Zeuge der Geschichte (12)


Als ich vom Hinschied Helmut Kohls vernahm, vollzog ich eine geistig-moralische Wende und begab mich zum Aussitzen auf den Abort.

Abb.: „A Carload – A Mammoth Pear 1910 postcard”,
by Edward H. Mitchell [Public domain],
via Wikimedia Commons


Freitag, 16. Juni 2017 19:30
Abteilung: Unerhört nichtig, Zeuge der Geschichte

15 Kommentare

  1. 1

    Lieber Abfall-Admin,
    schade, daß nur weil irgend so’n korrupter Arsch aus ’ner Altnazipartei abkackt, das ganze Fernsehprogramm schon wieder durcheinander gewirbelt wird; in einer Art, als wäre schon wieder irgend so’n Papst zu Besuch.
    Das finde ich sehr undemokratisch.
    Zum Glück gibt’s heute mal wieder sowieso nur Käse im Fernsehen.
    Aber viel bemerkenswerter finde ich die Nachricht, dass die U.S.A. einerseits für 110 Mrd. Dollar Waffen nach Saudi-Arabien verkaufen, andererseits eine Woche später mit Katar einen Waffendeal über 12 Mrd. Dollar aushandeln. Das darf man in der nächsten Zeit nie vergessen.
    Hoffentlich haben die ihren Krieg rechtzeitig zur Fußball WM fertig …
    Ich mußte heute leider noch nicht groß, das mach ich nämlich nachher.
    Soll ich dann noch mal Bescheid geben?
    Mit freundlichen Grüßen, Daniel Lüdke

    Muß nicht sein, nein danke. – Ich finde es ebenfalls empörend, daß an diesem historischen Abend nur Käse gesendet wurde. Da hätte mehr Hirn im Programm nicht geschadet. Denn mit Kohl ist nicht irgendein korrupter Arsch aus einer Altnazipartei verstorben. KS

  2. 2

    Daß der Hingeschiedene gelegentlich korrupt gewesen ist, steht außer Frage. Und Altnazis gab’s in seiner Partei unbestritten so einige. Aber er selber war keiner, und es klebt weniger Blut an seinen Händen als z. B. an denen seines Vorgängers im Kanzleramt, der bekanntlich gleich zweimal gegen die Rote Armee ins Feld zog: einmal vor Leningrad, später an der Heimatfront, im Deutschen Herbst. Und selbst wenn der dicke Mann aus Oggersheim nicht der Gnade der späten Geburt teilhaftig geworden wäre: Ich glaub nicht, daß er ein so preußisch tugenhafter Wehrmachtsangestellter geworden wäre wie sein großmäuliger Vornamensvetter. Das immerhin spräche für ihn. Und ein Hasenfuß war der Dicke auch nicht: Als man einst in Halle Eier nach ihm schmiß, da hat er sich nicht weggeduckt. Ich glaub, er war wirklich ehrlich empört. Und das kommt bei Politikern jedweder Coleur nun nicht gerade oft vor, jedenfalls nicht öffentlich.
    Daß der Helmut K. den widerstandsfreien Anschluß der DDR an die BRD persönlich und allein zu verantworten hat, ist sowieso kompletter Blödsinn, da muß ich den Mann schon wieder in Schutz nehmen. An dieser Schuld hat ja doch eher z. B. der Reformrusse mit dem Teufelsmal auf der Glatze zu tragen, zuallererst aber der Teil meiner ehemaligen ostdeutschen Brüdär und Schwästern, die sich für Deutschmark, Ballermann und Bananen entschieden, als es noch so was wie eine Wahl gab. Gekriegt haben sie am Ende ihre deutsche Perestroika, nämlich die Agenda 2010, und die wiederum hat nicht der Helmut K. eingerührt, sondern der nicht bloß gelegentlich korrupte Arbeiterverräter und Kapitalverwertungsoptimierer, der ihm im Amt nachfolgte. Über das, was noch später des Dicken tumbes Mädchen so alles ausgesessen hat, red ich lieber gar nicht erst, sonst komm ich zu keinem Ende.
    Wenn es denn ein Jenseits geben sollte, in dem man post mortem mit gewesenen deutschen Bundeskanzlern plaudern könnte, dann würd ich mich durchaus ein bißchen mit dem Helmut K. unterhalten mögen. Jedenfalls tausendmal lieber als mit Schmidt, Schröder oder Merkel. Mit letzterer würd’s wohl auch nur sehr schwer gehen, denn ich spreche ihre Sprache nicht.

    PS. Ich kann’s kaum glauben: Hab ich eben wirklich dem Helmut K. ein halbwegs freundliches Epitaph hingekritzelt? Ich glaub, ich werd langsam alt.

    Nein, lieber Kai, Du wirst weise. Darum beneide ich Dich. Und ich danke für diesen Widerspruch zu meinen gemeinen Zeilen! Du hast nämlich & ziemlich recht.
    KS

  3. 3

    Ach, dir wollte ich eigentlich gar nicht widersprechen, lieber Kay – deinen gemeinen Mini-Nachruf hat sich der Verblichene schließlich redlich verdient –, sondern eher Daniel Lüdke, und auch dem nur teilweise. Daß ihm das Riesenaffentheater anläßlich der längst überfälligen Verewigung des Hinfälligen mächtig auf die Nerven ging, dafür hat er mein vollstes Mitgefühl. Dies Theater ist ja nicht mehr als das, als welches du und Daniel Lüdke es einordnen: unerhört nichtig. Dennoch hat es für ungefähr anderthalb Tage seinen Zweck erfüllt: von allem abzulenken, was weniger nichtig war bzw. ist. Insofern bin ich fast schon froh, dass deine lustige Riesenbirne auf Rädern so sparsam kommentiert wurde – ich muß gestehen, ich hatte hier mehr Kommentare erwartet.

    Einer kommt noch, guck mal unten! Übrigens empfehle ich bei dieser Gelegenheit die beiden klügsten Nachrufe, die Kohl gewidmet wurden. Der eine stammt von Stefan Gärtner, der andere von Jürgen Roth. Beide Männer haben recht auf ihre Weise. KS

  4. 4

    De mortuis nil nisi bene.
    Wahrlich denkwürdig, daß hier (wenn auch erst in den Kommentaren) Anerkennung für Kohl durchscheint! Dem anderen Helmut indes vorzuwerfen, daß er in jungen Jahren den Kriegsdienst nicht verweigert und später Appeasement gegenüber den Damen und Herren des bewaffneten Kampfes hätte walten lassen sollen, zeugt von …, ja, wovon denn eigentlich?

    Wenn Sie eine Antwort für mich hätten, wäre ich dankbar. Ich habe Ihre Frage nämlich nicht verstanden, Pardon. – „De mortuis nil nisi bene“ ist übrigens kein Naturgesetz, sondern eine Empfehlung. Aber das wissen Sie zweifellos selbst, lieber M. Lund. KS

  5. 5

    Im allgemeinen, lieber Herr Lund: ist ein totes Arschloch immer noch ein Arschloch. Und konkret: werfe ich dem Herrn Schmidt nicht vor, daß er Subalternoffizier in der deutschen Wehrmacht war, und noch nicht mal seine preußische Tugendhaftigkeit. Was mich allerdings schwer anwidert: daß er nie ein Wort des Bedauerns drüber geäußert hat, am Bombardieren, Beschießen und Aushungern von über einer Million Leningradern beteiligt gewesen zu sein. Oder hat er das am Ende doch noch irgendwo bedauert? Oder gar das EK II weggeschmissen, das man ihm für seinen vorbildlichen Einsatz bei der Bolschewistenvernichtung verlieh?
    Ich glaube nicht. Wissen kann ich’s nicht, denn ich hab die Memoiren dieses Herrn nicht gelesen. Und auch nicht sehr viel von dem, was er Zeit seines Lebens sonst noch so alles geäußert hat. Was ja nicht gerade wenig war. Denn mit seinem einstigen Obersten Befehlshaber teilte der Herr Schmidt nicht nur die Vorliebe für ordentliche Scheitelung, sondern auch die Neigung zu endlosem Monologisieren. Was die beiden Herren etwa sonst noch so teilten, kann ich nicht wissen, und ich will’s auch gar nicht. Es reicht mir schon so, siehe oben.
    PS für Kay: Und jetzt schau ich mir erst mal an, was der Gärtner und der Roth dem toten Dicken nachgerufen haben.

    Den obszönsten Nachruf auf Kohl hat übrigens A. Merkel in die Welt gesetzt. Selten so was Grundverlogenes gelesen. („Mich erfüllt diese Nachricht mit tiefer Trauer.“) Man möchte sich nach der Lektüre gründlich waschen. KS

  6. 6

    Kaum zu glauben, was passierte, als ich eben auf den Link zum ekligen Gemerkel* klickte, lieber Kay! Als Vorfilmchen zum Auftritt der Trauernden hat mir N24 doch tatsächlich eine Sagrotan-Werbung eingeblendet: „Sorglos sauber unterwegs – mit Ihrem Partner für nachhaltige Desinfektion“.
    *Gemerkel, das (Substantiv, Neutrum): leeres Gerede, meist gekennzeichnet durch falsche Syntax und unpassende Wortwahl; siehe auch: > Dyslalie, > Hypokrisie

    „Nachhaltige Desinfektion“ ist eine dieser Formulierungen, die auf dem Grabstein der Menschheit stehen müßten. KS

  7. 7

    Aber lieber Herr Pichmann, ich liebe euch doch alle! Sie sind von Schmidt angewidert, weil dieser seinen Einsatz nicht bedauert hat, aber wissen nicht, ob er`s nicht doch getan hat?
    Schön auch, daß Sie über Scheitelvergleiche und Monologisierungsvorlieben die offenkundige Nähe Schmidts zum Teufel selbst so kristallklar herausgearbeitet haben. „Worte des Bedauerns“ vermissen wir doch von so vielen? Manche haben zu Kohls Zeiten nicht weit von hier auf Flüchtlinge schießen lassen. Und was hätte wohl Kohl getan, wären afrikanische Flüchtlinge 1985 aus dem Süden zu Hunderttausenden an der Grenze erschienen? Man weiß es nicht. Alle, die es irgendwo bis ganz nach vorn in die Regierungsverantwortung schaffen, haben „Blut an den Händen“ und sind „Arschlöcher“, da sind wir d`accord, oder?
    So, jetzt entschuldige ich mich 1) beim Bloginhaber für den Abschwiff und
    2) bei Ihnen, schließlich haben ja Sie recht.

    Lieber M. Lund, Sie erinnern sich aber schon noch daran, was Kohl und seine Partei unternahmen, als 1991 Hunderttausende osteuropäische Flüchtlinge über die deutsche Grenze kamen? Bzw. was die Kohl-Regierung eben nicht unternahm, um dem marodierenden Nazipack in Hoyerswerda, Mölln und tausend anderen Orten Einhalt zu gebieten? Sondern denen noch recht gab, die von „Überfremdung“ und „Plünderung unserer Sozialsysteme“ faselten? KS

  8. 8

    Ich hatte schon ein wenig damit gerechnet, daß mich hier vielleicht doch irgendwer eines Besseren belehren würde, was Herrn Schmidts fehlendes Bedauern über seine Beteiligung an einem der größeren Massenmorde des vergangen Jahrhunderts angeht. Sie können es wohl nicht, lieber Herr Lund. Vielleicht kann’s ja noch jemand anders?
    Was die regierungsverantwortlichen Arschlöcher mit den blutigen Händen betrifft, sind wir einer Meinung. Wer an die Spitze eines Systems resp. einer Regierung gelangen will, der muß a priori über gewisse Arschlochqualitäten verfügen. Und wenn er erst mal dort angekommen ist, wird’s in der Regel noch viel schlimmer mit der Arschlöchrigkeit und mit deren Folgen für die Regierten.
    Das stimmt sicher für Figuren wie Hitler oder Stalin oder Mao. Daß der Schmidt – der hatte seinen Scheitel übrigens gar nicht auf der gleichen Seite wie der Hitler – ein weniger mörderisches Format hatte als sein Oberster Befehlshaber, versteht sich von selbst. Das versteht sich auch für Erich Honecker, auf den Sie wohl anspielen. Daß der Mann – soweit ich weiß! – nie bedauert hat, daß er an der Grenze zwischen DDR und BRD auf Flüchtlinge hat schießen lassen, kann ich ihm, auch wenn’s in jedem Fall eine blutige Schweinerei war, dennoch eher verzeihen als dem Schmidt seine Beihilfe zum Massenmord. Denn die an der innerdeutschen Grenze ums Leben gebracht wurden, die hatten immerhin in den meisten Fällen die Wahl zwischen Leben und Tod. Die hatte die Million Leningrader nicht, diese Menschen sollten vernichtet werden, und so geschah es. Und der Schmidt hat seinen Orden fürs Mittun gekriegt.
    Und bevor ich jetzt noch anfange, von Auschwitz zu reden, wo auch deshalb so lange gemordet werden konnte, weil deutsche Offiziere an der Ostfront ihre Pflicht taten, ganz ähnlich wie der Herr Schmidt, hör ich lieber auf. Ich hab nämlich auch eine fatale Neigung zum Monologisieren, wenn nicht zur Besserwisserei. Aber ich lass mich auch, wie gesagt, gern eines Besseren belehren.
    Was einer der Gründe ist, warum ich hier im „Abfall“ unterwegs bin.

    Und vielleicht auch einer der Gründe für M. Lund? Schön wär’s ja. KS

  9. 9

    Sie beide trauen mir wieder einmal zuviel zu. Ich bin hier unterwegs, weil ich mich bei den Besseren übers Bessere zumindest informieren möchte, belehren lassen sich Unbelehrbare wie ich, die an die grundsätzliche Unzulänglichkeit, den Egoismus, die Gewalttätigkeit und das Mitläufertum des Menschen glauben, schwerlich.
    Ich könnte der Pichmannschen Argumentation bezüglich des weniger schlechten Verhaltens der sozialistischen Führung fast folgen, wenngleich es einen Aspekt gibt, der einen geringfügigen qualitativen Unterschied ausmachen könnte: Generalsekretär Honi stand ja nur an der Spitze seines Staates und damit auch bloß in der maximalen Verantwortlichkeit, das ist sicherlich nicht so streng zu beurteilen wie die verwerfliche Tatsache, daß Leutnant Schmidt damals einfach nur dem Adolf den Kriegsdienst hätte verweigern müssen – der Feigling.
    Nachdem Sie das Leid der Leningrader und dann doch noch Auschwitz benannt haben, muß ich hier den Blick senken, denn dem habe ich nichts entgegenzusetzen.
    Ich hoffe, daß wenigstens Sie ein widerspruchfreies und stets grades Leben führen können, und nicht in vielen Jahren Ihnen jemand moralische Versäumnisse vorwerfen kann. Ich hatte einst einen Alptraum, aus dem ich schweißgebadet aber dann erleichtert aufwachte: Alle im Land waren in der Zukunft auf einmal tiefreligiös und mir als sehr altem Mann wurde von empörten Anklägern öffentlich der Vorwurf der tatenlosen Mitwisserschaft an millionenfachen Abtreibungen, die von der Meute als Morde bezeichnet wurden, gemacht. Zum Glück ein völlig abwegiger Traum …

    Da hat man in der kapitalistischen Realität Alpträume für und für und schreibt den „Abfall“ damit voll – und Sie fragen, moralisierend, nach unsereins Alpträumen? Das ist wahrlich bourgeois. KS

  10. 10

    Daß es sich ganz schön leicht macht, lieber Herr Lund, wer sich im nachhinein für klüger oder moralisch integrer hält als es andere Menschen in einer anderen Zeit in einem anderen Leben seiner Meinung nach gewesen sind, ist mir bewußt. Und natürlich ist eine Nörgelei über ein lebendes oder gewesenes Arschloch vergleichsweise leicht heruntergetippt. Auch kenn ich das Bibelsprüchlein vom Balken im eigenen Auge und dem Splitter im fremden.
    Deshalb, und weil mir die Sache durchaus wichtig ist, werd ich jetzt einfach mal konkret bzw. sogar persönlich und erzähl hier was aus meiner deutschen (DDR-)Geschichte. Ein Teil davon geht so:
    Ein paar Jahre lang, bis 1989, hatten die Genossen der Staatssicherheit, ein mittelgroßer Haufen IM war auch mit von der Partie, unsere Familie und insbesondere mich ins Visier genommen. Nicht weil ich etwa einer der großen Widerstandshelden gewesen wäre, aber sicher auch nicht von wegen Mitläufertum; das weiß ich noch genau, denn ich erlebte einige nicht sonderlich angehme Vorladungen resp. Verhöre, und es gibt da auch ein ziemlich dickes Konvolut im ehemaligen Gauckschen Stasiaktengrab.
    Und kurz vor DDR-Ende hat dann so ein hauptamtlicher Klappkartenträger doch tatsächlich auch noch versucht, mich für seinen längst desolaten Schild-und-Schwert-Verein anzuwerben. Der betreffende Herr besuchte mich unangemeldet zu Hause, er gab sich halb freundlich, halb erpresserisch. Ein bißchen ging mir der Arsch auf Grundeis; aber ich wußte, daß ich nicht an die Wand gestellt werden würde, sollte ich sein Stellenangebot ablehnen. Das tat ich auch, denn ich hielt es für unmoralisch; überhaupt wollte ich kein Spitzel sein, ich wollte lieber ein halbwegs gerades DDR-Leben führen. Oder einfach nur weiterhin in den Spiegel schauen können, ohne mich vor mir selbst zu ekeln.
    So war’s, damals. Aber das war in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben. Könnte ich heute in der Zeit zurückreisen, dann würde ich vielleicht anders bewerten, was ich damals für Geradheit und Moral hielt. Ich bin nicht mal sicher, ob ich nicht vielleicht sogar das Krumme in Kauf nehmen und das Angebot akzeptieren würde.
    Denn trotz ihrer vielen kleinen Widerwärtigkeiten und trotz mancher großer Unzulänglichkeiten meine ich immer noch – und mehr noch: inzwischen –, daß die DDR der bessere deutsche Staat gewesen ist. (Wenn denn ein Staat, und noch dazu ein deutscher, überhaupt was Gutes sein kann.) Und ich meine auch und immer noch, daß ein Mann, der unter den Nazis zehn Jahre im Knast gesessen hat, mehr Respekt verdient als einer, der ihnen beim Morden zur Hand ging, und sei es bloß als ein willfähriger Mitmarschierer und Mitschießer von vielen.
    Apropos Schußwaffengebrauch: Wenn es einer seinerzeit bis zum deutschdeutschen Todesstreifen geschafft hatte und entdeckt wurde, dann hatten ihn die DDR-Grenzer mit „Stehenbleiben, oder ich schieße!“ anzurufen. Wer die Flucht aufgab und sich festnehmen ließ, wurde wirklich nicht erschossen, auch später nicht. Er mußte allerdings ein paar beschissene Jahre absitzen – aber fast immer weniger als zehn –, und wurde schließlich in der Regel von der BRD mit harter Deutschmark aus dem Knast rausgekauft.
    An der Ostfront und an den anderen Fronten des WK II und in den Todeslagern aber haben deutsche Uniformträger Millionen Menschen abgeknallt oder sonstwie hingemacht, und zwar ohne Warnnruf. Ich wiederhole mich: Die Millionen Hingemachten hatten keine Wahl, fast niemals Aussicht auf Rettung.
    Das ist vielleicht nicht gerade der Unterschied zwischen Himmel und Hölle, aber doch ein himmelweiter.
    Und jetzt geb ich alter Salonkommunist gern noch mal zu, daß es relativ leicht ist, Moralpredigten im gemütlichen Heim zu verfassen. Ich werd aber, schamfrei wie ich gelegentlich bin, trotzdem nicht damit aufhören. Und außerdem geb ich zu, daß ich eine Mauer im Kopf habe. Und die wird, um den von mir immer noch – und inzwischen mehr als zu seinen Lebzeiten – geschätzten Genossen Honecker zu zitieren, so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben.
    Ich weiß natürlich, daß die Aussichten auf Änderung nicht eben gut stehen; genau wie Sie gehe ich erst mal aus von der grundsätzlichen Unzulänglichkeit, dem Egoismus, der Gewalttätigkeit und dem Mitläufertum des Menschen. Aber ich kenn sie ja gar nicht alle, die Menschen. Und überhaupt: Wer sind wir denn, daß wir alles bis zum Ende wissen können?
    Und falls ich Sie jetzt nicht schon längst zu Tode gelangweilt haben sollte mit meinem Geschreibe, lieber Herr Lund, ein Letztes noch, und das meine ich ganz und gar unironisch: Ich wünsche mir kein widerspruchsfreies Leben. Das wäre mir, obwohl ich’s wie gesagt schon ganz gern gemütlich hab, doch zu langweilig. Ein gerades Leben würd ich natürlich gern führen. Was im ungeraden Leben verdammt schwer zu hinzukriegen ist, wie wir uns sicher einig sind. Ich weiß das aus Erfahrung: Denn daß ich in meiner BRD-Lebenszeit, und das ist inwischen schon die längere, leider viel zu oft den Schwanz eingezogen bzw. auf die Moral geschissen habe, sei es aus Trägheit oder aus Blödheit oder aus Angst, daß mir vielleicht das Fressen oder bloß diverse Annehmlichkeiten ausgehen könnten, das steht außer Frage.
    Was ich mir aber immerhin immer wieder vornehme, DDR hin, BRD her: kein Arschloch zu sein. Manchmal klappt das sogar, ich versuche wirklich mein Bestes. Und obwohl ich Sie ja nicht so besonders gut kenne: Ich meine, genau das tun Sie auch.

    Lieber Kai, wer sich von Deinem „Geschreibe“ zu Tode gelangweilt fühlt, hat hier nichts verloren und auch sonst keine Ahnung. Ich danke Dir jedenfalls für diese autobiographische Einlassung, die für den Kommentarteil fast zu schade ist. Bewahr sie gut auf für das Buch, das ich mal von Dir lesen möchte! KS

  11. 11

    So machen wir`s. Danke und beste Grüße in die Runde.

    Wie machen wir was? – Ich bin echt zu pedantisch für die modernen Medien. – Gruß retour! KS

  12. 12

    Hat zwar nix mit Birne zu tun, aber hier kann man, falls man mal lange Weile hat, einen voyeuristischen Blick auf das Schmidtsche Zuhause werfen:
    http://www.helmut-und-loki-schmidt-stiftung.de/

    Falls man gaaanz lange Weile hat. KS

  13. 13

    Danke gleichfalls und meinerseits für die Grüße und ganz besonders für die Kürze, lieber M. Lund.
    Ich meine, mit Ihrem „So machen wir’s“ sind Sie wohl so ungefähr meiner Meinung: daß wir wenigstens gelegentlich unser Bestes versuchen sollten, uns nicht wie Arschlöcher zu benehmen.

    Außer beim Fußball. Okay? KS

  14. 14

    Die grundsätzliche Unzulänglichkeit, der Egoismus, die Gewalttätigkeit und das Mitläufertum des Menschen als einzig mögliche Vorstellung vom Wesen des Menschen zu betrachten tun vor allem Menschen, denen seit hunderten von Jahren eingeredet wird, das Wesen des Menschen bestünde in erster Linie aus grundsätzlicher Unzulänglichkeit, Egoismus, Gewalttätigkeit und Mitläufertum.
    Es ist uns allen gründlich ausgetrieben worden, uns den Menschen anders vorzustellen, weil wir dann ja in der Lage wären, uns andere Gesellschaftformen vorzustellen.
    Ich danke Kai P. für seinen Text und Kay S. für den Kommentar dazu.

    Dabei wissen alle, daß mit der menschlichen Zivilisation etwas schrecklich schiefläuft, daß die Spezies kurz davor steht, alles höhere Leben zu vernichten, daß die Welt ein grauenhafter Ort ist, vor allem unseretwegen. Alle wissen es, auch die Leugner des Klimawandels, auch die Kriegstreiber, sogar Trump weiß es. Aber es scheint, als hätten die Leute, die Lust an Tod und Zerstörung und Chaos empfinden, zur Zeit die besseren Karten. Als wären sie geil auf Untergang.
    Aber solche Episoden kollektiver Todessehnsucht gehen vorbei, zeigt die Geschichte; und eine gewisse Vernunft könnte in die Menschen zurückkehren, sobald sie die neoliberale Dystopie in voller Entfaltung erleben. Wie sich derzeit sehr eindrucksvoll in Großbritannien zeigt, vielleicht zu spät – doch wer kennt die Zukunft? KS

  15. 15

    Beim Fußballgucken geht das in Ordnung. Da benehm ich mich nämlich wirklich gern wie ein Arschloch. Vor allem bei Länderspielen, in denen Deutschland mit von der Partie ist: da wünsch‘ ich mir fast immer, daß die Hunnen ordentlich was draufkriegen. Selbst wenn sie richtig gut spielen. Schon ein bißchen fies, oder?

    Und ein bißchen unfair gegen die ziemlich unhunnische Mannschaft, die mittlerweile für Dtschld. aufläuft und einfach großartig spielt. (Seit Lahm gekündigt hat, nicht mehr ganz so großartig, aber immer noch höchst ansehnlich.) Die Schwarzrotgoldhools hingegen in ihrer Selbstbesoffenheit und ihrem Chauvinismus, die kann man gar nicht fies genug behandeln. Merken ja eh nix. KS

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