Ich weiß, wassu

Schlimmer-Himmel_(c)_Kay_Sokolowsky

Himmel überm Schwarzen Weg (Symbolbild)

Zweieinhalb Stunden vor Mitternacht; mir gegenüber im Bus, gleich hinterm Fahrer, blökt er pausenlos in sein Telephon: Ein Halbstarker („kaukasischer Typ“, wie es in einem nordamerikanischen Polizeibericht hieße), den Mützenschirm tief im Nacken, mit einem Wortschatz von summa 120_Einzelstücken und einer gewissen Vorliebe für Synaloiphen und weiche Konsonanten – ich werde gleich versuchen, den Sound nachzumachen.

Die jegliche Privatheit verachtende Lautstärke seiner Smartphone-Durchsagen geht mir zunächst so auf die Nerven, daß ich den Inhalt ignoriere. Außerdem ärgert mich, daß der Buspilot, den das Gebölk mindestens so penetrant wie mich heimsucht, nichts unternimmt.

Ich bin knapp davor, den Schreihals zu stopfen, als ich begreife, warum der Chauffeur sich zurückhält – ihn bannt die Geschichte, die er zu hören bekommt und die dank schierer Schallkraft sich nun auch in meine Synapsen bohrt.

Wir haben es, als stumme Zeugen des Dramas, mit einer archetypischen Horror-Situation zu tun: Ein Junge steht irgendwo im Nirgendwo zwischen Schlitzenhausen und Blutdorf, hat sich rettungslos verirrt, muß auf amtliche Rettung noch Ewigkeiten warten – und seine einzige Hilfe aus diesem Alptraum ist ein intellektuell stark limitierter Knabe, der das Grauen leider lustig findet:

„Digga – wo bissu ausgestie’ng? Das kannoch nich waah sein – Schwarza Weech? – Ja, wo bissu jetz‘? Ich arbei‘ta doch, ich kennas doch … Neineinein! Da‘s so‘n Penny auffe Straße gegenüber … Auffe gegenüber! Gegenüberseidä! Nee, mussu ummie Egge –!“

Welch ein Setting für ein Slasher-Movie! Der jugendliche Held (netter Bursche, typischer Loser, unschuldig wie ein Papiertaschentuch) schläft nach einem quälend langen Azubi-Tag im Bus ein, verpaßt die Umsteigestation und fährt durch bis zur Endhaltestelle. Schlaftrunken versäumt er, den Fahrer um Tipps zu ersuchen. Ein Brummen, ein Furzen, ein Schnaufen; weg ist der Bus.

Jetzt steht der Knabe da, auf dem Schwarzen Weg, unter mondbleichem Himmel, irgendwo im Gewerbegebiet. Peitschenlampen zittern im Wind, Baumskelette knarren, aus der Kanalisation steigt Dampf. Ein Donnern von schweren Lastern in der Ferne. In der Nähe schwere Stille. Keine Seele weit und breit.

Der jugendliche Held probiert einige Nummern auf seinem Mobiltelephon –: besetzt, kein Netz, besetzt … „Auf seiner Miene bricht jetzt aus: der Schrecken“ (Ror Wolf).

Endlich bekommt unsere Identifikationsfigur eine Verbindung. Und muß sich dann diese Sprüche anhören:

„Nee, kennssu den nich‘ …?! Isso‘n langer, blonder. Also, der is blond und der ist groß, also – nich so groß. Ah, kennsu nich –! Ja … Ja … Digga, passauf – nee, dassis keine gude Gengd, wo du biss! Eh – nein, nee! Waren Witz! Di‘Egge iss okay. Ja, kein Streß!“

Schnitt: Der psychopathische Henker schlägt zu, die Lampen peitschen im Wind, Dämpfe wirbeln. Wir sehen des Killers fettigblonde Haare auf- und abspritzen. Dann, in Großaufnahme, das runtergefallene Handy des Zerschlitzten. Das Display ist mit Bluttröpfchen gesprenkelt. Die Kamera zoomt aufs Hörfeld des Mobiltelephons. Mit jedem Vergrößerungsschritt deutlicher vernehmen wir die Worte (kalt verfremdet):

„Digga, passauf, du fähss jetz na‘ Barmbek, und dann gehssu darein und dann rufsse mich an – also, nein – du gehss erss da rein, un‘ dann rufssu mich an. Sonss frag‘n Busfahrer. Bis dann, Digga. A‘ss klar? Digga? Alda?!“

Für die Filmförderung, die viel auf klassische Bildung hält, prokeln wir jetzt noch was von Schiller ins Treatment – hier, paßt! –: Der Verbrecher aus verlorener Ehre:

„Meine Rechnung war völlig, die Zeit der Ruhe war dahin, mein begangener Mord lag hinter mir aufgetürmt wie ein Fels, und sperrte meine Rückkehr auf ewig.“

Das, aus dem Off von Ben Becker gesprochen –: klare Förderzusage! Oder?

Und um solche Petitessen wie innere Logik, glaubwürdige Charaktere und tieferen Sinn kümmern wir uns nächstes Mal. Wie die deutsche Filmförderung!


Montag, 2. Februar 2015 23:25
Abteilung: Bored beyond belief, Moving Movies, Unerhört nichtig

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