Nullenquartett (4): Karl-Th. zu Guttenberg



In einem Quartett aus lauter Nullen sind alle Karten gleich wertlos, deshalb kann es keine höchste geben. Aber einen persönlichen Favoriten schon. In dem Lieblingsquartettspiel meiner Kindheit („Ozeanriesen“) war der Transatlantik-Cruiser „France“
zwar nicht der Joker, der alles stach, doch die Karte, die ich mit dem größten Vergnügen betrachtete und eifersüchtig begehrte. (Was war das aber auch für ein prächtiges, stolzes, schnittiges Schiff!)
Ähnlich geht es mir mit der folgenden Polemik, die erstmals in KONKRET 5/2010
erschien. Sie ist an dem, was ich für das Bestmögliche in meinem Beritt halte, so nah wie die „France“ in ihrem – eine nahezu ideale Melange von Kraft und Eleganz. Für die Blogfassung des Artikels mußte ich bloß Kleinigkeiten ändern. Und wer errät, auf welches Wortspiel ich mir das meiste einbilde, derdiedas darf sich (Achtung! Hinweis:) etwas wünschen.
K. S.

***

Windbeutels Ende

Als er anfing, gewann er in sämtlichen Kategorien. Er trat staatsmännischer auf als Horst Köhler. Er hatte mehr Charisma als Angela Merkel. Er bleckte die Zähne erotischer als Ursula von der Leyen. Das Nichts, was alle können, konnte er besser als jeder andere. So wurde Karl-Theodor zu Guttenberg zum einzigen Kabinettsmitglied, vor dessen Beliebtheit sogar „Mutti“ die Muffe sauste.

Der Oberfranke mit dem „Quaderschädel“ (Patrick Bahners) stellt ideal dar, wie Politiker beschaffen sein müssen in der postsozialistischen, monoideologischen Welt. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften, der sich gewünschte Attribute je nach Bedarf anklebt. Ein Schwätzer summa cum laude, mindestens so selbstverliebt wie Berlusconi oder Sarkozy. Doch anders als sie braucht er auf keinen Schuhkarton zu steigen, damit die Photographen ihn entdecken. Obgleich nichts weiter als eine Charaktermaske, vergöttert ihn das Publikum. Denn sein Habitus, von der dynamischen Gelfrisur bis zu den staatstragenden Gesten, spiegelt die ökonomischen Verhältnisse, aus denen er stammt, makellos wider. Dies ist das „Authentische“, das seine Groupies magnetisiert. An Guttenberg ist zwar bloß seine Herkunft glaubwürdig, doch damit hat er schon viel mehr als der Rest im Nest zu bieten.

Daß Guttenberg das Zeug sogar zum Kanzler habe, glaubten bis vor kurzem nicht nur seine Claqueure. Großzügig übersahen seine viele Bewunderer, daß eine Quarktasche sich dagegen verwahren würde, mit dem „freien Herrn“ („Stern“) verglichen zu werden. Recht einsam war zum Beispiel Stefan Frank mit seiner Analyse in KONKRET 5/2009, Guttenbergs Qualifikation zum Politiker bestehe allein im gekonnten Blechstanzen: „Er kann aus dem Stegreif Reden halten, in denen er Schlüsselwörter wie ‚Verantwortung‘, ‚Bodenhaftung‘, ‚Mut‘, ‚Augenmaß‘ oder ‚Realitätssinn‘ so aneinanderreiht, daß das Gesprochene zwar keinen Sinn hat, aber sehr überzeugend wirkt.“

Kanzlerin Merkel war der Aufstieg dieses Sterns nicht schnuppe. Wenn jemand sich mit gefährlichem Ehrgeiz auskennt, dann sie. Doch von ihrem verratenen Ziehvater Kohl hat sie einiges gelernt, besonders die Technik der Konkurrentenbeschädigung mittels Beförderung. Vielleicht wird Deutschland demnächst wieder einen König haben, doch vorerst möchte Merkel es sich nicht nehmen lassen, Josef Ackermann zum Essen einzuladen. Deshalb tat sie dem Streber aus Oberfranken durchaus keinen Gefallen, als sie ihm am 28. Oktober 2009 den vakanten Chefsessel im Verteidigungsministerium antrug. Was Guttenberg und seine Fans für einen Riesensprung auf der Karriereleiter hielten, war der mieseste Job im Angebot, und Merkel wußte, daß der aristokratische Windbeutel damit heillos überfordert sein würde.

Vom Vorgänger auf der Hardthöhe, Franz Josef Jung, hatte er nämlich einen internationalen Eklat geerbt, das schlimmste Blutbad, das die Bundeswehr in Afghanistan bislang veranstaltet hat. Am 4. September 2009 sprengten auf Befehl des Luftwaffenobristen Georg Klein US-amerikanische Bomber zwei Treibstofflaster, die sich im Kundus-Fluß, rund sechs Kilometer vom deutschen Feldlager entfernt, festgefahren hatten. Dabei starben laut Nato-Angaben bis zu 142 Menschen. Wie viele von ihnen Taliban, wie viele Zivilisten waren, die aus den Tanks Benzin zapfen wollten, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Daß zahlreiche Unbewaffnete zu den Opfern zählten, steht aber mittlerweile fest. Jung, der Mann, der Krieg gut ertragen konnte, so lange niemand ihn so nannte, behauptete umgehend, es seien ausschließlich „Aufständische“ bei der Bombardierung getötet worden. Den beteiligten Stellen sei nichts vorzuwerfen, alles nach Vorschrift verlaufen, Oberst Klein habe seine Pflicht vorbildlich erfüllt.

Da lag bereits der vorläufige Nato-Bericht vor, der genau das Gegenteil meldete. Als Jungs Mär bei den Isaf-Alliierten Unmut auslöste, fühlte die Kanzlerin sich genötigt, die Verbündeten anzugiften: Sie verbitte sich Kritik. Damit erreichte sie zwar die Chauvinisten in der Heimat, doch bei den Alliierten nur weitere Empörung. Allein weil die SPD schlecht gegen einen Minister stänkern konnte, der ohne ihre Hilfe gar keiner gewesen wäre, wurden weder das Massaker noch der Afghanistankrieg zu Themen im Bundestagswahlkampf. Fast schien es, als ginge der Fall im allgemeinen Getöse über den besten Weg zur Liquidierung des Sozialstaats unter. Doch die Geschichte tauchte wieder auf, und sie zeigte den Mitgliedern der schwarzgelben Koalition, in welches Schlamassel sie geraten sind, seit ihre Parteisprecher den Sozen nicht mehr für schlechtweg alles die Schuld geben können, was schief läuft. Und es war etliches krumm, zumal in der Affäre Klein.

Der Oberst hatte das Reglement mißachtet; das Bundeswehr-Camp war nie gefährdet, die Anwesenheit von Guerilleros am Einsatzort nur eine Vermutung gewesen: Das weiß man mittlerweile. Jung wurde hastig ins Arbeitsministerium versetzt, wo ein eigenwilliger Umgang mit der Realität kein Skandal, sondern der Normalfall ist. Sein Nachfolger mußte nun richten, was Jung verbrannt hatte, ohne den Kollegen in die Pfanne zu hauen. Das war selbstverständlich nicht möglich, und deshalb hätte ein kluger Politiker Merkels Falle geahnt und den Schleudersitz schaudernd abgelehnt. Karl-Theodor zu Guttenberg jedoch barst schier die Maßhemdbrust, als der Bundespräsident ihm die Ernennungsurkunde überreichte. Der „Überflieger“ („Spiegel“, „Focus“, „Faz“ et. al.) war so von sich und den Hymnen in der Deppenpresse besoffen, daß er gar nicht anders konnte, als eine Bauchlandung hinzulegen.

Seine Devise hieß: Schluß mit dem eierweichen Getue, die deutschen Soldaten seien unterm Wimpel von Bob dem Baumeister in Afghanistan unterwegs! Der Baron zeigte sofort, wie sehr es zu schätzen weiß, daß unsre Jungs und Maiden 3.000 Meilen von seinen Besitzungen entfernt dafür sorgen, daß ihm beim Ausritt über die Ländereien kein Opiumbauer mit Wickelmütze begegnet. Und wie gut er die Truppe versteht! Wenige Jahre zuvor hätte er womöglich aus derselben Gulaschkanone gespeist wie sie, auf derselben Latrine gehockt und mit Heldengeschichten aus seinem Gebirgsjägerbataillon beeindruckt, wo Rekruten Rollmöpse mit Frischhefe fressen müssen, bis sie kotzen. Er will seinen Soldaten nicht nur Minister, sondern Kamerad sein, und deshalb nannte er gleich nach Amtsantritt das Massaker am Kundus „militärisch angemessen“.

Dabei hätte es Guttenberg wenig gekostet, Kleins gemeingefährliche Unfähigkeit nicht länger zu leugnen, sondern den Massenmord als „Verkettung tragischer Fehler“ zu verkaufen, eine „Katastrophe“, die schon mal wüten kann, da unten im Gebirge, überdies bei Nacht, wenn alle Afghanen feldgrau sind. Der Fauxpax Guttenbergs, der ihn auf viele Jahre am Aufstieg in der Hierarchie des Hofstaats hindern dürfte, verdankt sich vermutlich jener seltsamen Nibelungentreue, die uns Deutschen so leicht keiner nachmacht und einem Junker gleich gar nicht. Überdies wollte Guttenberg offenbar die „Multiplikatoren“ der Medien nicht enttäuschen. Die hatten sein großes Maul während der Opel-Verhandlungen – damals kündigte er an, seinen Rücktritt als Wirtschaftsminister einzureichen, sollte bei der Abwicklung Steuergeld fließen, kassierte die Drohung aber wortlos, als Merkel ihn zur Ordnung rief – nicht verspottet, sondern wider jede Wirklichkeit als Ausweis seiner „Aufrichtigkeit“ plus „Unbequemlichkeit“ abgefeiert. Diesen Coup zu wiederholen, mag Guttenberg gedacht haben, würde ein Leichtes sein. Doch da hatte er sich mit dem Ordonnanzsäbel geschnitten.

Er vergaß, was schon so viele Stars erleiden mußten, die bloß zum Schein welche sind: Die Massenmedien konstruieren sie, um sie bei nächstbester Gelegenheit demontieren zu können. Zweifellos hatte am 4. September etwas stattgefunden, das „militärisch angemessen“ allein der finden kann, der lieber heute als morgen Afghanistan unter einem Bombenteppich begraben will, damit dort endlich eine Ruh‘ ist. So weit möchten jedoch nicht mal jene Kommentatoren gehen, die bisher keine Gelegenheit verpaßt haben, die Umrüstung der Bundeswehr zur Invasionsarmee als „humanitäre Notwendigkeit“ zu verkaufen. Es ist nämlich selbst nach Maßstäben eines „Welt“-Kolumnisten nicht human, Menschen zu verbrennen, nur weil sie Benzin klauen wollen. Dem Baron blies ein Sturm der Entrüstung ins Gesicht, und er tat, was wackere Mannen wie er in solchen Situationen schon immer getan haben: Er suchte sich Sündenböcke.

Am 26. November 2009 entließ Guttenberg den Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert. Sie hätten ihm Informationen vorenthalten, behauptete er, und darum habe er geirrt in der Bewertung der Bombardierung. Das kaufte ihm niemand ab, und statt als ehrliche Haut stand der Minister jetzt wie ein Machiavellist da. Zugleich versuchte er weiter, sein Image als Mann der Truppe zu pflegen. Am 3. Dezember erklärte Guttenberg im Bundestag, Klein habe „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt, „angesichts kriegsähnlicher Zustände um Kundus“ sei Klein „subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen“. Dafür habe der Oberst sein Verständnis, und er, Guttenberg, zweifele „nicht im geringsten daran, daß (Klein) gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen“. Diese bedingungslose Loyalität zu einer niederen Charge, nachdem der ranghöchste Offizier bedenkenlos gedemütigt worden war, läßt sich psychologisch schwer nachvollziehen. Vielleicht ist dies die Oberschläue eines Juristen, vielleicht hat Guttenberg aus seiner Soldatenzeit nicht die besten Erinnerungen an Generäle, vielleicht lag Jan von Aken, stellvertretender Vorsitzender der Linken-Fraktion im Bundestag, richtig, als er schimpfte: „Herr zu Guttenberg ist ein Wendehals, der seine Meinung beliebig ändert … Dabei opfert er kaltschnäuzig auch Mitarbeiter und verbreitet hinterher darüber offensichtliche Unwahrheiten.“

Der Baron schwimmt, und außer seinen Kumpanen bei „Bild“ möchte ihm kaum einer mehr an Land helfen. Je verzweifelter er versucht, die Attitüde des redlichen, unerschrockenen Volksvertreters aufrechtzuerhalten, desto mehr muß er schwindeln. Mahnt zum Beispiel der Wehrbeauftragte, die deutsche Isaf-Truppe schleunigst besser auszurüsten, bellt Guttenberg zurück, das Arsenal sei in Ordnung – und kündigt eine Woche später an, weiteres Material nach Stalingrad, stop: nach Kundus schaffen zu lassen. Ja, „umgangssprachlich“ könne man von einem Krieg in Afghanistan reden, verkündet der Minister, er selbst tue das auch. Doch ein Krieg im völkerrechtlichen Sinne sei etwas ganz anderes, da gebe es „juristische Feinheiten“ zu beachten, schließlich kämpften hier nicht zwei Staaten gegeneinander. Das werden die Hinterbliebenen der Toten von Kundus möglicherweise etwas anders sehen.

Fortwährend ist Guttenberg seine Neigung zum aufgeplusterten Nonsensgelaber im Weg: „Wenn wir Afghanistan nur auf Afghanistan beschränkt denken, ist das Scheitern programmiert“, sagte er im März bei einer Podiumsdiskussion mit Helmut Schmidt. Und dann auch dies: „Den Prozessbeginn an Zielmarken gebunden, das ist ja ganz wichtig dabei.“ Die Klassiker der Militärtheorie hat dieser Mann offenbar nie gelesen. Die reden unverblümt und geradeaus, wie es sich schließlich für Leute gehört, die verantworten müssen, wenn massenhaft Menschen getötet werden. „Es hat noch nie einen langwierigen Krieg gegeben, der einem Land Nutzen gebracht hätte“, wußte Sun Zi bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden. Und Carl von Clausewitz schrieb über den idealen Kriegsminister: „(Ein) großartiger, ausgezeichneter Kopf, ein starker Charakter, das sind die Haupteigenschaften.“ Mit denen Guttenberg leider gar nicht dienen kann.

Als am 9. April drei im Gefecht entleibte Bundeswehrsoldaten mit dem üblichen degoutanten Gepränge aufgebahrt wurden, erzählte der Minister: „Meine kleine Tochter … fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden seien, ob sie stolz auf sie sein dürfe. Ich habe beide Fragen nicht politisch, sondern einfach mit ja beantwortet.“ Mag diese Geschichte stimmen oder nicht: Sie ist so obszön wie der Krieg, den Guttenberg auch mit der Umgangssprache führt. Retten werden ihn solche Anekdoten aus dem Handbuch der nationalen Propaganda nicht mehr. Sobald aus den Reihen der Union ein neuer Hoffnungsträger von möglichst steinreicher Herkunft erscheint, wird Guttenberg sich ausführlich darum kümmern können, seiner kleinen Tochter zu erklären, warum er mal ein Held war und heute als „Lügenbaron“ bzw. „Selbstverteidigungsminister“ verhöhnt wird. Und sie mit Sätzen wie diesen quälen: „Bei dem Gewinnen von Verständnis haben wir in meinen Augen in den letzten Jahren auch viele Fehler gemacht.“


Montag, 24. Oktober 2022 22:41
Abteilung: Director's Cut, Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus

2 Kommentare

  1. 1

    Abteilung Qualiätsjournalismus, auf jeden Fall!
    Was für ein hervorragender, mit Spitzen nur so gespickter Text! Lange habe ich nicht mehr gerne über Politik gelesen, doch solch großartige Artikel erheitern einen sogar mit negativem Inhalt.
    Welches der vielen Wortspiele Ihnen, sehr geehrter Herr Sokolowsky, am besten gefallen hat, vermag ich nicht zu sagen. Mein Favorit ist auf jeden Fall »Merkel war der Aufstieg dieses Sterns nicht schnuppe«. Und das mit der Quarktasche macht mich grinsen.

    Liebe Tiffany, Sie dürfen sich jetzt vom Blogger was wünschen! Denn Ihr Lieblingswortspiel ist zugleich meines – Hut ab vor Ihrem guten Geschmack! – Auch daß ich Sie zum Grinsen gebracht habe, vernehme ich mit hohem Behagen. KS

  2. 2

    Wie jetzt? Nicht mal zehn Tage hält so ein Wünsch-Dir-was-Angebot bei Ihnen vor? Bitte beim nächsten Mal das MHD mit angeben!
    Tatsächlich hatte ich darüber nachgedacht, was ich mir denn so wünschen könnte, anschließend im Kopf einen philosophischen Essay über das Thema »als das Wünschen noch geholfen hat« zusammengebastelt, um dann heute — als ich endlich mal wieder die Zeit dazu fand — hier vorbeizuschauen, was denn so textlich wünschbar wäre. Nix mehr, wie es aussieht. Trotzdem:
    Ich gönne dem unbekannten Leser die Erfüllung seines Wunsches. Allerdings, einen hätte ich auch noch: nicht als Kundin betitelt zu werden. Nicht auch noch hier, bitte! Danke. 🙂

    Doch, gerade hier! Hier gibt es auch keine Mindesthaltbarkeitsdaten. Hier ist sowieso alles geregelt wie unter Stalin und entsprechend selbstherrlich.
    Aber ich will mal nicht so sein: Sie dürfen sich weiterhin was wünschen. Ob Kay Fredowitsch Stahlolowsky es dann erfüllt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Hähä. KS

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