Quizás

Mittwoch, 17. Oktober 2018 22:00

Vielleicht sollte ich nur noch über die schönen Phänomene schreiben. Über das Klagen der Bussarde da oben oder das Plappern der Spatzen hier unten. Über den Halbmond, wie er nachts die Wolken versilbert, oder über die Sonne, wie sie sich abends in Purpurtücher hüllt. Über das Tuscheln der Bäume oder das Taumeln der Hummeln. Über die Marienkäfer, die sich vorm Winterschlaf zu einem letzten Tanz versammeln, oder die Eichkater, die das Vorrätehorten aussehen lassen wie den größten Spaß der Welt. Über das neptunische Blau der Korn- oder das saturnische Orange der Ringelblumen, satt und warm sogar jetzt noch, Mitte Oktober.

Vielleicht sollte ich den Rest meines Lebens, will ich das Schreiben nicht ganz lassen, nur mehr über das Gute schreiben, das ja doch in diesem einen oder jenem anderen Menschen steckt, und nicht mehr über das Schlechte, das die meisten Artgenossen, leider, kultivieren. Vielleicht sollte ich über den Krankenpfleger schreiben, der von seinem lächerlichen Lohn DVDs mit berückenden Naturaufnahmen anschaffte, damit die Patienten, die Stunden über Stunden vor der OP-Schleuse darauf warten müssen, in der Hospitalfleischfabrik verwurstet zu werden, etwas anschauen können, das sie von ihrer Angst und Ohnmacht ablenkt. (Der Betrieb, von lauter BWL-Zombies organisiert, sieht nämlich nicht mal Tröstungen dieser geringsten Art vor; es kümmert ihn nicht, was seine Objekte bekümmert.)

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Fake News Blues

Mittwoch, 26. September 2018 23:49

Aaron „Pinetop“ Sparks gewidmet


Tag für Tag, Nacht für Nacht bin ich konfus.

Tag für Tag, Nacht für Nacht denk ich nur Mus.
Sobald ich Twitter klicke,
fühl ich den Fake-News-Blues.

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Abteilung: Bored beyond belief, Lieder ohne Werte, Qualitätsjournalismus | Kommentare (3)

Die 55. Seite

Dienstag, 24. Juli 2018 0:05

… oder: Das literarische Geburtstagsorakel

Wenn ein Mann ein Jubiläum begeht, das eine Schnapszahl enthält, dann darf er, glaube ich, etwas weniger Nüchternes tun und den Status quo sowie evtl. die nahe Zukunft aus jenen Büchern lesen, die er liebt wie sich selbst.

Und zwar immer aus einem Absatz auf der gedruckten Seite 55. Zum Deuten der Zufallsbotschaften hat unser Mann dann 52 Wochen Zeit, möglicherweise 55, schließlich ist er nicht mehr der Schnellste.

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Arno Schmidt

„Und überdem hätten die Herrschaftn sich doch wohl waschn dürfn; auch die Zeehne putzn. – Und den Korkn=hintn etwas fester schteckn !“ fügte ich ärgerlich hinzu; denn meinem Herrn Nachbarn flog er ebm, mit gut hörbarem POPP, heraus. (Und er lachte noch, froh der eig‘nen Kraft, rauh & cis=Taunensisch : ‚Wir sind die Nieder=Saxn !‘
KAFF auch Mare Crisium (1960)

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Olaf Stapledon

Man kam ferner überein, all jene Rundfunkangestellten zu entlassen, die verdächtig waren, mit derart schädlichen Idealen wie dem Pazifismus oder der Freiheit der Meinungsäußerung zu sympathisieren. Darüberhinaus wurden die Soldaten mit der Bewilligung eines staatlichen Mutterschaftszuschusses, der Einführung einer Junggesellensteuer und der regelmäßigen Ausstrahlung militärischer Propaganda beruhigt.
Der Sternenschöpfer (1937)

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Abteilung: Litterarische Lustbarkeiten, Selbstbespiegelung, Unerhört nichtig | Kommentare (7)

Wie es sich im Writersblock wohnt

Donnerstag, 19. Juli 2018 22:38

Schreibblockaden sind keineswegs einem Mangel an Themen oder einem Unterschuß an Ideen geschuldet. Im Gegenteil: Die Blockierer bauen, was mich betrifft, ihre Mauern erst dann, wenn zu viele Motive, viel zu viele Gedanken sich aufdrängen und der Autor daran verzweifelt, der Invasion Herr zu werden. Wenn ihn die Angst quält, der Sache in der, in seiner Sprache nicht gewachsen zu sein. Wenn das wenige, was er auf seiner Seite hat, die Wörter, die Lettern, ihm zu leise erscheint, zu blaß, verglichen mit den Bildern und Begebenheiten, den Gerüchten und Geräuschen, welche ihn von allen anderen Seiten bedrängen.

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Abteilung: Inside "Abfall", Selbstbespiegelung | Kommentare (7)

Der Tag des Ruhms ist da

Montag, 16. Juli 2018 0:53

Dieses Match gehört meinen Jungs.
Das ist die Krönung.
Didier „Le Général“ Deschamps



Ich hab ja gewußt, daß meine Blauen gewinnen werden, ich hatte überhaupt keinen Zweifel, daß sie die Ustascha-Kameraden bezwingen würden, ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß Didier „Dieu“ Deschamps etwas falsch machen könnte … Aber wenn ES dann doch geschieht – wenn dann doch die Mannschaft, der ich so gern zujuble und mit der ich so oft getrauert habe seit 1982 bzw. 2006, den Pokal erringt – wenn dann doch die Besten als die Besten vom Platz gehen – wenn dann doch eintritt, woran ich öffentlich nie zweifelte –: In solch einem endlosen Augenblick des Glücks und der Erleichterung und der Bewunderung und der Schadenfreude tauchen die heimlichen Zweifel einer nach dem anderen auf und versinken sogleich, einer nach dem anderen, für immer. Wenn es doch immer so wäre!

En avant

Abteilung: Lieder ohne Werte, Selbstbespiegelung, Sokolowsky anderswo, Unerhört nichtig | Kommentare (8)

Une étoile est née

Sonntag, 1. Juli 2018 0:01


Er fliegt übers Feld fidel wie ein Reh,
er jagt durch den Raum wie ein jäher Komet,
und in seinem Schuh steckt ein Fußballmagnet:
Gesegnet bist du, Kylian Mbappé!

Solch einen wie dich gab es nicht seit Pelé,
solche Stärke plus Jugend mal Eleganz,
in Antritt und Abschluß solch Quecksilberglanz:
Ein Wunder bist du, Kylian Mbappé!

Er lächelt bescheiden, ein Mythos in spe,
er redet nicht viel, ihm reicht schon ein Satz,
viel lieber schafft er sich Platz auf dem Platz:
Vorwärts, mein Blauer, Kylian Mbappé!

Photo: „Kylian Mbappé“,
by Кирилл Венедиктов
[CC BY-SA 3.0 or GFDL],
via Wikimedia Commons

Abteilung: Bored beyond belief, Lieder ohne Werte | Kommentare (8)

Replay*

Mittwoch, 27. Juni 2018 18:46

Der Plan war auf jeden Fall da.
Wir alle haben heute verloren, klar.

Joachim „Jogi“ Löw

Wasserball_(c)_Kay_Sokolowsky


Zersprungen jede Hoffnung,

zertreten alle Träume und zerstört,
zerschmettert und zermahlen und zermalmt.

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Abteilung: Bored beyond belief, Lieder ohne Werte, Man schreit deutsh | Kommentare (9)

Weshalb der Abfall gammelt

Mittwoch, 13. Juni 2018 23:04


Ich bin nicht weg, bloß stumm.
Warum?
Ich bin die meiste Zeit nicht froh.
Wieso?

Ich hab die Wörter nicht mehr gern.
Inwiefern?
Ich hab beim Schreiben so ein Loch.
Und was noch?

Ich schweige, weil es mir zuviel wird.
Haben Sie kapituliert?
Ich hab vielzuviel zu sagen.
Wie geht‘s weiter, darf man fragen?

Geht schon weiter. Irgendwann.
Und dann?
Keine Ahnung. Keine Pläne.
Bene.

Ach … Dürft‘ ich was bemerken?
Zu Ihren Werken?
Nein. Zu meiner Leserschar.
Ja, klar.

Danke, daß Sie treu geblieben!
Das war Kultur live um sieben.

Photo: „Frontmic“, by LuckyLouie
at English Wikipedia [Public domain],
via Wikimedia Commons

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