Die beste aller Welten (8)

In der Hamburger Morgenpost steht am 26. Juni dies auf Seite 8:

Emotionaler Verhandlungstag im Yagmur-Prozess. Als gestern Handy-Fotos des zu Tode geprügelten [dreijährigen; K. S.] Mädchens gezeigt wurden, weinte die angeklagte Mutter. […]

Auf den ersten Blick ganz normale Eltern mit einem ganz normalen Kind. Auf einigen Bildern aber sind dunkle Flecken in Yagmurs Gesicht und an den Beinen zu sehen. […]

Selbst eine Richterin ließen die Aufnahmen nicht kalt. Sie wirkte erschüttert, als die Bilder gezeigt wurden, und legte kurz die Hände vor das Gesicht.


Und das darf man in derselben Ausgabe auf den Seiten 6 und 7 lesen:

Anfang Mai war Gigi-Daniel Filip (26) aus Rumänien nach Neu-Wulmstorf (Landkreis Harburg) gekommen. In der Hoffnung auf ein gutes Auskommen, auf einen guten Job. Einen Job in der Fleischfabrik „Schwarz Cranz“ von „Wurstkönigin“ Kristin Schwarz. Doch nun steht Filip vor dem Nichts. Von seinem Gehalt hat er keinen Cent gesehen, wie er sagt.

„Ich kann meine Miete nicht mehr bezahlen, sollte für Mai eigentlich 700 Euro Gehalt bekommen“, sagt Filip […]. Viele Stunden habe er in der Wurstfabrik geschuftet, nun fühle er sich übers Ohr gehauen. […]

Neben Gigi-Daniel Filip fühlen sich auch andere Mitarbeiter um ihren Lohn betrogen. Und sie befürchten, daß sie von ihrem hart verdienten Geld nicht viel sehen werden. Denn gestern kam heraus: Das Subunternehmen „Birservice GmbH“ ist insolvent. […]

Gestern räumte ein Sprecher der Wurstfirma allerdings ein, daß man bereits im Oktober vergangenen Jahres über die schlechten Zustände in einer der Arbeiter-Unterkünfte von „Birservice“ informiert worden sei. Warum man die Zusammenarbeit nicht umgehend beendet hat, erklärt er so: „Frau Schwarz [die Wurstkönigin; K. S.] hat alle Unterkünfte inspiziert und diese eine schließen lassen. Sie hat sogar selbst neue Matratzen gekauft.“


Nachdem sie, eventuell, kurz die Hände vor das Gesicht legte.

Wie vielleicht auch „der Fahrgast“, der auf den Seiten 16 und 17 „einen zusammengekauerten Mann (23) in einem Koffer-Schließfach entdeckt“:

Ishaka B. kommt ursprünglich aus Niger in Westafrika […]. Er ist mager: „Ich habe nichts zu essen“, sagt er. […]

Am Montagmorgen gegen 7 Uhr will ein Fahrgast seinen Koffer in eines der Schließfächer am Hachmannplatz stellen – und erschrickt, als er eine Tür aufmacht. Dort liegt Ishaka B. und schläft tief und fest. […]

Ungemütlich findet der junge Mann die Box aber nicht. „Besser als viele andere Orte“, sagt er und zeigt, wie er in die Box klettert: mit dem Hintern zuerst, die Beine nachziehen. „Ich schlafe seit Wochen im und am Hauptbahnhof“, erzählt er. […] „Er ist trotzdem ein ganz Lieber“, sagt ein DB-Mitarbeiter, der ihn bereits kennt.


Wer aber nicht glauben mag, daß es in der einen, besten Welt einen tiefen Zusammenhang gibt zwischen dem Martyrium der kleinen Yagmur, der Ausbeutung von Gigi-Daniel und dem Schlafloch Ishakas hier sowie der Wurstkönigin, die neue Matratzen kauft, statt ihre Arbeiter angemessen zu entlohnen, dort –: Der stört sich auch nicht an der Headline auf Seite 1:

Klinsi, go home!

Showdown der Bundestrainer: Alles zum WM-Kracher USA gegen Deutschland


Dieser Kracher versöhnt ihn vielmehr mit dem himmelschreienden Elend auf den folgenden Seiten.

Das es auch deshalb geben kann, weil solch ein dumpfnationaler Scheißdreck viel wichtiger genommen wird als ein Mann, der trotz Akkordmaloche verhungert. Oder ein anderer Mann, der lieber im Schließfach schläft als an vielen anderen Orten. Oder ein kleines Mädchen, das nicht vorstellbare Qual erleiden mußte, weil sich um arme Schlucker wie sie niemand kümmern mag, bevor sie zugrunde gehen.

Hernach war sie trotzdem eine ganz Liebe.


Freitag, 27. Juni 2014 0:15
Abteilung: Die beste aller Welten, Kaputtalismus, Man schreit deutsh

Ein Kommentar

  1. 1

    Das „himmelschreiende Elend auf den folgenden Seiten“ kann es bei einem Boulevardblatt nur geben, wenn es sich verkaufen lässt (ja, ich weiß, Verkaufen birgt bereits die Sünde der Warenwelt). Der Kracher verkauft das Blatt. Auf den Folgeseiten gibt`s dann Hinweise auf die traurige Realität. Und Elend mit Empathie hat die „Mopo“ reichlich gebracht, auch da, wo es in der Bevölkerung äußerst unpopulär ist, z .B. bei den Sinti am Nobistor. Im Vergleich zu anderen Blättern hebt sich die „Mopo“ da wohltuend hervor. Eher würde ich mir wünschen, dass das „Team Wallraff“ endlich die Prostitutions-Kleinanzeigen in der „Mopo“ („größter Zuhälter Hamburgs“) dem „Faktencheck“ unterwirft und Hinweisen auf dort evtl. vorhandene Zwangsprostitution nachgeht.
    Die Welt könnte so schön sein, ohne Menschen …

    Ohne „Mopo“ wär sie bestimmt schon mal ein Stück schöner. KS

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