Saint Martin und die Oscar-Nacht
Heute gleich zwei Hinweise in eigener Sache – der eine etwas spät, der andere ganz schön aktuell.
—Was mir zu Martin Scorseses neuem Spielfilm „Silence“ eingefallen ist, können Sie gegen die entsprechende Verkaufsgebühr aus der Märzausgabe von KONKRET erfahren. Es sind nicht nur Nettigkeiten; und man darf mir glauben, daß ich kein Vergnügen dabei empfinde, einem Scorsese-Film Abzüge in der B-Note zu erteilen. Die makellose Konstruktion und Bildgestaltung von „Silence“ bewundere ich zwar ohne Rest. Aber die Geschichte, die Moral, der Katholizismus … Na ja.
—Ich verfaßte die Rezension Anfang Februar. Inzwischen hege ich den Verdacht, daß Scorsese mit „Silence“ Buße tun will für die Obszönitäten des „Wolf of Wall Street“, für den Heidenspaß, den er dabei hatte. „Kundun“ folgte ja ebenfalls auf eine große Ausschweifung und Höllenfahrt, nämlich „Casino“.
—Und – das mußte ich aus Platzgründen im Heft weglassen –: Scorsese schwärmt vom Konzept des Hollywood-Regisseurs als „Schmuggler“: Der „smuggler“ macht einen Film fürs System und einen für sich. Er versteckt zum Beispiel moralische Botschaften in einer Orgie der Sittenlosigkeit und Blasphemie. Oder zeigt – wie jetzt in „Silence“ – Verständnis für die Sünder in einem hochmoralischen, traktatartigen Film.
—Außerdem habe ich nicht genauer ausführen können, wie wenig ernst ich Andrew Garfield in dieser wie in jeder seiner Rollen nehmen kann. Was mir den Film nicht eben ans Herz legte. Doch aus der Ferne nimmt „Silence“ sich immer schöner aus. Ich muß ihn mir wohl noch mal aus der Nähe anschauen.
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Für die „Wahrheit“-Seite der Taz habe ich einen Nachklapp zur großen Oscar-Blamage ausgeheckt. Wenn Sie brav bei „taz.zahlich“ mitmachen, dürfen Sie die Satire auch online lesen. Wenn nicht … Nun, es ist Ihr Gewissen!
—Gratis einsehen dürfen Sie immerhin den folgenden Absatz. Der mußte nämlich aus formalen Gründen weichen (und fehlt dem Stück nicht sehr):
Landtagswahl Schleswig-Holstein, 7. Mai 2017
Gegen 23 Uhr: In den Hochrechnungen führt bis jetzt Rotgrün hauchdünn vor CDU und FDP. Dann verkündet der Landeswahlleiter das vorläufige amtliche Endergebnis: 63 Prozent für die AfD, die SPD scheitert an der Fünf-Prozent-Klausel. Sofort machen sich AfD-Anhänger zu Fackelzügen vor Asylbewerberheimen auf. SPD-Landeschef Ralf Stegner gibt bekannt, für eine Koalition mit der AfD weiterhin nicht zur Verfügung zu stehen. Die Innenstädte von Neumünster, Kiel und Wacken werden von Freunden und Feinden der AfD eifrig in Schutt und Asche gelegt. Kanzlerin Merkel läßt aus Berlin ausrichten, daß sie auf das Verantwortungsbewusstsein der Alternativdeutschen zähle. Thomas de Maizière spekuliert über russische Hacker. Cem Özdemir gibt vermutlich ein Interview.
—Um Mitternacht meldet der Landeswahlleiter sich zurück: „Leute, Leute – da macht man einmal einen Witz, und ihr dreht gleich am Rad! Selbstverständlich hat die AfD keine 63 Prozent. Sondern die FDP!“ Das glaubt freilich niemand außer Wolfgang Kubicki, und am nächsten Tag sind weite Teile Schleswig-Holsteins nur mehr Ödflächen. Sylt und Bad Segeberg wurden komplett von der Landkarte getilgt, ebenso Damp 2000 und Elmshorn. Es gibt Schlimmeres, Leute!
Freitag, 3. März 2017 23:19
Die AfD ist der Lackmusstreifen, an dem die CDUCSUSPDFDPLINKE den Nazifizierungsgrad der Bevölkerung ablesen und in ihren Programmen berücksichtigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer nun meint, es würde kalt in diesem Land, hat die Kälte bisher nur nicht gespürt, weil er noch eine wärmende Decke und einen Mangel an Empathie hatte.
Ach so, Scorsese. Tja, der Katholizismus ist eine Infektion, die man frühkindlich empfängt. Am Ende eines jeden Häretikerlebens stand der Pastor am Totenbett. Das muß man nicht verstehen, nur akzeptieren.
Ich finde, daß man im Fall eines Jahrhundertgenies wie Scorsese wenigstens versuchen sollte, die Motive zu verstehen. Meine Rezension ist so ein Versuch. – Ihre Überlegungen zur AfD und dem Lackmusstreifen teile ich vollauf. KS