Fashion victims
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Eine Frau aus New York verklagt den Klamottenvertrieb Zara, weil sie angeblich in einem Kleid der Marke einen in den Saum genähten Rattenkadaver gefunden hat. Ein Firmensprecher äußerte zu dem Vorfall das Übliche: Zara habe „strenge Qualitätskontrollen sowie Gesundheits- und Sicherheitsstandards“. Das mag glauben, wer mag. Greenpeace glaubt dran. In Kleidungsstücken von Zara stellten die Grünfriedler noch 2012 „fortpflanzungsschädigende und krebserregende Chemikalien“, u. a. Nonylphenolethoxylate, fest. Nach Publikation der peinlichen Testergebnisse gelobte das Unternehmen, bis spätestens 2020 auf die Verwendung der Gifte verzichten zu wollen, und hat mittlerweile, wiederum laut Greenpeace,
eine Liste seiner Naßproduktionsstätten veröffentlicht und untersucht, welche gefährlichen Chemikalien in seiner Lieferkette vorkommen. Auch werden Entwicklungen in verschiedenen Produktionsregionen analysiert. Zudem forscht Inditex nach den Quellen gefährlicher Chemikalien, wenn diese in Abwässern auftauchen.
Inditex heißt der Konzern, zu dem Zara gehört. Greenpeace hat es nicht für nötig befunden, die Angaben des Multis zu überprüfen. Es wird bloß ein bißchen gerüffelt:
Außerdem muß Inditex sicherstellen, daß sich seine Screeningmethode zur Identifikation neuer gefährlicher Chemikalien an den besten, zur Verfügung stehenden Verfahren orientiert.
Aber wenn Inditex verkündet, man orientiere sich usw., wird Greenpeace gewiß abermals zufrieden sein.
—Es gibt weitere widerwärtige Mitteilungen aus dem Leben des Geschäfts: Im Mai 2011 nahm die Staatsanwaltschaft des brasilianischen Bundesstaats São Paulo wegen des Verdachts auf Zwangsarbeit Ermittlungen gegen Zara auf. Dabei wurden u. a. in der Stadt Americana 52 Bolivianer aufgespürt, die (so n-tv.de am 18.8.2011) „im Schnitt 14 Stunden am Tag unter entwürdigenden Bedingungen“ geschuftet haben sollen.
Zara nehme Dienste eines brasilianischen Subunternehmers in Anspruch, der wiederum mit mehreren illegalen Schneiderateliers zusammenarbeite. […] Zudem seien die hygienischen Zustände in den Unterkünften sehr bedenklich gewesen.
Inditex, dank Zara zum größten Bekleidungskonzern der Welt aufgestiegen, räumte daraufhin „Unregelmäßigkeiten“ ein. Nach Angaben des brasilianischen Arbeitsministeriums wurden gegen Zara wegen „Unregelmäßigkeiten“ bereits mehr als 50 Mal Bußgelder verhängt.
—Auch in Argentinien wurden die Behörden aktiv. Im März 2013 veranstalteten sie in Buenos Aires bei drei Sweatshops, die für Zara produzieren, Razzien. Stern.de am 28.3.2013:
Die in den nun ausgehobenen Werkstätten Festgehaltenen berichteten nach den Razzien über Arbeitszeiten „von sieben bis 22 oder 23 Uhr“ und scharfe Ausgangskontrollen. Die Ermittler dokumentierten katastrophale hygienische Bedingungen in den engen Schlaf- und Wohnräumen. […]
Die mit hohen Geldversprechen aus ärmeren Nachbarländern, meist aus Bolivien, angelockten Männer und Frauen stehen auf, um zu nähen, und lassen sich nachts wieder ins Bett fallen. Ihre Pässe behalten die Besitzer der Nähereien ein.
In der, wie heißt das noch? ach ja: Wertschöpfungskette stehen die Sklaven unserer Zeit etwa dort, wo der Kaputtalismus am liebsten alle hätte, die die Werte schaffen. Der argentinische Sozialaktivist Gustavo Vera sagt, daß die Näher rund „1,7 Prozent des Endpreises der von ihnen genähten Textilien als Lohn“ erhalten. Eins. Komma. Sieben.
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Wie es den Versklavten in den Textilhöllen ergeht, hat Marian Blasberg in einer eindrücklichen Reportage für das Zeit-Magazin 17/2016 aufgeschrieben. Wer dem Inferno entkommen will, muß mit allem rechnen, was seinem Sklavenhalter gefällt:
Immer wieder […] höre man von kranken Arbeitern, die in den Wald gebracht würden anstatt zum Arzt. Immer wieder gebe es Berichte in den Zeitungen von Männern, deren Leichen man in Straßengräben gefunden habe, mit herausgerissenen Nieren, die auf geheimen Märkten ein Vermögen bringen würden.
Inditex hat mit solchen Verbrechen selbstverständlich nichts zu tun. Der Konzern ist so erhaben über die Vorgänge in den Untermenschenunternehmen, daß er nicht mal lächerliche Strafen für angebracht hält:
2011 wurde […] Inditex von einem brasilianischen Gericht zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 1,4 Millionen Dollar verurteilt. Gleichzeitig unterschrieb der Konzern eine Verpflichtungserklärung, künftig für bessere Arbeitsbedingungen bei seinen Lieferanten zu sorgen. Weil er dem nicht nachgekommen sei, hat das brasilianische Arbeitsministerium nachgelegt und 2015 eine zweite Geldstrafe in Höhe von rund 300.000 Dollar erwirkt. Dagegen ging der Konzern in Berufung.
Der Mann, dem Inditex gehört, heißt Amancio Ortega Gaona, ist Spanier und hockt laut dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes auf einem Vermögen von 67iMilliarden Dollar. Vermutlich ist allein Bill Gates noch reicher. Um sein Gewissen – oder was immer er an dessen Stelle hat – zu beruhigen, spendete Gaona 2012 an die Caritas 20 Millionen Dollar. Das entspricht, sofern die Forbes-Schätzung stimmt, nicht mal 0,3 Promille des Inhalts in seinem Geldspeicher. Großzügigkeit liegt dem Mann also eher nicht im Blut. Er ist auch sonst ein bescheidener Charakter, wie Welt.de am 28.3.2016 erzählt:
Er trägt keine Anzüge und Krawatten. Als er noch den Inditex-Konzern leitete, holte er sich sein Mittagessen in der Kantine des Unternehmens in der verschlafenen Kleinstadt Arteixo bei La Coruña. Luxus und Prunk sind ihm zuwider.
Sparsamkeit lautete stets bei ihm die Devise (aber wie soll eins sonst reich werden?):
Die Manager seines Konzerns hielt er dazu an, bei Dienstreisen in der Touristenklasse zu fliegen und in preisgünstigen Hotels zu übernachten.
Und womit vertreibt sich Dagobert Ducks humanoider Wiedergänger die Zeit? Äußerste Beschränktheit auch hier – Welt.de behauptet:
Seine Hobbys sind Fußball und Pferderennen.
Ein Pracht- und Musterexemplar von Kapitalist also, dieser Gaona, ein – wie nennt man das? ach ja: – Leistungsträger ersten Ranges. Wie er so reich werden konnte, sei, so seine Bewunderer bei Welt.de, „selbst für Experten nicht so leicht erklärbar“. Die Frauen und Männer, die am Erlös der Fetzen, die sie für Inditex genäht haben, mit nicht einmal zwei Cent pro Euro oder Dollar beteiligt werden, könnten das sofort erklären. Doch was wissen diese Ungebildeten schon!
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Und damit zurück zu der New Yorkerin, die in einem Zara-Kleid ein totes Nagetier gefunden haben will. Ob ihre Anschuldigung stimmt, wird die Justiz klären müssen. Ich nehme an, daß der Inditex-Konzern sauberer aus dem Fall herauskommen wird als die Abwässer aus seinen Naßproduktionsstätten.
—Mir gefällt allerdings die Vorstellung, daß wir Abnehmer von Waren, die Sklaven in der von uns ignorierten Welt schaffen, fortan immer zwischen Haut und Luft Textilien tragen müssen, in denen Tiere verwesen. Daß wir an unseren Teil an der Ausbeutung, die Figuren wie Gaona so maßlos, so obszön reich gemacht hat, auf eine Weise erinnert werden, die sich nicht mehr ignorieren läßt. Daß wir auf diese Art lernen, uns zu schämen für die Komplizenschaft mit Kapitalisten, die mit ihrem Reichtum nichts Besseres, Edleres anzufangen wissen als: keine Krawatten zu tragen, auf Pferdeärsche zu starren und Kantinenfraß zu vertilgen.
—Wenn wir nebenbei unfruchtbar werden von dem Zeug, das in dem Zeugs steckt, welches wir bei der erbärmlichsten aller Freizeitvergnügungen, beim „Shoppen“, eintüten – nun, kein Schaden. Der größere Teil der Welt wäre ohne unsereins nicht ärmer dran, als er unseretwegen in Brasilien, Argentinien, Bolivien und mindestens 100 anderen Ländern seit Jahrhunderten sein muß. Aber, damit keine Mißverständnisse aufkommen: Ratten sind wir und Señor Gaona sicherlich nicht! Dazu fehlt es uns schlicht an Empathie und sozialem Vermögen.
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—Photo: „Common rat in Bystrc”, by HTO (Own work (own photo)) [Public domain],
via Wikimedia Commons
Freitag, 18. November 2016 9:20
Der sorgfältig recherchierte Beitrag wird mich noch zuverlässiger als bisher von den Verkaufsstätten dieser Kette fernhalten. Zum rattigen Fazit zwei Sentenzen von Paul Watzlawick, die hier besonders gut passen:
„Das Gegenteil von schlecht muß nicht gut sein, es kann noch schlechter sein.“
„Die Lage ist aussichtslos, aber nicht ernst.“
Na ja … Für die Zara-Näher ist die Lage schon sehr ernst. (Die Zitate passen trotzdem.) KS
Freitag, 18. November 2016 20:12
Als ich den hier verlinkten Artikel auf Zeit.de las, mußte ich an eines ziemlich schnell denken: Seit der Zeit, als B. Traven seinen Caoba-Zyklus schrieb, hat sich nichts geändert. Außer daß Mahagoni heute geächtet ist – aber nicht wegen der Arbeitsbedingungen, die Traven beschreibt, sondern wegen der Tropenholzigkeit von Mahagoni, welches ja total unöko ist.
Und außerdem mußte ich die Lektüre des Artikels auf Zeit.de unterbrechen, um mir einmal kurz die Website von Zara anzuschauen. Mal sehen, wie das eigentlich aussieht. Und da trifft dann die Überschrift dieses Posts in aller Doppeldeutigkeit zu. Das sind ja tatsächlich auch Opfer, die da grauenhaft posieren. Im Gegensatz zu all den wirklichen Opfern, die um ihr Leid wissen, kapieren diese Models es aber nicht. Sie glauben, sie lebten das Richtige, weil sie nicht denken können, dass es das Falsche vielleicht gibt.
Manchmal komme ich in meinem Broterwerb Möbelschlepperei in Haushalte, die man eigentlich Palasthalte nennen müßte, und wenn da ein „Full-Servive-Umzug“ ansteht, dann kann ich es nicht fassen, wenn für die Schuhe allein der „Dame des Hauses“ zehn Umzugskartons gebraucht werden. Was da an Klamotten sonst noch so durch lebenswichtiges Prestige hindurch transportiert werden muß, was da an Symbolen des Status befördert wird, das allein schon kann mich mitunter zum Alkohol treiben. Aber wenn ich dann noch mit Kollegen unterwegs bin, die meinen: „Ey, voll nett, die Kunden“, weil sie denken und fühlen, daß es ja total super ist, wenn ihnen einer, den sie vielleicht mal aus dem von ihren Zwangsgebühren finanzierten Fernsehen kennen und jetzt persönlich treffen, einen Kaffee ausgibt – dann könnte ich es gerne auch mal mit Heroin probieren.
Es ist übrigens die Empathie immer und stets an sehr enge Erfahrung gebunden. Zunächst gilt sie natürlich der Familie oder den besten Freunden (aber auch da kann schnell mal was schief gehen) und dann wird mal weitergesehen.
Ein „linker“ Kollege, der sich schon jetzt überlegen mag, was er nächstes Jahr während des G20-Gipfels in Hamburg machen wird, kann durchaus in finanziell prekärer Lage vielleicht bei KIK mal eine Hose kaufen. Und eine Kundin, die in einer Harvestehuder Villa wohnt, könnte sich durchaus fürsorglich zeigen, wenn ich mir auf ihrer Treppe beim Schleppen einen Fuß verstauche. Ich bin ja gerade bei ihr zu Hause für sie am Arbeiten. Wenn mir dergleichen allerdings auf der Straße passierte, ich ihr also ein Unbekannter wäre, dann ginge sie wohl teilnahmslos an mir vorbei.
Auch Ratten interessieren sich nicht dafür, was irgendwelchen Ratten in Bolivien zustößt.
Ich werde gleich sehr zornig und höre jetzt auf – bedanke mich aber für den Text und die Links, weil es ja nach Feierabend ganz gut tun kann, sich noch mal kurz mit etwas wertvolleren Gedanken zu beschäftigen, als dem ganzen belanglosen Geschwafel, das man tagsüber zu hören kriegt.
Ich habe für diesen Kommentar zu danken, sehr. – Übrigens verdamme ich niemanden, der beim Klamottendiscounter einkauft. Ich verdamme aber alle, die darauf scheißen, unter welchen Bedingungen das Zeug hergestellt wird, mit dem sie sich einhüllen. Diese Bedingungen sind ja kein Geheimnis; und es ist gleichfalls kein Geheimnis, was zu tun wäre, damit die Sklaven in den Sweatshops zur Menschlichkeit und die Eigentümer der „Palasthalte“ von ihrem Status befreit werden. Ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel tut’s leider nicht. KS
Samstag, 19. November 2016 17:56
„Von Euch wird für ein Lumpengeld die Ware hingeschmissen / was Euch dann zum Gewinne fehlt, wird Armen abgerissen“, sangen in den 1840ern die schlesischen Weber vor den Herrenhäusern ihrer Ausbeuter, bevor das preußische Militär sie zusammenschoß. Die Zara-Näher könnten Señor Gaona das gleiche Lied vorsingen, nur müßten sie vielleicht noch eine weitere Strophe hinzufügen, eine, in der es um herausgerissene Nieren geht. Im 19. Jahrhundert waren die Produktionsinstrumente ja noch nicht auf einem Stand, der es ermöglicht hätte, auch noch die Kadaver der Lohnsklaven kapitalerträglich zu verwerten.
In diese Richtung hat er sich inzwischen weiterentwickelt, der Kapitalismus. Und wenn wir ihm auch weiterhin gemütlich beim Entwickeln zuschauen und uns weiterhin die Zeit damit vertreiben, auf Kosten von Millionen elendig Ausgebeuteten möglichst billig irgendwelchen unnötigen Scheiß einkaufen zu gehen, dann wird uns die ganz große Scheiße mit tödlicher Sicherheit irgendwann gewaltig um die Ohren fliegen. Die Ratten könnten uns dann durchaus überleben. Und wenn die klugen kleinen Nager wirklich mehr Empathie und Solidarität im Leib haben sollten als wir neunmalklugen Primaten, wäre das tatsächlich alles andere als ein Schaden.
Vielleicht fliegt uns die ganz große Scheiße längst schon um die Ohren; aber weil sie so groß ist und unsere Hirne so klein sind, haben wir es noch nicht geschnallt -? Es fällt mir jedenfalls sehr schwer, angesichts des Elends, das der Kaputtalismus verursacht, Sympathie für die Spezies zu bewahren, die ihn sich gefallen läßt. Der Mensch, sagt Schopenhauer, sei „der Teufel der Welt“. (Wir sind übrigens auch nicht so hübsch anzusehen wie Ratten, nicht mal in Zara-Kleidern.) KS