Man schreit deutsh (5): Thilo Sarrazin ist keine alte Hure

Montag, 25. Juni 2012 21:19

Michael Ringel, Redakteur der „Taz“-Satireseite „Die Wahrheit“, teilt heute via Rund-E-Mail mit, daß Thilo Sarrazin den Anwalt Christian Schertz beauftragt hat, gegen die „Taz“ eine Beleidigungsklage anzustrengen. Anlaß dafür ist eine Polemik Ringels vom 18. Juni 2012. Darin heißt es, gewisse Journalisten würden Sarrazin „benutzen wie eine alte Hure, die zwar billig“ sei, „aber für ihre Zwecke immer noch ganz brauchbar, wenn man sie auch etwas aufhübschen“ müsse. Das will der Intelligenz-, Bildungs-, Sozial-, Finanz-, Brauch- und Volkstumsexperte Sarrazin nicht auf sich sitzen lassen.

   Der Fall, sofern es einer wird, zeigt wieder einmal, wie schlecht Leute, die mit dem großräumigen Austeilen von grundlosen Beleidigungen berühmt geworden sind, einstecken können. Er zeigt überdies, daß sie mit dem Lesen Schwierigkeiten haben. Denn keineswegs hat Ringel den Mann, der allen deutschen Deutschen ein leuchtendes Vorbild ist, mit einer Hure, nicht mal mit einer alten, verglichen. Sondern in einer – gewiß drastischen – Metapher den Zynismus und die Gewissenlosigkeit jener Journalisten zu beschreiben versucht, die den Populisten Sarrazin auf die Titelseite heben und ihm ganze Druckbögen einräumen, sobald der irgendein Zeug in die Gegend lispelt, das nach Eklat und Auflagen-
steigerung riecht. Beleidigt müßten jetzt also gewisse Herrschaften beim „Spiegel“, bei „Bild“, der „FAZ“ oder dem „Focus“ sein, doch in solchen Angelegenheiten sind die Profis und deshalb von Empfindlichkeiten frei. Wenn nicht freier.

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Director’s Cut (1): Das letzte Bild

Sonntag, 24. Juni 2012 23:30

Die Serie „Director‘s Cut“ versammelt Texte von mir, die bereits vor Jahren, aber nie in ihrer ursprünglichen Form erschienen sind. Hier sind sie endlich so zu lesen, wie sie mal gedacht waren, bereichert um Szenen oder Exkurse, die einst an den engen Grenzen des Layouts scheiterten, beschnitten um Sätze und Formulierungen, die dem Autor heute eher peinlich sind. Für jede Neupublikation gibt es einen Grund – heute lautet er selbstverständlich Europameisterschaft.

 

Für Fynn

Oma Heidi hatte Martin heimlich 20 Euro für die Kirmes zugesteckt. Doch außer einer Fahrt mit dem Autoscooter und einem großen Erdbeersofteis gönnte er sich dort nichts. Er brauchte das Geld für etwas Wichtigeres – wichtiger sogar als die Wilde Maus und das Augenschmelzen. Dabei foppte man mit Sonnenblitzen aus kleinen Spiegeln die Leute am Schießstand: ein Heidenspaß, auf den Martin sonst nie verzichtet hätte. Zumal an diesem Nachmittag keine Wolke am Himmel stand. Aber in gewisser Weise ging es um Leben und Tod, und damit spaßt ein Zehnjähriger ebenso wenig wie ein Erwachsener. Während seine Freunde Sven und Jens-Peter nach taktisch günstigen Plätzen suchten, huschte Martin durchs Gewühl davon.

   In der Tankstelle an der Möllner Landstraße schob sonntags Herr Beltz Dienst, ein grimmiger alter Mann mit pechschwarzen Haaren und Spitzbart, vor dem Martin normalerweise gehörig Schiß hatte. Aber nicht heute: Mit einem Vermögen von 17 Euro im Brustbeutel kam der Junge sich unantastbar vor. Martin baute sich vor der Kasse auf, Beltz schaute herab und fragte: „Schon wieder Sammelbilder?“ Martin nickte, und der Tankwart reichte ihm den Karton mit den Stickertüten herunter: „Ist ja hoffentlich dein Geld, das du verschwenden willst.“

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Bored beyond belief (3): Endlich Sommer!

Freitag, 22. Juni 2012 15:28

Beim Wettsingen an diesem Mittag hatte Dagmar den Amselmann mit seinem Fimmel fürs Atonale und Lothar, das Rotkehlchen, das lieber Robin genannt werden wollte, eindeutig in die Schranken verwiesen. Nein – sie hatte sie fertig gemacht. Plattgebügelt. Zer-schmet-tert! Ein Bad in der Sonne hatte sie sich mehr als verdient.

   Eine Weile plierte die Singdrosselin aus dem nackten Geäst der schiefen Kiefer nach dem nettesten Platz auf dem Rasenfleck. Dann flatterte sie hinab aufs Gras, dem es leider gar nicht gut ging, weil die Kiefer tod-
krank war und pfundweise saure Nadeln abwarf.

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„Angelina Jolie war wie ein wildes Tier“

Mittwoch, 20. Juni 2012 15:07

Scarlett Johansson, Johnny Depp, Katie Holmes, Brad Pitt und Shia LaBeouf – er hatte sie alle: Kay Sokolowsky im Gespräch mit Kay Sokolowsky über seine heißen Nächte mit den Megastars

Sorgt mit seinen Memoiren für Aufsehen: Hollywood-Bodyguard Kay Sokolowsky

Abfall aus der Warenwelt: Kay Sokolowsky, Sie haben …

Kay Sokolowsky: Du kannst du zu mir sagen.
Und Kay, Kay.

Nein, danke.

So fremd sind wir uns nun wirklich nicht.

Kommt auf die Situation an.

Das ist doch völlig schizophren!

Steht nicht jeder von uns hin und wieder neben sich selbst?

Auch wieder wahr. Was wolltest du fragen?

Kay Sokolowsky, Sie haben viele Jahre als Security-Mann für große Hollywood-Studios gearbeitet. Nun erscheint ihre Autobiographie „Intime Deckung – Der Bodyguard der VIPs packt aus“.

Wie bitte? Wer packt aus?

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Discovery Channel (1): „Last Century Man“

Dienstag, 19. Juni 2012 13:00

Musik, die aus dem Kopf und auch dem Bauch kommt wie alle tröstlichen Töne und deshalb über den Kopf warm und weich in den Bauch hinabsickert … Eine Melodie, ein Text und ein Arrangement, die das sanfte ironische Genie George Harrisons aufs allerschönste beerben … Ein Clip, für den es auf der ganzen Welt nicht genug Kurzfilmpreise gibt, so liebevoll und klug ist er verfertigt, so witzig und wacker setzt er die, leider verschüttete, Tradition der ITV-Satire „Spitting Image“ und ihrer Puppenkarikaturen fort …

   … Noël Rademachers „Last Century Man“ ist eine der Entdeckungen, die man (und frau) am liebsten selbst (selba) und als Ersta (Erste) gemacht hätte. Zumal es darin um das Primärproblem von Leuten wie mir geht, die zwischen zwei Jahrhunderte (ja, Jahrtausende!) gerutscht sind und oft nicht wissen, wohin sie gehören: In die Zeit der revolutionären Rauschebärte oder in die der opportunistischen Hornbrillen. Und: Gab′s da je einen Unterschied? Sowie: Kann Dr. Freud Batman heilen? Soll er das überhaupt? – Jedenfalls muß ich Freund Matthias, dem legendären Lauscher, den Vortritt lassen bei der Entdeckung dieses Reichskleinods, danke ihm für einen weisen Hinweis und mache mich jetzt ganz klein. Das fällt allerdings nicht schwer bei einem entzückenden, berückenden, beglückenden Stück wie diesem:

 

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Man schreit deutsh (4): Zwischen Danzig und Gdansk

Montag, 18. Juni 2012 10:41

Oliver Fritsch hat für die Online-Ausgabe der Zeit aufgeschrieben, was seiner Ansicht nach von Lukas Podolskis Leistungen bei der Europameisterschaft zu halten sei („Mit Vollspann und Gangstafaust“). Ein Artikel aus dem Ressort Fußball-Feuilleton – viel Geraune, noch mehr Spekulation, reichlich Küchenpsychologie und das alles in einem Stil, der auf originell gebürstet ist und doch bloß Blüten treibt wie diese: „Podolski fällt manchmal in ein altdeutsch anmutendes Vollspanndasein zurück.“ Wieviel schöner dagegen das Vollpfostendasein eines neudeutschen Sportjournalisten!

   Aber es soll hier nicht um Fritsch und nicht einmal um Podolski gehen, sondern darum, wie schnell ein Online-Forum, das sich eigentlich dem Spieljubiläum des Fußballers und seiner Zukunft in Joachim Löws Mannschaft widmen sollte, zur Bühne für altdeutsch nicht bloß anmutendes Vollhorsttum, für erzteutonische Selbstgerechtigkeit, Geschichtsklitterung und Arroganz werden kann. Es beginnt mit einer etwas sauertöpfischen, doch berechtigten Kritik von „Wolfram W“:

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Man schreit deutsh (3): Letzte Worte zum Flaggezeigen

Sonntag, 17. Juni 2012 13:30

Aus Garth Ennis‘ exzellenter Comic-Serie The Boys den dritten Band Herogasm wiedergelesen und dabei respektvoll die Sätze aufgesammelt, die Mother’s Milk, mein liebster Boy, über die exzessive Verwendung von Nationalsymbolen äußert:

Je mehr man die Flagge schwenkt, desto weniger Bedeutung hat sie. Desto weniger denkt man darüber nach. Und nimmt man sie erst zum Einpacken oder trägt sie wie ’nen Scheißanzug … Shit. Dann bedeutet sie bald gar nichts mehr.

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Timmi und die Arkonigel (2)

Sonntag, 17. Juni 2012 0:15

Was bisher geschah.

Etwas ärgerlich weckte ihn Konrad. „Du bist mir ein feiner Komplize“, sagte er, und seine Piepsstimme klang erschreckend. (Nun ja, vielleicht für eine andere Maus.) „Was hast du mitgebracht?“ fragte Timmi, blitzschnell hellwach. – „Erst den Käse!“ – „Nein“, sagte Timmi, „erst das Buch!“ – „Den Käse!“ – „Das Buch!“

   So ging es einige Zeit und immer lauter hin und her, bis der Amselmann, der in der alten Eiche an der Straße wohnte, sich mit einem Zorngesang meldete, weil die Kraucher einen solchen Krach veranstalteten. Andere, ernsthafte Bürger müßten früh raus und hätten ja wohl verdient, in der Nacht ruhig schlafen zu dürfen! Konrad und Timmi pfiffen beziehungsweise schnauften zurück, der feine Herr solle bloß den Schnabel halten, es sei ja kaum auszuhalten, was er in letzter Zeit gesungen habe. Denn der Amselmann hatte kürzlich ein Faible für die Zwölftonmusik entdeckt, und mit solchen Tönen sind einfache Säugetiere maßlos überfordert.

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