Zwei Reden und die Welt dazwischen
Für so was gibt‘s den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 25.000 Taler:
Auch als ich längst eine eigene Wohnung hatte, behielt ich dieses Ritual bei: Ich betrachtete den Friedenspreis vom Fußboden aus. Irgendwie schien das auch angemessen zu sein. Seit der Preisverleihung an David Grossman saß ich dort, wo Sie jetzt sitzen.
Und für so was gibt‘s bestenfalls eine Aufwandsentschädigung:
Durch meinen Roman Ich hasse dieses Internet zieht sich unter anderem der Gedanke, daß es doch seltsam ist, wenn Menschen mit Hilfe von Twitter und Facebook andere dazu bringen, sich beschissen zu fühlen, indem sie sich in diesen sozialen Netzwerken zu Moralpredigten aufschwingen. Vom Tippen über das Versenden, Speichern und Zustellen bis zum Lesen geschieht das auf Geräten, die unter unmenschlichen Bedingungen und zu katastrophalen Löhnen gebaut wurden. Die Leute, die sich hier in Rechtschaffenheit hüllen, beteiligen sich an einem weit größeren und weit schädlicheren Übel als die Menschen, die sie anprangern.
Mit so was darf man sich vor den Bundespfaffen stellen und den Mund artig aufmachen:
Für diejenigen, die hier oben, mit dieser Perspektive sprechen durften, bedeutete es oft auch, aus und von einer besonderen Perspektive zu erzählen. Sie waren eingeladen und sie wurden ausgezeichnet, weil sie sich für ein universales Wir einsetzten – und doch haben sie oft auch als Angehörige einer bedrängten Gruppe, eines marginalisierten Glaubens, einer versehrten Gegend gesprochen.
Mit so was kommt man nicht mal auf die billigen Plätze in der Paulskirche:
Die Welt wimmelt von Männern, die durch die Globalisierung überflüssig geworden sind. Und ihnen sind die gesellschaftlichen Fortschritte der letzten fünfzig Jahre scheißegal.
Bei so was werden Feuilletonisten ganz feucht:
Hatten mich die Passionen und Kantaten von Bach nicht schon durchdrungen und von innen heraus geformt, bevor ich von einem Glaubensbekenntnis auch nur wußte?
Bei so was schlottern dem Halbbildungsbürger die Knie:
In einer Zeit, in der jedes kulturelle Symbol zu billigem Plastiktrödel verramscht wird, neben dem Yogamuttis für Instagram posieren, ist der islamistisch geprägte Terrorismus die einzige überlebensfähige verbreitete Subkultur, das Letzte, von dem der Westen noch nicht herausgefunden hat, wie er es kommerziell verwerten kann.
Es wird Sie, lieber Leser, werte Leserin, kaum überraschen, wenn ich Ihnen sage, bei Lektüre welcher Rede ich Kopfschmerzen vor lauter pathetischen Wortgirlanden bekommen habe und welche Rede ich Ihnen empfehle, wie ich sonst nur gute Wildwestfilme anpreise. Der Unterschied zwischen dem gut gemeinten Geschwätz Carolin Emckes und dem böse gemeinten Rant Jarret Kobeks ist exakt die Differenz, die zwischen der hierzulande gepamperten Denk- und Schreiberei und interessanter Literatur liegt. In dieser Kluft liegt eine ganze Welt, welche die polyglotte, sehr weit gereiste Emcke nicht halb so gut kennt wie der Rüpel aus den USA. Und genau darum werden Autoren wie er niemals einen Friedenspreis erhalten, jedenfalls nicht vom Deutschen Buchhandel.
—Was aber in Ordnung ist, denn so werden wir von Kobek weihevollen Metaphernquark wie den hier nicht hören müssen:
Wir können neu geboren werden, indem wir uns einschalten in die Welt.
Doch hoffentlich noch sehr oft solche Sentenzen, Explosionen:
[Und] so stehe ich als Heuchler vor Ihnen, der von den Erträgen der Sklaverei und der neoliberalen Weltordnung profitiert. Ich bin genauso schlimm wie die Technokraten von Davos, die hohle Phrasen dreschen und dabei die nächsten Generationen an den Höchstbietenden verhökern.
—
Abb.: „Pharyngeal flap procedures“, by Felsir at English Wikipedia
(Transferred from en.wikipedia to Commons.)
[CC BY-SA 2.5-2.0-1.0, GFDL,or CC-BY-SA-3.0],
via Wikimedia Commons
Montag, 24. Oktober 2016 7:13
Sich von einer Kantate erst durchdringen und dann von innen heraus formen zu lassen – Respekt für diese Leidensfähigkeit! So was läßt nun wirklich nicht jede(r) mit sich machen. Ich stell mir Durchdringung und Verformung grad illustriert bzw. vertont vor, und diese Vorstellung bereitet mir wirklich Unbehagen.
Das erste Zitat aus „Ich hasse dieses Internet“ allerdings und ganz ernsthaft noch mehr. Da ist zwar nur von Twitter und Facebook die Rede, aber trotzdem hat’s mich eben davon abgehalten, für „Im Norden nichts Neues“ einen längeren und evtl. halbwegs spaßigen, vielleicht auch bloß albernen, ganz bestimmt aber irgendwie auch moralisch überlegenen Kommentar zur Freischaltung abzuliefern. Und diesen kurzen Kommentar hier hab ich ja nun ebenfalls auf einem Gerät getippt, das ganz bestimmt „unter unmenschlichen Bedingungen und zu katastrophalen Löhnen gebaut“ wurde. Weswegen ich es mir vermutlich überhaupt erst leisten konnte.
Das ist schon eine verdammt blöde Zwickmühle; die Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen fällt einem doch immer wieder auf die Füße – entschuldige bitte die schiefe Metapher. Was also tun? Bzw. besser lassen? Ich weiß, darauf gibt’s keine einfache Antwort. Andererseits: Was weiß ich schon. Weißt du was? Oder vielleicht irgendwer sonst hier? Wenn die Antwort halbwegs optimistisch ausfällt, darf sie meinethalben auch moralisch überlegen daherkommen.
Für den Anfang, denke ich, genügt es schon, sich stets inne zu sein, auf welchen Geschäftsgrundlagen die Eine Welt beruht. Alles weitere ergibt sich dann. KS
Montag, 24. Oktober 2016 10:29
Autsch. Auf den Punkt. Überbau und so. Ich muß die Rede der Frau Emcke wohl nochmal in Ruhe lesen. Gestern habe ich sie mit einem halben Ohr am Fernsehen mitverfolgt, während ich mit Dringlicherem beschäftigt war, und fand sie mit dem Viertel meiner Aufmerksamkeit, das ich ihr gewidmet habe, eigentlich zu vier Fünfteln sympathisch.
Aufgehorcht habe ich, als Emcke der unsäglichen 1998er-Rede des Gruselgreises vom Bodensee die verdiente Abfuhr erteilte; das hat mich für sie eingenommen. Erschrocken bin ich dagegen, als ich sie in der „Tagesschau“ in einer Einstellung sah, die ich morgens verpaßt hatte: zur Rechten des Schleimschlumpfs von Bellevue nicht etwa sich gruselnd, sondern sich sichtlich wohlfühlend.
Insofern wohl doch eher eine Sonntagsrede, die der Hautevolée dazu diente, sich als die Guten zu fühlen. Schade.
So, jetzt werde ich mir erst mal Jarret Kobek reinziehen, und dann Emcke, wenn ich noch Zeit habe. Danke!
Na ja, eine „verdiente Abfuhr“ wäre es gewesen, wenn sie Walser und seine Fürsprecher beim Namen genannt hätte. Aber so weit reicht die Courage bei keinem, der einen Friedenspreis entgegennimmt und sich anschließend von einem kriegsgeilen Präsidenten die Hand schütteln läßt. Außerdem kann Emcke einfach kein Deutsch. Oder meint sie wirklich, was sie hier sagt: „Für Terror und Gewalt sind Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsbehörden zuständig“ -? Eine ideale Preisträgerin, zweifelsfrei. KS
Montag, 24. Oktober 2016 11:34
Vielen Dank für diese wunderbare Gegenüberstellung und überhaupt die Empfehlung dieser hochinteressanten Rede Kobeks, die ein Viertelbildungsbürger wie ich sonst nicht gefunden hätte. Der Qualitätssprung gegenüber der erwartbar blutarmen und gutgemeinten Emcke-Predigt erscheint offensichtlich.
Es ist die bessere Moralpredigt.
Der doch glückliche Endpunkt der Globalisierung?: „… werden die Geschäftspraktiken unserer Zeit von Menschen beurteilt, die kein finanzielles oder nationalistisches Interesse an ihren Ergebnissen haben …“ Echt?
Ist doch mal eine schöne Vorstellung, finde ich. KS
Montag, 24. Oktober 2016 17:47
Na ja, der Westen hat aber schon herausgefunden, wie auch der islamisch geprägte Terrorismus zu verwerten ist. Zum Beispiel, indem er Waffen an dessen Protagonisten vertickt. Vor allem aber an die, die ihn zu bekämpfen vorgeben, und die haben meist ein richtig dickes Budget für Mordwerkzeug. Was wiederum der Industrie, die das Zeug herstellt, die sattesten Profite beschert. Auch der Terrorismus kann ja erst mal nicht anders funktionieren als auf der Geschäftsgrundlage der Einen Welt, auf deren mörderischen Mist er gewachsen ist.
PS.
Und ich danke für deine Antwort. Ich glaube, die Geschäftsgrundlagen unserer Welt sind mir so halbwegs begreiflich. Es kommt wohl einfach darauf an, sich so selten wie möglich wie eins der Arschlöcher zu benehmen, die mit besagten Geschäftsgrundlagen hochzufrieden sind.
Lieber Kai – nein, Du hast Jarret Kobeks Brandrede nicht komplett kapiert. Der Verkauf von Waffen ist nicht dasselbe wie die Vermarktung der Islamischer-Staat-Symbole. Es gibt nämlich noch keine Werbespots, in denen Kopfabschneider und Selbtzersprenger die verkaufsverstärkenden Role-models spielen dürfen. (Nicht so zu verstehen, daß ich das beklage.) KS
Montag, 24. Oktober 2016 19:08
„Für Terror und Gewalt sind Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsbehörden zuständig.“
Das ist eventuell kein semantischer Unfall, sondern eine Erkenntnis aus dem Studium der NSU-Akten. (Ich kann auch witzig, gelle?)
Ich dachte, wie Sie, beim ersten Lesen, Frau Emcke wollte hier mal richtig systemkritisch werden. Dann kam aber Emckes Nachsatz: „… für all die alltäglichen Formen der Mißachtung und der Demütigung, für all die Zurichtungen und Zuschreibungen in vermeintlich homogene Kollektive, dafür sind wir alle zuständig.“ Nein. Sind wir nicht. Das hätte sie gern, die Betmutter. Dafür sind allein die Typen zuständig, die Frau Emcke nicht kennt, weil sie woanders wohnt. Sie, die nicht darüber nachdenken mag, wie sehr ihre Ignoranz gegen das Ökonomische und seine Folgen zum schlechten Stil beigetragen hat. Frau Emcke ist genauso schlau, wie sie scheint. KS
Donnerstag, 27. Oktober 2016 6:58
Ich versteh dich schon richtig, und ich geb’s gern zu: Waffengeschäfte sind nicht dasselbe wie die kommerzielle Verwertung von IS-Symbolen. Erstere passen in die westliche Kultur wie die Bachkantate, von der sich der kultivierte Kraus-Maffei-Manager nach Feierabend vielleicht auch ganz gern mal durchdringen läßt – Reinhard Heydrich soll übrigens sehr schön Geige gespielt haben –, die zweite gehört nicht dazu.
Die Dreistigkeit, massenhaft Mordwerkzeug an Mörder zu verkaufen, dürfen sich abendländische Unternehmen jedenfalls leisten, ganz ohne sich dabei vor Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden in acht nehmen zu müssen. Die Dreistigkeit, IS-Selbstmordattentäter als verkaufsverstärkende Role-Models auftreten zu lassen, hat dagegen bisher wohl tatsächlich noch kein hiesiges Unternehmen gehabt, möglicherweise aus Angst vor der unausgelasteten Staatsanwaltschaft. Ich glaub aber, das ist nur eine Frage der Zeit: Ich kann mir nämlich gut vorstellen, daß in so einigen Werbeagenturen so einige Kreativdirektoren darüber nachsinnen, wie man solche Vermarktung am geschicktesten anstellen könnte. Natürlich dürfte der suicide bomber erst mal bloß ein negatives Role-Model abgeben, versteht sich. Eine Vorlage dafür gibt’s übrigens schon: nämlich einen Spot von 2005, in dem ein Selbstmordattentäter den Versuch unternimmt, sich mitsamt einem deutschen Kleinwagen in die Luft zu sprengen. Der brave Polo jedoch hält der Explosion stand, keiner kommt zu Schaden, auch nicht die Yogamuttis im Straßencafé nebenan; bloß der hinterhältige Araber hinterm Steuer geht in Flammen auf. VW hat damals jede Beteiligung an der Produktion dieses abendländisch-humorigen Kulturfilmchens abgestritten. Was ich nicht so recht kapiere: Denn die doppelt positive Werbebotschaft – bombenfeste Wertarbeit made in Germany killt bösen morgenländischen Bombenleger – müßte dem weltgrößten Dreckschleuderproduzenten doch eigentlich ziemlich gut in den Kram gepaßt haben. Dessen Dreckschleudern schon wesentlich mehr Menschen gekillt haben dürften als alle rauschebärtigen Sprengstoffgürtelträger zusammen. Aber das steht auf einem anderen Blatt, das leider auch kein sauberes ist. (Bitte mich nicht so zu verstehen, daß ich etwa meine, daß alle VW-Polo-Fahrer Mörder sind. Oder alle Bachliebhaber und Feierabendgeiger Massenmörder. Oder alle Araber rauschebärtig und nur darauf aus, Yogamuttis in Stücke zu sprengen.)
Lieber Kai, du darfst das alles meinen. So lange du es für dich behältst. Das ist die Gedankenfreiheit, die ich an Deutschland so liebe! KS