Die beste aller Welten (14): German Lullaby
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Zur Erinnerung:
Wir dürfen sagen: Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick.
[Bundeskanzlerin Merkel, Haushaltsdebatte, 23.11.2016]
Denn:
Tatsächlich brummte die deutsche Wirtschaft 2016 so erfolgreich wie lange nicht mehr. Waren und Dienstleistungen im Wert von 1,2 Billionen Euro brachte man im Ausland an den Mann – ein Plus von 1,2 Prozent zum Vorjahr. Da die Bundesrepublik aber gleichzeitig weniger im Ausland einkaufte, lag der Handelsbilanzüberschuß […] bei 253 Milliarden Euro – ein Rekordwert.
[Saarbrücker Zeitung, 23.2.2017]
Das Gebrumm hat zum Beispiel dies zur Folge:
Die Zahl der Millionäre in Deutschland ist im vergangenen Jahr [2015] um 5,1 Prozent auf 1.198.700 gestiegen. Damit gehört Deutschland neben den Vereinigten Staaten, Japan und China zu den vier Ländern mit den meisten Millionären auf der Welt und hatte auch im globalen Vergleich überdurchschnittliche Zuwächse. […]
—In Spanien (plus 8 Prozent) und in Frankreich (plus 6iProzent) hat die Zahl der Millionäre zwar prozentual stärker zugenommen als in Deutschland, insgesamt gibt es der Studie zufolge dort aber deutlich weniger als hierzulande.
[FAZ, 23.6.2016]
Den Millionären in Deutschland ging es, wir dürfen sagen: noch nie so gut wie im Augenblick. Und dem Rest der Bevölkerung? Hm, ja. Geht so:
Das Berliner Iges-Institut hat für die [DAK] die Daten von 2,6iMillionen erwerbstätigen Versicherten ausgewertet. Außerdem wurden etwa 5.200 erwerbstätige Frauen und Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren durch das Forsa-Institut repräsentativ befragt. Die Ergebnisse zeigen, daß ein zunehmend großer Teil der Bevölkerung unter Schlafstörungen leidet. […]
—Laut dem Gesundheitsreport sind die Schlafstörungen bei Berufstätigen im Alter von 35 bis 65 Jahren von 2010 bis heute um 66 Prozent gestiegen. 80 Prozent der Berufstätigen haben den Angaben zufolge Schlafprobleme, hochgerechnet sind das etwa 34 Millionen Menschen.
[Süddeutsche Zeitung, 15.3.2017]
Die DAK führt in der Pressemitteilung zu ihrem Gesundheitsreport 2017 weiter aus:
Ursache für Schlafprobleme sind unter anderem Arbeitsbedingungen. Wer zum Beispiel häufig an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit arbeitet, steigert sein Risiko, die schwere Schlafstörung Insomnie zu entwickeln. Weitere Risikofaktoren sind starker Termin- und Leistungsdruck, Überstunden sowie Nachtschichten und ständige Erreichbarkeit nach Feierabend. […] Etwa jeder Achte kümmert sich noch um dienstliche Dinge wie E-Mails oder die Planung des nächsten Arbeitstages.
Dr. Joachim T. Maurer, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Universitätsklinik Mannheim, benennt Folgen der unruhigen Nächte:
Die Hauptbeschwerden von Schlafstörungspatienten sind: Nicht-Schlafen-Können, Tagesmüdigkeit, Tagesschläfrigkeit, Verhaltensauffälligkeiten im Schlaf, Schnarchen, Schlafapnoen, Erwachen mit Atemnot. Die Gründe, einen Arzt aufzusuchen, sind hoher Blutdruck, Adipositas, Schlafstörungen. Patienten […] haben Angst um ihren Arbeitsplatz, leiden unter psychischer Anspannung und ziehen sich sozial zurück.
[Gesundheitsreport 2017, S. 34]
Doch es geht uns nicht bloß gut wie nie, sondern immer noch aufwärts*:
Der Anteil Erwerbstätiger mit Insomnie im Alter von 35 bis 65 hat seit 2009 von 5,5 auf 8,7 Prozent zugenommen.
[Gesundheitsreport 2017, S. 121]
Das letzte aber wie das erste Wort soll die Weltmarktführerin im Einlullen haben:
Deshalb ist die soziale Marktwirtschaft, wie wir es [sic!] in Deutschland nennen, ein Erfolgsmodell, um das uns weite Teile der Welt beneiden.
[Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel, 9.3.2017]
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* In diesem Zusammenhang sei Stefan Gärtners „Kritisches Sonntagsfrühstück“ vom 19.iMärz nachdrücklich zur Lektüre empfohlen.
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Illustration (Ausschnitt): „The Nightmare“,
by M.Z.D. Schmid Wellcome L0003603.
See page for author [CC BY 4.0].
Via Wikimedia Commons
Dienstag, 21. März 2017 12:37
Ich arbeite im Moment relativ oft mit gemeinnützigen Organisationen zusammen. Dabei entstehen in mir zwei Grundstimmungen: Entsetzen über die Zustände in diesem Land und Erstaunen über die Vielzahl unprätentiös solidarischer Menschen, die einfach helfen, wo Not ist. Wenn die sich jetzt noch einen Klassenbegriff erarbeiteten und anfingen dialektisch zu denken, wäre noch Hoffnung für die Spezies.
Gärtner und Tietze waren meine beiden Gründe, hin und wieder die Titanic zu kaufen. Jetzt ist´s nur noch der Gärtner. Man lobe ihn oft und entlohne ihn üppig!
Ihre Hoffnung auf bzw. in die Menschen sollten Sie sich bewahren. Grad weil die so schwer fällt. Aber es sind ja wirklich nicht alle hundsgemein. – Ihrem Wunsch betr. Gärtner schließe ich mich ohne Rest an. KS