Der Tag des Ruhms ist da

Dieses Match gehört meinen Jungs.
Das ist die Krönung.
Didier „Le Général“ Deschamps



Ich hab ja gewußt, daß meine Blauen gewinnen werden, ich hatte überhaupt keinen Zweifel, daß sie die Ustascha-Kameraden bezwingen würden, ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß Didier „Dieu“ Deschamps etwas falsch machen könnte … Aber wenn ES dann doch geschieht – wenn dann doch die Mannschaft, der ich so gern zujuble und mit der ich so oft getrauert habe seit 1982 bzw. 2006, den Pokal erringt – wenn dann doch die Besten als die Besten vom Platz gehen – wenn dann doch eintritt, woran ich öffentlich nie zweifelte –: In solch einem endlosen Augenblick des Glücks und der Erleichterung und der Bewunderung und der Schadenfreude tauchen die heimlichen Zweifel einer nach dem anderen auf und versinken sogleich, einer nach dem anderen, für immer. Wenn es doch immer so wäre!

Ohne mir etwas anmaßen zu wollen, möchte ich behaupten, daß Didier „Divinité“ Deschamps die Angelegenheit so ähnlich wie ich betrachtet. Und falls Sie gesehen haben, wie freundlich und empathisch der große kleine Franzose dem unterlegenen Gegner Hände und Schultern drückte, werden Sie mir schwerlich widersprechen können: Der Mann ist der Titel, und der Titel heißt Weltmeister (mais le titre, c‘est moi).

Warum der WM-Triumph der Blauen zugleich ein Sieg der klassischen französischen rationalité und clarité ist, besprach ich vor einigen Tagen im Interview mit meinem verehrten Kollegen und Freund Jürgen Roth. Für die „junge Welt“ hat Roth vier Wochen lang die witzigste und klügste Glossenserie betr. „Wöäld Kab“ (Franz B.) verfaßt. Neben ausgewiesenen Koryphäen wie E. Henscheid, Th. Gsella, G. Polt und M. Breuckmann durfte auch ein kleines Licht wie ich zitathalber aufscheinen.

Der noch lange nicht vergangene Sonntag gibt meinen eher verblasenen Bemerkungen aufs schönste recht. Aber lesen Sie, wenn Sie mögen, selbst, warum der Sieg der Blauen ein Sieg der Vernunft war – und lesen Sie anschließend unbedingt die anderen Episoden des Rothschen WM-Journals. Sie werden eine höchst unterhaltsame Revue des überstandenen Spektakels erleben; ein Diarium der Diarrhoe des digitalisierten Sportjournalismus sind Roths Kommentare außerdem. Lehrreich sowieso. (Mensch, bin ich heute generös!)

***

Mon ciel bleu, mon horizon.
Charles Trenet

Der schwarzrotgoldne Fan saugt Nektar aus der Blüte seines blauen Wunders (Symbolphoto).

Und folgendes läuft hier im Loop – der bedeutendste Chansonnier Frankreichs, Charles Trenet, mit, naturellement: „Douce France“


Die Aufnahme entstand übrigens 1963, im Jahr meiner Geburt. Vielleicht kommt sie mir deshalb so exsultate, jubilate vor.

Der wundervolle Monsieur Trenet hat seine Liebeserklärung an Schwesterchen Frankreich kurz vorm Tod noch mal im Live-Fernsehen gesungen. Diese Version hat einen gewissen melancholischen, zugleich nostalgischen und selbstironischen Ton, der WM-Ekstatikern durchaus dabei helfen kann, im Himmel zu schweben, ohne die Niederungen zu vergessen:


Und weil auch die gelungensten Chansons auf Dauer nicht satt machen, muß Frankreichs betörendster Komponist ran und die gewaltige Tat von Deschamps und seinen Jungs auf seine Art vertonen … So wie der Chor in „„Lever du jour“ („Morgendämmerung“) aus „Daphnis et Chloé“ singt, so fühle ich mich im Augenblick. Ganz. Genau. So:

Wie die Menschen, die Sie gleich sehen können, sich fühlen, das ist aber nicht mehr zu beschreiben. Der Sender ESPN UK hat dokumentiert, was am frühen Sonntagabend auf den Fanmeilen in Paris und Zagreb zuging. 2 Minuten 40 Sekunden Massenemotion. Ein atemberaubendes Dokument der psychischen Macht des Fußballs:

**

Der Blogger in seinem Feiertagskleid; 15. Juli 2018

Abschließend, bevor ich gehe bzw. vor Stolz und Vergnügen plus Seeligkeit platze, mein Lieblingsgedicht des Jahres, ach was, des Jahrzehnts, des (ich bin so was von berauscht:) jawoll, des Jahr-hun-derts:

Das sind die Blauen
Lloris
Pavard Varane Umtiti Lucas
Pogba Kanté (N‘Zonzi)
Mbappé Matuidi (Tolisso)
Griezmann Giroud (Fekir)
Deschamps
Deschamps
Deschamps

***

Meine Güte, geht‘s mir gut heute abend! Und, meine Fresse, wie gern wäre ich jetzt auf den (Des)Champs-Élysées! (Im Hintergrund läuft ein Livestream, immerhin.)

Au revoir, adieu, à bientôt – tres joyeuse, votre champion du monde.

Auch sehr symbolisch, trotzdem charmant.

Aufmacher/Photo: „Rus-Fra 2018 (13)“,
by Вячеслав Евдокимов (fc-zenit.ru)
[CC BY-SA 3.0
or GFDL],
via Wikimedia Commons

8 Kommentare

  1. 1

    Dankeschön für die ausführlichen Informationen rund um den Tag des Ruhms. Da ich mir die Berichte in den ÖR wegen der Hetze gegen Özil und Putin nicht zumuten wollte, habe ich Ihre Bilder, die Filme, die Meinungen unserer „De-Luxe-Denker“ und die Musik richtig genossen. Ravel klingt gleich noch „betörender“. (Was für ein schönes Wort!) Die Freude über das elegante Spiel und den Sieg der Blauen konnte ich auf diese Weise doppelt empfinden. Einmal nach dem Spiel und noch einmal nach dem Lesen des „Abfalls“. Nur selten, außer vielleicht bei Kindern, habe ich erlebt, daß jemand sich so aus vollem Herzen freuen und seine Freude so mitreißend rüberbringen kann. Sie haben mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert … et … La chair de poule!

    Danke, vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Sie betören mich. KS

  2. 2

    Bombus lapidarius. Ein Männchen.
    HG, Udo Theiss

    Mit das Schönste, was ein Autor haben kann, sind Leser, die ihn schätzen UND klüger sind als er selbst. Danke für die Belehrung! – Woran erkennt der Laie eigentlich, daß DIE Steinhummel ein DER ist? KS

  3. 3

    Superb. Aber Pavane heißt Pavard.

    Und so soll er noch in zehntausend Jahren heißen, in den Historien der Zukunft!
    Was für ein peinlicher Fehler meinerseits (und soeben völlig intransparent korrigiert). – Ich kann Ihnen, liebe/r Flori, jedenfalls nachsagen, was ich oben schon zu Udo Theiss sagte: Mit das Schönste, was ein Autor haben kann, sind Leser, die ihn schätzen UND klüger sind als er selbst. Danke für die Korrektur!
    Ein pingeliger Typ wie ich kommt freilich ins Grübeln, wenn ihm solche Fehler unterlaufen. Daß Pavard Pavard heißt, weiß ich doch seit diesem unglaublichen Tor, das er im Achtelfinale gegen Argentinien schoß. Wieso also –? Ich vermute, daß mich Ravel, der kurz vor dem Blauen-Gedicht seinen Auftritt hat, verwirrte. Stammt doch von ihm das äußerst mysteriöse und morbide Tonstück „Pavane pour une infante défunte“. Und wenn Sie nun noch bedenken, daß ich beim Bloggen gleich doppelt berauscht war (Pokal und Kelch): wird mein Fauxpas evtl. nachvollziehbar.
    Peinlich bleibt er trotzdem. KS

  4. 4

    Auf jeden Fall eine WM, bei der die wirklich beste Mannschaft gewonnen hat. Sympathisch ist das Team allemal.
    Den „Roten“ hätte ich es auch sehr gegönnt. Bezeichnenderweise waren es „les bleus“ die, auch nur die, in der Lage waren, die „Roten“ zu besiegen.
    Chapeau!

    Was soll ich Ihnen sagen? Die einzige Mannschaft, der ich während des Turniers einen Sieg gegen Frankreich nicht mißgönnt hätte, war die belgische. Eden Hazard ist ein Weltwunder am Ball, De Bruyne der Spielertyp, der Frankreich leider fehlt: ein Regisseur. Das denkbar schönste, passendste Endspiel dieser WM wäre eines zwischen F und B gewesen. Aber das fand bedauerlicherweise schon eine Runde früher statt. KS

  5. 5

    Och, als alter Anglophiler hätte ich mich auch sehr über ein Finale Frankreich-England gefreut. Ich glaube immer noch, daß das auch geklappt hätte, wenn die Kroaten alle Karten bekommen hätten, die sie verdient hatten.
    P.S. flüster Ich glaube, den Torwart des Weltmeisters schreibt man mit zwei „l“ am Anfang …

    Gut geflüstert und soeben (total intransparent) in meinem Blog angekommen. Danke für die Korrektur! (Warum ich solche Fehler gemacht habe, steht in meinem Kommentar zum Kommentar von „Flori“, etwas weiter oben. Stichwort: „Rausch“.) KS

  6. 6

    Klüger, ich, ganz sicher nicht. Frankophil, insektophil, entomolophil, welcher Unterschied, es kommt doch an auf die Leidenschaft. Ich kann mich für das Ballspielen, möglicherweise, erwachsener, jedenfalls unverhältnismäßig überbezahlter, wie viele Nicht- und Niebezahlte führt das auf die traurigsten Lebenswege, Männer leider nicht sonderlich erwärmen. Und was den Stadionsport angeht, da bin ich gedanklich ganz nah beim grausam Gepfählten. Den ich jetzt aber nicht zitiere, ich will Sie ja nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich beobachte lieber Insekten. Und trotzdem hat mir Ihr Beitrag sehr gut gefallen. Das wollte ich mit meinem lapidaren Kommentar zum Ausdruck bringen.
    Ist doch ein lautmalerischer Name, ich stelle mir ein volles Stadion vor und alle grölen: Bombus lapidarius, Bombus lapidarius.
    Die Weibchen tragen keinen gelben Brustschmuck. Dass ich das weiß, ist Zufall, meine entomologischen Kenntnisse befinden sich noch auf Vorschulniveau.
    HG Udo Theiss

    Wenn das Vorschulniveau ist, bin ich noch nicht mal in der Krabbelgruppe. – Daß Sie mein Posting goutieren, obwohl Profifußball Ihnen nicht gefällt, ehrt mich außerordentlich. Vielen Dank! KS

  7. 7

    Fußball ist die neue Pest der Menschheit und das Zugpferd des europäischen Kapitalismus.

    Wieso denn nur des europäischen? KS

  8. 8

    Schöner Text!
    Allerdings hätte ich lieber ein Finale gesehen, bei dem nicht der Schiedsrichter die Hälfte der Tore für die Siegermannschaft zu verantworten hat.

    Vielen Dank für Ihr Lob!
    Der Handelfmeter war allerdings berechtigt, schauen Sie bitte mal in die FIFA-Regeln. Und für das Eins-null war nicht der Schiri, sondern der Eigentorschütze verantwortlich. Hätte Mandzukić nicht so hirnlos verteidigt, wär’s auch kein Goal geworden; Griezmanns Ausführung war bestenfalls medioker.
    Und was wollen Sie eigentlich? Dies war eines der besten, dramatischsten WM-Endspiele ever, unter anderem, weil es lauter komplett chaotische, d. h., sensationelle Sequenzen hatte (ich sage nur: Lloris vorm Vier-zwo!). KS

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