„Wer Angst hat, der hat schon verloren“ (3)
Er zählte zu den führenden Karikaturisten der alten BRD. Seine Cartoons waren Tagesgespräch und oft auch Skandal. Doch mit der Wiedervereinigung wurde es still um Satyricos: Sein hintersinniger Humor war in der „Spaßgesellschaft“ der 90er nicht mehr gefragt. Im „Abfall aus der Warenwelt“ feierte der Altmeister vor kurzem ein sensationelles Comeback. Letzte Folge eines Porträts der berühmten „spitzen Feder“.
Sie küßten und sie schlugen ihn
Das Ende der Ära Schmidt bereitete Satyricos großes Kopfzerbrechen. „Nicht nur politisch“, gesteht er, „sondern auch künstlerisch. Ich habe Helmut Kohl nie in den Griff bekommen. Erst viel später wurde mir klar, warum. Wenn ein Mensch wie eine Witzfigur aussieht, dann läßt er sich nicht karikieren. Dasselbe gilt heute für Thilo Sarrazin. Oder Rainer Brüderle. Unter ästhetischem Aspekt unmögliche Typen! Vom Rest nicht zu reden.“
Er führt mich in sein Atelier. Mitte der Achtzigerjahre erwarben die Kreuners ein gemütliches Häuschen im Frankfurter Vorort Nieder-Eschbach. Satyricos‘ Zeichentisch steht vor einem Panoramafenster mit Blick auf einen großen, liebevoll verwilderten Garten. „Die Natur!“ ruft er aus. „Das Grün und die Vögel! Ich möchte das nie mehr missen.“ Unter Kennern hochgeschätzt sind seine Blumenstilleben in Öl und zumal seine Tieraquarelle. Die signiert er allerdings mit bürgerlichem Namen: „Einem Cartoonisten traut ja niemand zu, auch mal ernst werden zu können.“
Die Rückwand des Ateliers schmücken Dutzende Urkunden und Preise, die Satyricos im Lauf der Jahre verliehen wurden. „Staubfänger“, brummt er. Er mache sich nichts aus derlei Würdigungen, Gattin Bianka jedoch bestehe darauf, die Trophäen nicht zu verstecken. Ich glaube, eine gewisse Verbitterung aus seiner Stimme zu hören. „Tja, da liegen Sie richtig, junger Mann!“ ruft er aus. Wuchtig fährt seine Faust auf den Zeichentisch aus Eichenholz nieder. „Dieselben Herrschaften, die mich mit diesem Plunder zugeschüttet haben, waren alle verschwunden oder gegen mich, nachdem mein Mauerfall-Cartoon erschienen war!“
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Der Sturm der Entrüstung, den diese Zeichnung auslöste, zählt zu den dunkelsten Kapiteln der Satiregeschichte in Nachkriegsdeutschland. Hatte Satyricos zuvor immer darauf zählen können, daß wenigstens die liberale Linke ihn gegen Zensurforderungen verteidigte, stellte sich jetzt die ganze Nation gegen ihn. „Im Nachhinein kann man natürlich sagen, dies sei der Beweis dafür, wie recht ich mit meiner Kritik hatte. Aber damals war ich einfach nur der meistgehaßte Mann der Republik. Eine schlimme Situation!“ Dabei habe er die Karikatur kurz vor Drucklegung sogar noch entschärft: „Statt ‚Flugverkehr‘ stand da zunächst ‚Fluchverkehr‘“, erinnert sich der Künstler.
Die Welt nannte ihn einen „verwirrten Schmierfink“. Die FAZ forderte, ihn aus dem „Kreis seriöser Satiriker zu streichen“. Der Bayernkurier verlangte „juristische Maßnahmen“. Das sei, sagt Satyricos, nichts Neues gewesen „bei den Reaktionären“. In Blättern jedoch, die ihm sonst eher gewogen waren, wurde ein noch schärferer Ton angeschlagen. Marion Dönhoff ätzte in der Zeit, nie zuvor seien „politische Dummheit und technische Unfähigkeit eines Karikaturisten so kongruent“ gewesen. Egon Bahr schrieb in der SPD-Parteizeitung Vorwärts, aus einer „Stimme des Gewissens“ sei ein „Schreihals des Unverstands“ geworden. Am tiefsten traf den Cartoonisten ein Kommentar von Rudolf Augstein im Spiegel: „Der armselige Satyricos sollte hinfürder besser die Wände einer Gummizelle bekritzeln.“
Nach dieser Pöbelei von oberster Instanz brachen alle Dämme des Respekts. „Die Bild mischte sich ein. In der Frankfurter Ausgabe veröffentlichten diese Halunken ein Photo von mir bei der Gartenarbeit. Ich sah nicht grad vorteilhaft darauf aus – abgerissene Klamotten, Dreck, Flecken überall. Die Schlagzeile lautete: ‚Dieser Penner verhöhnt die Freiheit!‘ Und gleich daneben war unser Haus abgebildet. Nun – der Mob hat sich nicht zweimal bitten lassen.“ Tausende Schmäh- und Drohbriefe erreichten die Redaktion der Frankfurter Rundschau, aber auch den privaten Briefkasten des Künstlers. „Küchen- und Kellerfenster haben irgendwelche Strolche uns mit Pflastersteinen eingeschmissen. Nachts landeten eimerweise Fäkalien im Vorgarten. Das Telephon stand überhaupt nicht mehr still. ‚Verreck, du vaterlandsloses Schwein!‘ gehörte noch zu den zivilisierteren Dingen, die durch die Leitung gebrüllt wurden.“ Schließlich mußten Kreuners Polizeischutz beantragen.
Woher dieser bodenlose, brodelnde Haß? „Ich war halt“, erklärt Satyricos, „so naiv zu glauben, man könne den Leuten bei aller nationalistischen Aufwallung noch die Wahrheit sagen. Daß der Fall der Mauer sich vielleicht weniger dem Bedürfnis nach Freiheit als der Gier nach Geld und Konsum zu verdanken hatte. Die waren alle so stolz auf die ‚friedliche Revolution‘, daß sie für jeden, der die Sache etwas skeptischer sah, am liebsten den Schandblock wieder einführen wollten.“ Schließlich distanzierte sich sogar sein altes Hausblatt, die Frankfurter Rundschau, von Satyricos. „Diese undankbaren Feiglinge! Ich kann Karl Gerold noch heute in seinem Grab rumoren hören!“ schimpft der Cartoonist und nimmt drei, vier tiefe Züge aus seiner Pfeife, um sich zu beruhigen.
Nur die Städelschule hielt zu ihm – obwohl in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung lautstark gefordert wurde, seinen Lehrauftrag zu kündigen. „Es war verflixt mutig von den Kollegen, sich gegen diesen politischen Druck zu stemmen! Hat mich zutiefst gerührt. Und wissen Sie, weshalb ich meinen Glauben an die Menschheit damals nicht verloren habe? Als ich zwei Tage nach der ekelhaften Denunziation durch Bild in mein Seminar ging, dachte ich, daß kein Mensch da sein würde, aus Angst, sich mit meiner ‚Pest‘ anzustecken. Irrtum! Um die hundertfünfzig Leute drückten sich in dem kleinen Raum – Dozenten, Verwaltungskräfte und Studenten. Und sie alle, alle applaudierten mir! Da habe ich angefangen zu heulen wie ein Schloßhund.“
Die Solidaritäts-
kundgebung konnte die nervliche Belastung nicht aufwiegen. Ewald Kreuner hatte genug von Satyricos und hängte die „spitze Feder“ für viele Jahre an den Nagel. „Und ich habe nichts vermißt! Gar nichts! Ich hatte meinen Garten, meine Studenten, die Kunst, meine wunderbare Frau … Und ein paar Jahre später, als alle Welt sich über die ‚blühenden Landschaften‘ von Helmut Kohl lustig machte und immer mehr Journalisten sich fragten, wo denn die ‚innere Einheit‘ bleibe, da empfand ich sogar eine gewisse Genugtuung.“ Irgendwann erreichten ihn auch wieder Anfragen nach Karikaturen. „Aber darauf habe ich nicht reagiert. Welche Preise“, sagt er mit einem ironischen Fingerzeig zur Trophäenwand, „wollten diese Opportunisten denn später bereuen? Das hab ich ihnen erspart. Bin nun mal ein überzeugter Humanist.“ Sein Lächeln wirkt dämonisch und nachsichtig zugleich.
Es dauerte bis 2005, ehe sich in Satyricos der Satiriker wieder regte. Die dänische Zeitung Jyllands-Posten hatte zu ihrem berüchtigten Wettbewerb um eine Mohammed-Karikatur aufgerufen. „Bianka und ich verbringen seit Jahrzehnten fast jeden Sommer auf der Insel Rømø. Mittlerweile beherrschen wir Dänisch ganz gut. Und als wir von dieser Angelegenheit lasen, dachte ich: Da machste mit!“ Es wundert den Zeichner wenig, daß sein Beitrag nicht einmal erwähnt wurde: „Für üble Hetze haben sich meine Arbeiten nie geeignet.“
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Diese „Fingerübung“, obschon ignoriert, machte dem Altmeister der politischen Karikatur wieder Lust, das Tagesgeschehen auf seine Weise zu kommentieren. Er läßt mich in Skizzenbüchern der letzten Jahre blättern, und es verschlägt mir den Atem angesichts der formalen Strenge, der stilistischen Integrität, der schnörkellosen Pointiertheit dieser Graphiken. „Pah“, sagt Satyricos, „nichts als Gekritzel, fragen Sie nur mal den Augstein! Ach, nee. Der ist ja tot …!“ Seine Augen funkeln hinter den riesigen Brillengläsern.
„Ich bin nicht mehr um jeden Preis scharf darauf, veröffentlicht zu werden. Ich weiß, daß auch der beste Witz nichts ändert. Aber!“ sagt er und packt meine Hand: „Es ist durchaus was wert, Gleichgesinnten ein Signal zu senden. Damit sie wissen, daß sie nicht allein sind mit ihrem Ärger, ihren Sorgen.“ Deshalb war Satyricos spontan bereit, für „Abfall aus der Warenwelt“ als „Haus-Cartoonist“ tätig zu werden. Honorarfrei, leider, doch frei auch von jeder Schere im Kopf.
Nach einem regnerischen Tag ist der Abendhimmel über Nieder-Eschbach wolkenfrei. Lachsrotes Licht ergießt sich über den Horizont im Westen. Wege, Wiesen und Bäume rauchen zart im letzten Sonnenschein. „Na, so ein Kitsch!“ ruft der Künstler. „Aber ein hübscher!“ Er, der allzeit Distanzierte, Sarkastische, zieht mich plötzlich an seine kräftige Brust. „Dieses Internet ist eine dolle Sache, junger Mann“, raunt er mir ins Ohr. „Ich denke, daß wir da viel bewegen können, so lange wir uns nicht den Schneid abkaufen lassen. Sie wissen ja: wer Angst hat, der …“ – „Der hat schon verloren“, flüstere ich zurück. Dann drückt er mir eine Mappe in die Hand: „Exklusiv für Ihr Weblog und die Leser!“
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Als ich auf dem Weg zur U-Bahn um die Ecke biege, steht er immer noch da und winkt mir zu. Im Glutlicht dieses Juliabends wirft Satyricos einen langen Schatten. Er wirkt wie ein Monument aus alter Zeit. „Nein“, denke ich, „unserer Zeit!“
Das große Satyricos-Porträt
Teil eins: Lehr- und Wanderjahre eines Unangepaßten
Teil zwei: Ein Strich schreibt Geschichte
Alle Illustrationen: © Satyricos