Bored beyond belief (10): Hotel Kubrick

Sonntag, 4. November 2012 1:08

Wenn ich mir jetzt einen Baseball kaufe und ihn den lieben Tag lang gegen die Wand schmeiße … Wenn ich nie mehr etwas anderes schreibe als: „All work and no play makes Kay a dull boy“ … Wenn ich mit Barkeepern rede, die gar nicht da sind, und wenn ich eine mehr als bedenkliche Beziehung zu Feueräxten entwickle … Dann liegt es nur daran, daß ich in der Nacht zum 2. November im „Overlook“ übernachtet habe. Ja, genau, in dem Hotel aus Stanley Kubricks „The Shining“.

Zugegeben, die Herberge, in der ich mich aufhielt, heißt in Wirklichkeit nicht so, und sie steht auch nicht in den verschneiten Rocky Mountains, sondern im verregneten Hannover. Aber warum Jack Torrance jeden Bezug zu Welt und Wirklichkeit verliert, nachdem er das „Overlook“ betreten hat – das habe ich nun erst richtig begriffen.

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Programmhinweis für Hannover

Donnerstag, 1. November 2012 12:15

Wer Kay Sokolowsky einmal als Gastgastgeber und Vortragskünstler begutachten möchte, der hat heute abend im Künstlerhaus Hannover reichlich Gelegenheit dazu. Bei „Oblongs Odyssee“ werden er und Dietrich zur Nedden dem Berliner Autor und Musiker Florian Werner zur Seite sitzen, wenn es um erhabene Themen wie Kuh und Kot, aber auch um Journalismus alter Schule und märchenhafte Herbstnachmittage geht. Beginn um 19.30 Uhr, Ende nach Bedarf, Eintritt 8 (erm. 6) Euro.

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The Shape of Things to Come

Donnerstag, 1. November 2012 0:45

Es gibt gute Gründe, mit der Menschheit nichts mehr zu schaffen haben zu wollen. Man muß für seine Misanthropie nicht unbedingt Argumente – Kolonialismus, Weltkrieg, Holocaust – vortragen, die sich mit nichts widerlegen lassen, nicht mal mit Beethovens Siebter, dem König Lear oder Michelangelos Pietá.

Von der Spezies die Nase voll haben darf man bereits und zu Recht nach einer Visite des nächstgelegenen Baumarkts. Was sich da hinter gewaltigen Drahtwagen durch die Gänge schiebt, krönt eine Schöpfung, die vor circa drei Millionen Jahren völlig schief, das heißt, aufrecht gegangen ist. Alle Geistigkeit des Menschen, sein Intellekt, die grenzenlose Welt seiner Vorstellung, sie gipfeln hier, bei Obi, Hornbach, Praktiker, Max Bahr. Und nicht etwa in Armstrongs ersten Schritten auf dem Mond oder der kosmischen Physik Einsteins oder den Romanen Flauberts oder den Spielfilmen Scorseses. Erst hier, im Baumarkt, kommt die Menschheit tatsächlich zu sich selbst und stellt ihre gewaltigsten, kühnsten, Materie gewordenen Träume aus – die LED-beleuchteten Mischbatterien fürs Gästeklo, die Teakimitatpanele für den glaswoll-
isolierten Dachbodenausbau und zumal Zaunelemente sonder Zahl. Dies ist, was die Spezies ersehnt, nebst einem Auto, um den Plunder in ein Haus schaffen zu können, das leider auch nach erfolgter Installation ein Zuhause nicht und nicht werden mag. Und zurück geht‘s in den Baumarkt.

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Schönheit und Scheißdrökh

Montag, 29. Oktober 2012 22:23

Schön ist, weil ergreifend anzusehen, was der Dokumentarfilmer Gerd Kroske in seinem Stück „Heino Jaeger – Look before you kuck“ aus dem traurigen Leben eines genialen Komikers gemacht hat. Reiner „Scheiß-
drökh“ (Neal Stephenson, Anathem) hingegen entstand, als sich die Geschwister Wachowski und Tom Tykwer zusammentaten, um David Mitchells Meisterwerk Der Wolkenatlas auf ihr Niveau zu ziehen. So viel
in Kürze. – Etwas detaillierter äußert sich Kay Sokolowsky zu den beiden Filmen im neuen Konkret.

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Indian Summer, c/o Hamburg (3): Traum

Sonntag, 28. Oktober 2012 12:40

Was bisher geschah.

Robin fiel noch früher in Schlaf als der General und der Oberst. Das Abenteuer der Reise, der endlose Gesang und die Geborgenheit am Herzen seines Abgottes hatten das Rotkehlchen so müde gemacht wie nicht mal eine Tirade von Dagmar, der Drosselin. Zum Glück wimmelten die Äste des Ahorns von Spinnen. So hatte Robin es nicht schwer, sich den Magen vorm Schlafengehen vollzuschlagen. Er bedankte sich für das fette Mahl mit einem Abendlied, das Robins Mutter oft gesungen hatte, bis er und seine Geschwister tief ins Nest sanken, die Köpfchen voll von künftigen Heldentaten.

Mitten in der dritten Strophe, der Tag war kaum verdämmert, klappten dem Vogel der Schnabel und die müden Augen zu. Doch statt Schwärze sah er etwas Buntes:

Aus dem Herbstwäldchen rauschte ein Mauscheln und Tuscheln, ein Zischeln und Säuseln, ein Lispeln und Wispern wie von tausend Stimmen. Robin konnte zunächst nicht verstehen, was da geflüstert und gehechelt wurde. Das beunruhigte ihn aber nicht, denn er merkte sofort, daß es freundlich gemeint war. Die Stimmen erinnerten ihn an seine ersten Tage im Nest – da waren gleichfalls zahllose Geräusche gewesen, die er nicht kannte, und trotzdem hatten sie ihm lauter nette Dinge mitgeteilt.

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Indian Summer, c/o Hamburg (2): Trugbild

Mittwoch, 24. Oktober 2012 23:14

Was bisher geschah.

Je näher das Rotkehlchen dem Ahorn kam, desto mehr staunte es über die Pracht und den Glanz des mächtigen Baums. Es hörte den Wind durchs gelbrote Laub rauschen und brausen und bildete sich ein, das seien die Verdauungs-
geräusche des gewaltigen Artgenossen. Weil die Manteuffelstraße menschenleer und der Omnibus, der Robins Neugier geweckt hatte, längst durchs Tor der Militärakademie verschwunden war, gab es für den Vogel nur eine Erklärung: Der Ahorn hatte alle Fußgänger und Autos, die hier sonst unterwegs waren, verschlungen. Mit Maden und Larven würde der Gigant sich kaum satt essen können. Robin empfand bei dieser Erkenntnis solchen Stolz auf den Ahorn, auf sich selbst und auf seine Gattung im allgemeinen, daß er am liebsten gesungen hätte. Aber dafür fehlte ihm beim Torkeln durch die quirlige Luft leider der Atem. Es wurde Zeit zu landen.

Robin umkreiste den Ahorn einmal und noch einmal und hoffte, daß der Baum ihm irgendwas sagen würde. Erst als das Rotkehlchen die letzte Kraft aus den Flügelchen schwinden fühlte, hörte es im Geraschel und Geprassel der Blätter diese Worte: „Schlauköpfchen, willst du‘s kuschelig haben? Schau, schau, hier ist‘s traulich zum Sitzen, ziemlich lauschig auch, rasch, husch rein!“ Kaum zwei Sekunden später klammerten Robins grashalmdünne Krallen sich an eine der astdicken Federn seines neuen besten Freundes, und weil der Vogel so erschöpft war, konnte er „Danke“ nur denken, nicht sagen.

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Indian Summer, c/o Hamburg (1): Erscheinung

Mittwoch, 24. Oktober 2012 0:54

Für Frau Freitag

Kurz nach zwei machte sich Robin, das Rotkehlchen, das eigentlich Lothar hieß, auf den Weg zur Militärakademie. Der Wind blies nicht mehr so stark wie am Vormittag, und endlich schien wieder die Sonne. Zwar sind Rotkehlchen wetterfester als sie aussehen. Doch bei Böen und Schauern haben sie lieber Gebüsch um sich herum, statt durch die Gegend zu flattern. Wenn man bloß so viel wie ein Brief mit Marke wiegt – und das bestenfalls nach dem Mittagessen –, dann wird fliegen in schwerem Wetter zu einer riskanten Angelegenheit. Sogar ein Abenteurer wie Robin hob unter solchen Bedingungen nur in Notfällen ab.

Er legte mehrere Pausen auf Dachrinnen, Schornsteinen, Astspitzen ein, plusterte das Gefieder auf und ließ sich von der Herbstluft fönen. Robin war vom Regen der vergangenen Tage klamm bis auf die Haut, und das gefiel ihm nicht besonders. Außerdem mußte er überlegen, ob er wirklich zur Militärakademie wollte. Er wurde das Gefühl nicht los, daß ihn dort eine gewaltige Blamage erwartete. Und so was brauchte er jetzt gar nicht. Die Suche nach Futter und einem trockenen Plätzchen kostete derzeit schon genug Kraft und Nerven.

Seine Taubenkumpel hatten tags zuvor sehr geheimnisvoll getan: „So was hast du noch nie gesehen“, hatte der General gesagt. Auf Robins Erwiderung, er habe alles schon mindestens zweimal gesehen, hatte der General mit dem Schnabel geklappert – Tauben lachen so – und sein Adjutant, der Oberst, gegurrt: „Wollen wir wetten? Wenn du verlierst, mußt du für uns eine Woche lang Körner suchen. Und wenn wir verlieren – was garantiert nicht passiert – beschützen wir dich eine Woche lang vor Robert, der Rabenkrähe.“ Und Robin, der der Meinung war, es heiße „nachdenken“, weil man das Denken danach tut, hatte sofort eingeschlagen.

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Man schreit deutsh (10): Um Pimmelswillen!

Sonntag, 21. Oktober 2012 18:42

Darauf ist bei den Webportalen halbwegs seriöser Zeitungen, zumal jedoch bei Zeit online seit Monaten Verlaß: Steht dort irgendein Artikel über die Zirkumzision aus religiösen Gründen, versammeln sich binnen Stunden aberhunderte von Warnern und Mahnern, um sich für die Babys von Juden und Muslimen so heftig ins Zeug zu legen, wie sie es für deren Eltern nie und nimmer täten. Kein anderes Thema erregt und empört diese Heerschar von Heuchlern und Holzköpfen mehr – nicht das Schlachtfest in Syrien, nicht die Verelendung Griechenlands, ja, nicht einmal der Bildungsnachweis-schummel der Bundesbildungsministerin.

Wer dahinter Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit vermutet, liegt selbstverständlich goldrichtig. Doch diese Wahnvorstellungen, ohne die jeder zweite deutsche Bürger nicht leben mag, können sich woanders ungleich ungenierter austoben: etwa anläßlich des neuesten Israelamok-gestammels von Günter Grass  oder bei dem Schnellgerichtsverfahren gegen einen geistlich reduzierten Salafisten in Köln. Hier sind trotzdem nicht halb so viele Schnappatmer in den Kommentarspalten unterwegs, um ihre Dummheit und Afterbildung zu digitalisieren, wie beim Jahrtausendthema Beschneidung.

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