Die Kunst des Bettelns im Hafen von Wismar
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Majestätisch wie ein Löwe
schreitet Simon Silbermöwe
auf der Fischverkaufsmarkise
auf und ab und mustert diese
Leutemeute gegenüber.
Möcht wohl sagen: „Ach, mein Lieber,
schöne Dame, braver Knabe,
seht doch mal, was ich hier habe,
nämlich gar nichts außer Hunger.
Glaubt mal nicht, daß ich bloß lunger,
Schnabelaffen feiltrage
oder blaue Blumen jage,
kurz, die Langeweil vertreibe.
Dies ist ernst, es ist beileibe
nötig für mein Überleben,
also müßt ihr mir was geben
von dem Fisch, ihr habt ja Brötchen.
Werft mit euren fetten Pfötchen
Hering her und Lachs und Sprotten,
laßt mich bitte nicht verrotten,
ausgezehrt so nah der Quelle.
Schenkt mir Matjes, Aal, Forelle,
aber von den Rauchmakrelen
will ich nichts, kann nicht verhehlen,
daß die etwas ranzig riechen.“
So, mit abgefeimten Schlichen,
Hätte Silbermöwe Simon,
wortgewandt wie Shakespeares Timon,
gern die Menschen eingewickelt.
Leider ist es recht verfrickelt,
dieses Reden, Sätzefügen,
Barmen, Mahnen, Locken, Lügen
ohne Kehlkopf, ohne Lippen.
Darum bleiben alle Schrippen
mitsamt Fischfleisch in den Händen,
denn man mag es drehn und wenden –
sprechen Möwen, schmerzen Ohren.
Simon hat deshalb verloren,
während unten Jungspund Hannes
schweigt und damit zeigt: Der kann es.
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Sonntag, 7. August 2016 12:17
Was für ein hübsches kleines Möwengedicht! Aber hat’s denn solch feines Wortgefeil überhaupt verdient, das gefräßige Geflügel? Welchselbiges ja nicht bloß auf sämtliche Buhnen, Markisen und manchmal sogar auf arglose Sommerfrischler scheißt, sondern, mit Verlaub, auch auf gut gefeilte dramatische Monologe. Denn wenn Möwen ausnahmsweise mal Worte machen dürfen, dann kreischen sie lediglich den einen und einzigen Gedanken heraus, der in ihrem gierigen kleinen Vogelhirn Platz hat: „Meins!“ Das weiß ich spätestens, seitdem ich „Findet Nemo“ gesehen hab.
Und mitnichten verbleiben alle Fischbrötchen bei ihren rechtmäßigen Besitzern: Als passionierter Ostseehafenpromenierer hab ich schon mehr als einmal dabei zuschauen müssen, wie das gefiederte Raubgesindel frischgebackene Fischbrötcheninhaber quasi im Flügelumdrehn enteignete. Bzw. nach kühnem Sturzflug, punktgenauem Zugriff und blitzschneller Flucht vom Tatort den aus heiterem Himmel Beraubten mit schreckblödem Blick sowie leeren Händen resp. verwaistem Papptellerchen zurückließ.
Also: Ich bin sicher, der Simon S., der kann’s auch. Der wartet bloß auf seine Gelegenheit!
Nun ist „Findet Nemo“ zweifellos die maßgebliche Referenz in Sachen Möwenkunde (wer die Szene nicht kennt: viel Spaß – Sie werden ihn haben! – auf YouTube). Andererseits hat gerade diese pfeilgerade Gier („Mine! Mine! Mine!“) etwas, in dem sich Menschen leicht wiedererkennen. Deswegen sind Möwen auch so erfolgreich beim Futterbetteln, glaube ich, denn Kumpels sind füreinander da. – Möwen auf Luftjagd haben übrigens meine uneingeschränkte Bewunderung: Touristen als Beutegut … Z. B. in Wismar könnten die Möwen mir gar nicht genug Touristen erbeuten! KS
Dienstag, 9. August 2016 6:25
Wismar ist noch gar nichts. Du solltest erst mal den dicken Touristenbrei sehn, der sich in der Hochsaison tagtäglich am Warnemünder Alten Strom entlangwälzt! Vor allem, wenn grad einer dieser hochhaushohen schwimmenden Schuh-, oder besser: Menschenkartons angelegt hat. Dann ist nämlich kein Fußbreit Erde mehr zu sehn, und dann hab ich mir schon oft gewünscht, die Möwen hätten was von Hitchcocks Vögeln gelernt …
Problem: Möwen unterscheiden leider garantiert nicht zwischen DENEN und UNS. Beleg: Die Verteilung von Möwenscheiße auf die jeweiligen Touristenfraktionen (WIR bzw. DIE) ist nahezu vollkommen paritätisch. Folgerung: Allen Möwen sollte geregelte Arbeit zugewiesen werden, z. B. in Kunstflugschauen oder der Seeluftüberwachung, dann wird’s bald ruhiger an der Mole! Aussichten: gering, wegen „Schwarzer Null“ (Finanzierungsvorbehalt). KS