Zeuge der Geschichte (2)
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Als ich vom Tod Hans-Dietrich Genschers hörte, beschloß ich sofort, mir keinen gelben Pullunder zu kaufen.
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Als ich vom Tod Hans-Dietrich Genschers hörte, beschloß ich sofort, mir keinen gelben Pullunder zu kaufen.
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Kay Sokolowsky
Freitag, 1. April 2016 21:39
Abteilung: Bored beyond belief, Unerhört nichtig, Zeuge der Geschichte
5 Kommentare
Montag, 4. April 2016 7:05
Nicht bloß pullundergelb, sondern tierisch bunt geriet letzte Woche einem trauernden Spiegel online-Redakteur die Überschrift seines Genscher-Epitaphs: „Er beherrschte eine chamäleonhafte Diplomatensprache.“ Ein Sprachbild von kecker Schräglage, und überhaupt fand ich’s erstaunlich gewagt vom Nachrufer, dem Mundwerk des Verblichenen reptilische Eigenart beizumessen. Um in der zoologisch-politischen Metaphorik zu bleiben: Die andern Kriechtiere der heimischen Polit-Biotope täten gut daran, ein paar Glasperlen aus dem Sprachschatz des gewesenen Herrn Innenundaußenministers auch fürderhin glitzern zu lassen, denn die bräuchten nichts weiter als bloß einen kleinen zeitgemäßen Nachschliff.
Ich stell mir zum Beispiel grad eins der aktuellen Flüchtlingslager vor – vielleicht ähnlich gut besucht wie einst 1989 der Garten der Prager BRD-Botschaft –, in dem, leicht erhöht über der gedrängten Masse, ein bebrillter Herr im Anzug Folgendes verlautbart: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, daß heute Ihre Ausreise …“ (Freudentränen, vielstimmige Dankesrufe) „ … in Ihr sicheres Herkunftsland möglich geworden ist.“ (keine Dankesrufe mehr, dafür noch mehr Tränen, nun wegen Reizgas- und Schlagstockeinsatz gegen die Undankbaren.)
Damit hat der alte Marx vielleicht nicht gerechnet, als er seinen Hegel verbesserte: Daß sich Geschichtliches gleich beim ersten Mal als Farce ereignet (zwischen den zertrampelten Blumenrabatten des Prager Botschaftsgärtchens). Und erst beim zweiten Mal als Tragödie (im Dreck und Elend der Abschiebelager). Zur rednerischen Beherrschung von beidem – Farce und Tragödie – ist die Diplomatensprache des Pullunderliebhabers jedenfalls auch posthum noch sehr gut zu gebrauchen.
Die Chamäleonmetapher ist mal wieder ein echter Qualitätsjournalistenquatsch. Genscher redete immer wie der Langweiler, der er war. Und pflegte jenes machiavellistische Verhältnis zur Wahrheit, das allerdings nötig ist, um sich über so lange Zeit in der Chefetage der Politik zu halten. Viel gehört dazu nicht, schon gar nicht irgendwelche Meisterschaft in der Verstellung. Die Historiker, die in 50, 100 Jahren solche Nachrufe wie die in Spon als Quellen auswerten werden, dürften vor Kopfschütteln über den Schwafelgehalt dieses Schleims Nackenschmerzen bekommen, fürchte ich. KS
Montag, 4. April 2016 12:55
Kann man machen, wenn man ihn trägt, wie Olaf Schubert.
Gelbe Karos sind freilich was anderes als uni. KS
Dienstag, 5. April 2016 7:12
Manchmal war der Pullundermann sogar ein tödlicher Langweiler: zum Beispiel, als er 1977 irgendwie vergaß (?), sich für die von der argentinischen Militärjunta in eins ihrer Folterlager verschleppte BRD-Bürgerin Elisabeth Käsemann einzusetzen. Eine ernsthafte Intervention von seiner Seite hätte der jungen Frau wohl das Leben gerettet. In Ermangelung ministeriellen Einspruchs kriegte sie dann keine Ausreise in die BRD, sondern eine Kugel in den Kopf.
Eine weitere Bewertung der moralischen Qualitäten des Unterlassers schenk ich mir. Nicht von wegen „de mortuis nihil nisi bene“ oder so, sondern weil ich grad noch mal deinen Eintrag „Freiheit? Wie Sie meinen.“ gelesen habe.
Eine lesenswerte Zusammenfassung des „Falls Käsemann“ findet sich im Archiv der Welt. – Man muß übrigens nicht alles sagen, das Selbstredende gleich gar nicht. (Allerdings unbedingt das Unsägliche sagen!) KS
Mittwoch, 6. April 2016 7:23
Im Welt-Archiv? Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Daß ein deutscher Staatsmann nichts unternahm, um eine linke Studentin aus den Händen seiner halbfaschistischen argentinischen Kollegen zu retten, ist vielleicht eher keins. Vielleicht ist es sogar selbstredend. Aber unbedingt ist es unsäglich.
Daß die Welt auch einmal was Wahres über Axel Cae. Springers Alliierte schreibt, bedeutet selbstverständlich nicht, daß sie den Mumm besäße, über die eigenen Schmusereien mit dem faschistischen Folterermob in Argentinien kritisch zu berichten. So wenig wie irgendeiner der bourgeoisen Press-Nekrologen darauf hinweisen mochte, daß der Supermenschenrechtler Genscher 1944, noch minderjährig, NSDAP-Mitglied wurde – was, anders als Genscher behauptete, keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Auszeichnung war, und zwar für besonders hell glühende Jungnazis. KS
Mittwoch, 6. April 2016 13:43
Herrlicher Screenshot! Das wäre mal einen Grimmepreis wert.
Man muß das Unsägliche sagen? Muß ich jetzt auch zu Herrn Pichmanns Kommentar tun:
Auf dem Grab von Frau Käsemann stehend für sich selbst moralische Überlegenheit reklamieren. Ausgerechnet bei Genschman, der nach Selbstauskunft einem russischen Soldaten und vielen Botschaftsbesetzern das Leben rettete.
Lieber Herr Lund – schön, Sie nach langer Absenz mal wieder zu lesen! Allerdings verstehe ich nicht ganz, worauf Sie betr. Pichmann hinauswollen. Aber ich bin schon ziemlich alt und entsprechend dumm. – Den Grimmepreis würde ich gern annehmen, aber außer Ihnen gibt es in dieser Sache wohl keine Befürworter. (Der Google-Screenshot war übrigens einer jener berühmten „glücklichen Zufälle“, um die Wahrheit zu sagen.) KS