ich war aus hygienischen Gründen zwar nicht vor Ort, doch eins weiß ich genau: Es muß das reine Labersal gewesen sein.
„Auch Ingrid, Lehrerin aus Lübeck und auf der Suche nach der ‚richtigen’ Religion, hat glänzende Augen: ‚Genauso hab ich ihn mir vorgestellt, spontan auf Menschen zugehend, herzlich, voller Wärme.’“ Davon können Lehrerinnen, nicht nur die aus Lübeck, zweifellos viel lernen. Erich Follath, ein Verehrer Tenzin Gyatsos, hat für Spiegel online am 27. Juli aufgeschrieben, was er am Rothenbaum gehört und gesehen hat, und wem da nicht Hören und Sehen vergeht, der trauert bis heute darüber, daß das ZDF „Willemsens Woche“ aus dem Programm nahm und in Tibet die Pfaffen zwar beten, aber nicht mehr herrschen dürfen. „Claudia aus dem Umfeld der Yogacara-Meditationsstätte in Neckarbischofsheim“ – das für derlei Umfelder wie geschaffen ist – „nennt die Vorträge des tibetischen Religionsführers ‚einen spirituellen Sechser im Lotto’“. Die Zusatzzahl gibt’s beim nächsten Mal, für einen ordentlichen Knall reicht’s aber jetzt schon: „Der Gottkönig fasziniert und inspiriert sie, ‚weil er der Welt Sanftmut predigt und vorlebt’.“

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Auch Reporter Follath hat die Nähe zum Schwallai Lama und seinen Jüngern nicht unbeschadet überstanden: „Wo andere Religionen einen Verkünder haben, ist er ein Vermittler. Und für die anderen, die Skeptiker, die Neugierigen, ist er ein fehlbarer, aber ein vorbildlicher Mensch. Ein weiser Clown.“ Daß ich nicht lache: Für mich ist Tenzin Gyatso einfach nur ein Quatschkopf, der einen unwiderstehlichen Magnetismus auf andere Quatschköpfe ausstrahlt, solche wie „Christoph, gelegentlicher Kirchgänger und bisher in Kiel eher evangelisch geprägt …: ‚So friedfertig sich der Dalai Lama gibt, so freundlich und unaggressiv seine Anhänger hier auftreten – vielleicht sind Buddhisten inzwischen die besseren Christen’“. Zumindest wenn diese in Kiel eher evangelisch geprägt wurden.

Für die Zeit war Ulrich Schnabel vor Ort, und wenngleich ihm schwant, daß es mit dem Wissen des tibetischen Ozeans nicht so weit her ist („Weisheitssprüche …, wie man sie heute auf jedem Schlüsselanhänger und Teebeutel lesen kann“), erliegt auch er der „Kunst des Tenzin Gyatso, all diese Dinge zu sagen, die im öffentlichen Diskurs längst zu Klischees geronnen sind“. Kurzum, hätte er nicht so viel zu tun, der Dalai Laber, er könnte sofort den leeren Kolumnistenstuhl von Gräfin Dönhoff besetzen. Und „das Hamburger Publikum“ fragt sich „verblüfft …, ob es nun eigentlich einen weisen Narren oder nur einen närrischen Weisen vor sich hat“. Aber nein: Da saß bloß ein abergläubischer alter Mann, der sich für erleuchtet und auserwählt hält, weil ihm das seit seinem vierten Lebensjahr von einer Horde anderer abergläubischer alter Männer eingeredet worden ist; ein, hielte er nur mal den Rand, durchaus bemitleidenswerter, beschädigter Mensch, ein tibetischer Gebetsnebbich, dem erst die Kindheit, dann die Macht und peu à peu auch der Verstand genommen worden ist.
Aber Mitleid empfindet keiner, der ihn am Rothenbaum predigen hört, obschon er doch unablässig Mitgefühl erregen will mit seinen Predigten. Auch Antje Lückingsmeier kann am 23. Juli im Tagesspiegel nur Bewunderung äußern: „Der Mann, der so vergnügt im Schneidersitz in seinem Sessel sitzt, ist ein Religionsführer und gewissermaßen auch ein Staatschef, das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter. Den Friedensnobelpreis hat er auch.“ Wie übrigens gleichfalls Jassir Arafat und Henry Kissinger; aber die werden zum Glück nicht wiedergeboren. Und sie wirken bzw. wirkten auch nie „wie ein netter Kerl“ mit einem Lachen, „das viel tiefer sitzt als in Augen oder Mundwinkeln. Es ist, als lacht die Seele.“ Bei derartigen Anblicken kann es einem schon mal die Grammatik verschlagen, das Gehirn ist sowieso am Eingang abgegeben worden, und darum schwärmt Lückingsmeier ohne Ironie von „Seiner Heiligkeit“ und dem „heiligen Mann“, der „zirka fünf Stunden am Tag“ meditiert, „in aller Frühe“ aufsteht, „wenn die Welt naturgemäß noch still ist“, und der „ab zwölf Uhr mittags“ nicht mehr essen darf, weil das so Brauch ist in seinem Mönchsorden. Nur einen Absatz später erzählt Frau Antje aus Berlin allerdings, wie Herr Gyatso mal im Europäischen Parlament zu Gast war und sich nach der Mittagspause ungeniert die Zähne putzen ging, was man, naturgemäß, nur dann tut, wenn vorher was gespachtelt wurde. Doch so „mischt (!) sich Glorifizierung und Wunschdenken mit der Realität“, sobald ein lebender Anachronismus vor einem thront und es im Kopf ähnlich still wird wie in der Welt während jener fünf Stunden, die der Quasselkopf meditationshalber schweigen muß.

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Die Bewunderung, ja Devotie, welche deutsche Journalisten dem Wanderprediger aus Dharamsala anläßlich seines Hamburg-Aufenthalts entboten haben, könnte einen schon wundern, wüßte man nicht, daß es sich um deutsche Journalisten handelt. Wie sollten sie denn auch etwas dabei finden, daß Tenzin Gyatso seinem engen Jugendfreund, dem SS-Mann Heinrich Harrer, auch nach dessen Tod die Treue hält? Warum einen Gedanken über all den Wahn und Okkultismus verschwenden, für den der vierzehnte Dalai Lama so lupenrein steht wie seine dreizehn Vorgänger? Meinte er es ernst mit seinem pseudoaufgeklärten Gemöhre, er hätte seinen Titel längst ablegen müssen, aber was er im Ernst denkt, das behält er vornehm für sich. Jedenfalls unter Ungläubigen.

Nachlesen könnte man freilich schon, welche Ideologie Herr Gyatso jenseits des Rothenbaums vertritt, zum Beispiel bei Colin Goldner in Konkret 9/2000: „Man muß nicht lange kratzen an der Fassade des Gottkönigs, um zu entdecken, was dahintersteckt. Plötzlich erscheint er als das, als was er sich vorkommt: als Vajradhara, Weltenführer und höchster der Buddhas, dem es um nichts anderes geht als um das Erringen unumschränkter und allumfassender Macht; um den zielstrebigen Ausbau von Einfluß und letztlich (auch wenn das noch ein paar Inkarnationen dauern sollte) um die Errichtung einer weltenumspannenden Buddhokratie.“ Mangels anderer, das heißt militärischer Mittel versucht er es eben mit Gelulle und Gelalle sowie mit Sympathiekundgebungen, denen sich kein Deutscher, der gern einer ist, entziehen mag: „Schon als Kind habe er im Krieg zu Deutschland gehalten, das von so vielen Nationen bekämpft wurde. ‚Da wußte ich noch nichts vom Holocaust’, fügt er entschuldigend hinzu“ (Süddeutsche Zeitung, 21. Juli).
Er weiß bis heute nichts davon, so wie die meisten Deutschen nicht wirklich davon wissen wollen, und darum kann er – im Interview mit Zeit online – von einem „unbeabsichtigten kulturellen Genozid“ an den Tibetern schwafeln, ohne daß dem Reporter die Infamie der Formulierung auffällt. Der Völkermord in Tibet geht aber laut Gyatso so vor sich: „(In) den Städten leben viele Chinesen, und da nehmen auch unsere Jugendlichen mehr und mehr deren Lebensart an.“ Dazu wird genickt statt aufgeschrien, es wird nicht einmal gefragt, ob die jungen Tibeter eventuell deshalb wie Chinesen leben, weil sie einfach keine Lust mehr auf Buddha-Pest haben.

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Um so lieber fällt man hierzulande darauf herein. So berichtet Laura Fariello in der Financial Times Deutschland vom 23. Juli 2007: „Immer mehr Führungskräfte entdecken die buddhistische Lehre. … Vielen geht es vor allem darum, mit Meditationsübungen … wieder Ruhe und Gelassenheit zu finden.“ Man ahnt ja nicht, wie die Durchführung von Massenentlassungen, Lohnkürzungen und Mobbing „Topmanagern“ zu schaffen macht; da kann Entspanntheit, wie der Dalai Lama sie vorlebt, sehr helfen. „Noch ein Grund dürfte dafür sorgen, daß die Lehre bei Managern großen Anklang findet. Nach Interpretation des buddhistischen Mönchs Michael Roach ist in seiner Religion Geldverdienen nicht verwerflich.“ Nun weiß man, weshalb ein Fünftagesticket am Rothenbaum nicht unter 110 Euro zu bekommen war.

Der Buddhismus erscheint vielen, nicht bloß Managern, hochsympathisch, weil Buddhisten angeblich niemandem wehtun. Aber das stimmt nicht – Tenzin Gyatsos Weisheiten tun einfach nur weh. Wie macht man Politik menschlicher? So: „Es ist wichtig, in der Schule, ja im Kindergarten schon menschliche Werte und die Bedeutung von Dialog zu vermitteln. Führung, die daher kommt, kann auch friedlicher und mitfühlender sein.“ George W. Bush ist also so, wie er ist, weil man ihm im Kindergarten behandelt hat wie einen Häftling in Guantánamo, und Ahmanidejad hat es in der Schule leider an bedeutenden Dialogen (über kulturelle Genozide beispielsweise) gemangelt: Solchen Dummschwatz kann einer verbreiten und ehrfürchtige Reaktionen ernten, wenn er nur auf heilig macht. Aber was in der Kindheit verbockt worden ist, das läßt sich immer noch richten, meint der wissende Ozean: „(Die Präsidenten) sollten samt Familien gemeinsam in Urlaub fahren, in eine schöne Gegend, zusammen essen und nichts Ernsthaftes diskutieren. Wenn man sich so kennen lernt, herrscht weniger Mißtrauen.“ Und sollten sie den Dalai Lama mitnehmen, besteht sogar eine Garantie, daß nichts Ernsthaftes diskutiert, sondern nur Blech geredet wird.
Zum Abschluß seines Gastspiels in jenem Land, das ihm seit 1939 herzlich verbunden ist und dessen Medienvertreter ihn durch die Bank mit intelligenten Fragen verschonten, bedankte Tenzin Gyatso sich via Deutsche Welle mit diesen Worten: „Ich genieße die sehr positive Atmosphäre hier in Hamburg. In den letzten neun Tagen hat es sich wirklich wie mein Zuhause angefühlt. Viele Menschen, auch die Journalisten, haben gestrahlt – wie Freunde.“
Das glaube ich unbesehen.

Photo und Vignette: 348Sandbild im Sera Kloster (RThiele via Wikimedia commons)


Samstag, 23. August 2014 14:35
Abteilung: Kaputtalismus, Undichte Denker

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