Empfehlung des Hauses: Weltmeister Wolf

Es waren seine „WM-Moritaten“, die mich, ich war grad 18 geworden, bei ihrer Erstveröffentlichung in Titanic erstmals auf den Meisterdichter Ror Wolf aufmerksam machten. So etwas Witziges, Aufregendes, Kunstvolles hatte ich vorher noch nie gelesen, wenn es um Fußball ging:

Zwölf Uhr in Mexico, in einer heißen
zerpfiffnen Schüssel, Celsius sechzig Grad.
Es kochte furchtbar, doch das Resultat
gilt als Bonbon in den Expertenkreisen.

(WM-Moritat „Neunzehnhundertsiebzig“)

Tatsächlich gab es seinerzeit auch nichts, was dieser Art, mit dem Thema schreibend umzugehen, gleichkam, nicht einmal von fern. Übrigens hat sich an diesem Zustand wenig geändert, aber das ist kein Wunder. Denn Ror Wolf hat nie wie andere Schriftsteller versucht, den Fußball plan nachzuerzählen. Das geht nämlich nicht, ohne den Leser in Grund und Boden zu langweilen.

Statt dessen wird das Reden, das endlos mäandernde, dumpf aufplatzende, martialisch geifernde, kindisch jubilierende Geplapper, Gewätz und Geschrei über diesen Sport zum Anlaß für ganz neue, unvergleichlich virtuose Spielereien mit dem Universalobjekt Fußball. (Alte und neue Fußball-Spiele lautet programmatisch der Untertitel von Punkt ist Punkt, Wolfs erstem Fußballbuch, erschienen 1971.)

Etwa in „Der letzte Biß“, einer Prosa-Miniatur, die Ror Wolf aus lauter „harmlosen“ Reportage-Versatzstücken collagierte („Emma“ war, kleiner Hinweis, der Spitzname des legendären Dortmunder Torjägers Lothar Emmerich):

Aber plötzlich machte sich Emma frei auf diesem schlüpfrigen Boden, das war eine gute Gelegenheit, also fackelte Friedrich nicht lange und schob ihn gemächlich hinein. Emma bot sich noch einmal an, da war Paul nicht mehr zu halten, Emma wurde gelegt, und Paul bohrte unermüdlich.

Sollte Ihnen das schweinisch vorkommen, dann hören Sie beim nächsten Mal vielleicht etwas genauer hin, wenn dem Reporter am Mikrophon die Hengste durchgehen. Das nämlich ist neben ihrer großen Komik ein weiteres Verdienst der Wolfschen Fußball-Dichtungen: Sie lehren uns, daß beim millionenstimmigen Reden übers Ballschieben stets viele andere Dinge mit im Spiel sind, und zwar nicht immer appetitliche. Und falls wir das bereits wußten, bekommen wir unsere Schlauheit immerhin aufs unterhaltsamste bestätigt, zum Beispiel in diesem Frontbericht:

Plötzlich war der gefürchtete Gast vor dem Tor erschienen. Wir fürchten uns nicht vor dem Gast, sagte der Meister. Finstere Wolken zogen heran. Schon hatte der Meister den Gast gepackt und an die Wand gedrückt. Ein Stampfen und Schnüren begann in der kühlen Luft. Der Meister wollte den Gast einschnüren und in die Nähe des Abgrunds stoßen.

(„Ein Spaziergang vor dem Tor“)

Ich gestehe, daß mich der Fußball, wie er heute ist, nicht mehr reizt – von der WM, Lionel Messi und dem infiniten Gewürge beim HSV mal abgesehen. Das könnte am Alter und der Gesetztheit, die es mit sich bringt, liegen. Aber diese Erklärung scheint mir zu platt. Es sind, glaube ich, die allumfassende Kommerzialisierung der Präsentation, die Aalglattgebügeltheit der Akteure auf dem Platz und die keiner Nuance mehr fähigen, an den eigenen Gigalativen irgendwann – hoffentlich bald! – erstickenden Berichterstatter, die mir den Fußball weitgehend vergällt haben.

Um mich an den Spaß, den ich mal an diesem einzigartigen Sport hatte, zu erinnern, greife ich am liebsten zu den gesammelten Fußball-Dichtungen Ror Wolfs. Das nächste Spiel ist immer das schwerste – seit 2010 in einer ebenso preisgünstigen wie soliden Ausgabe beim Fischer Taschenbuch Verlag erhältlich – enthält alles, was es braucht, damit die moderne Riesenwerbemaschine Fußball mir nicht auch noch die schönen Erinnerungen an bessere Zeiten verdirbt.

„Ja, Alter, glaubst du denn wirklich, daß diese Zeiten besser waren? Hast du denn vergessen, wie sich der junge Beckenbauer als Tütensuppenkasper verkaufte? Oder wie Adidas die Nationalmannschaften aufstellte? Schalt mal den Nostalgie-Modus aus, Soko!“ So höre ich die jüngeren Aficionados einwenden, und sie haben natürlich recht.

Aber! Früher war im Fußball vielleicht nicht alles besser. Doch hatte er nie einen begabteren Sänger als in den Siebzigern und frühen Achtzigern Ror Wolf. Wenn all die anderen Weltmeister längst in der Nike/DFL/Fifa/
Fernsehrechteverwerter-Suppe eingekocht sind, wird der wahre Weltmeister des Fußballs immer noch da sein, über alle Küchenlügen erhaben – der größte Dichter, den „die schönste Nebensache“ je hatte und haben wird: Ror Wolf. Er ist in seinem Metier so stark am Ball wie in ihrem höchstens Maradona und Grabowski (denen er unsterbliche Worte gewidmet hat) – trickreich, witzig, elegant, unnachahmlich.

Und diese beiden Verse, die mich seit mehr als 30 Jahren wie ein Ohrwurm begleiten, werde ich nicht vergessen und bei passenden Gelegenheiten (gibt‘s dauernd) vor mich hinsummen, bis Herr Alzheimer anklopft, so viel ist mal sicher:

Das war ein Drama allererster Sorte.
Hier schweige ich. Es fehlen mir die Worte.

(WM-Moritat „Neunzehnhundertsiebzig“)


Ror Wolf:
Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Fischer Taschenbuch Verlag, 300 Seiten, 12,95 Euro

Illustration: Ror Wolf/Fischer Taschenbuch Verlag


Donnerstag, 15. Januar 2015 23:00
Abteilung: Litterarische Lustbarkeiten

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